Autorin über Genozid-Aufarbeitung: „Es geht darum, Hass zu verhindern“

Laura Cwiertnia beschäftig sich in ihrem Roman „Auf der Straße heißen wir anders“ mit dem Umgang mit einem Trauma. Nun kommt das Buch auf die Bühne.

Porträt einer brünetten jungen Frau vor einer Toreinfahrt

Schreibt über das Gefühl, nicht dazuzugehören: Laura Cwertnia Foto: Marlena Waldthausen

taz: Laura Cwiertnia, wie selbstverständlich ist hierzulande das Gedenken an den Völkermord in Armenien 1915?

Laura Cwiertnia: Das ist gar nicht selbstverständlich. Ein Gedenken findet bis heute nur selten statt, obwohl Deutschland den Völkermord längst anerkannt hat.

… komplizierterweise tat das 2016 erst mal nur der Bundestag – und der Bundesregierung war wichtig zu betonen: So ein Beschluss habe keine rechtlich bindende Wirkung.

Damals war schon die Idee, dass die Auseinandersetzung mehr stattfindet – zumal Deutschland damals, 1915, mit den Tä­te­r:in­nen verbündet war. Aber wenn das heute geschieht, dann immer auf Initiative einzelner Leute. Es gibt aber auch positive Entwicklungen: In Bremen, zum Beispiel, ist der Völkermord an den Ar­me­nie­r:in­nen aktuell für zwei Jahre ­Abiturthema.

Bekommen Sie denn im April, um das zentrale Datum herum, vermehrt Anfragen, aus Ihrem Buch zu lesen?

Nein, nicht mehr als sonst. Auch der Plan des Schauspielhauses Hamburg, es auf die Bühne zu bringen, entstand völlig unabhängig von dem Gedenktag. Alina Manoukian, die die szenische Lesung konzipiert hat, kam auf die Idee, weil sie die Beziehungen der Figuren interessiert haben. Der unterschiedliche Umgang mit einem Trauma über mehrere Generationen hinweg. Mein Roman handelt ja gar nicht nur von dem Völkermord. Es geht auch um die sogenannte Gastarbeiterinnen-Geschichte, also ausdrücklich die Geschichte der Frauen damals. Auf Lesungen frage ich oft, wer weiß, dass damals Frauen nach Deutschland kamen, allein. Da melden sich sehr wenige. Wenn ich dann noch frage, wer weiß, dass mehr als 700.000 Frauen damals als Gastarbeiterinnen kamen, geht kaum eine Hand mehr hoch. Mein Buch handelt auch von dem Aufwachsen in Bremen-Nord, also einem Stadtteil, der stark von Armut geprägt ist. Natürlich spielt das armenische Trauma eine zentrale Rolle. Aber eben nicht die einzige.

1987 geboren, ist Redakteurin im Ressort „Green“ bei „Die Zeit“. Ihr literarisches Debüt war 2022 Der Roman „Auf der Straße heißen wir anders“ (Klett-Cotta, 240 S., 22, Euro; Taschenbuch: Goldmann 2023, 12 Euro, E-Book 11,99 Euro.)

Das wäre halt die Art von Missverständnis, die mir von Au­to­r:in­nen durchaus schon zu Ohren gekommen ist.

Wie gesagt, ich habe das nicht erlebt. Bei den knapp 60 Lesungen, zu denen ich bisher eingeladen wurde, war das Gedenken nur ganz selten der Anlass. Es ging einfach darum, den Roman vorzustellen. Aber ich freue mich natürlich, wenn mein Buch so eine Möglichkeit bietet, sich dem Thema zu nähern.

Das große Thema ist also, wie es auf dem Rückumschlag steht: zu wissen, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören. Und neben der, sagen wir mal verkürzt: ethnischen gibt es auch eine innerbremische, soziale Dimension…

Meine Protagonistin wächst ja in Bremen-Nord auf, einem Stadtteil, in dem man aus verschiedenen Gründen das Gefühl bekommen kann, nicht dazuzugehören. Schon allein, weil er etwa 30 Kilometer vom Zentrum entfernt liegt. Aber auch, weil dort viele Menschen leben, die eine migrantische Biografie haben und mit Rassismus konfrontiert sind. Und weil Armutsbiografien dort alltäglich sind. Klassismus ist ja ein Thema, über das noch viel zu wenig gesprochen wird. Bei Protagonistin Karla kommt noch hinzu, dass sie als Kind mit der Sorge der Familie aufwächst, die armenische Identität offen zu leben.

Warum genau?

Weil die Sorge der Menschen vor Diskriminierung bis heute fortbesteht, und die nicht unberechtigt ist. Auch hier in Deutschland und gerade in migrantisch geprägten Stadtteilen. Aber auch, weil dieses Trauma in den Familien oftmals nicht aufgearbeitet werden konnte; weil man keine richtige Sprache dafür hat.

Wie typisch ist da die Figur des Vaters? Der sagt: Wenn andere wüssten, dass man Armenier sei, dann bereite das vor allem Probleme.

Ich würde nicht sagen, der Vater ist eine typisch armenische Figur. Man kann aus meiner Sicht gar nicht sagen, diese oder jener ist der oder der armenische Prototyp:in. Wenn ich aus dem Buch vorlese, und im Pub­likum sitzen Armenier:innen, sind oft welche darunter, die ihre Wurzeln in der Türkei haben, wie der Vater im Buch. Die sagen dann: Bei mir war das genauso, in meiner Familie wird über die Herkunft auch nicht gesprochen. Ich treffe aber auch Menschen, die aus Armenien selbst stammen – und andere Erfahrungen gemacht haben. Dort gibt es eine größere Freiheit, über das Thema zu sprechen. In meinem Roman gehen alle Figuren unterschiedlich mit dem Trauma um.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um an diesen Hürden vielleicht zu rühren, sie auch ein Stück weit zu schleifen? Ist es die offizielle Anerkennung?

Ich war noch recht jung, als der Genozid anerkannt wurde. Damals habe ich mich selbst gefragt: Das ist jetzt 100 Jahre her – was nützt das, es heute noch anzuerkennen? Inzwischen, auch durch die Arbeit an dem Roman und die Lesungen, bin ich überzeugt, dass es wichtig ist. Weil man ohne offizielle Anerkennung immer aufs Neue beweisen muss, dass es stattgefunden hat – und das Trauma nie aufhört.

Ich glaube aber auch, dass dies allein nicht ausreicht. Es ist wichtig, aktiv darüber zu sprechen. Wenn ich in Bremen an Schulen lese, wo die Leh­re­r:in­nen das Thema jetzt in den Abiturkursen bearbeiten, treffe ich immer wieder auf sehr interessierte Schüler:innen. Mit den unterschiedlichsten kulturellen Backgrounds, ob armenisch, kurdisch oder türkisch. Diese Jugendlichen haben sich dann längst mit dem Thema auseinandergesetzt und es ist viel leichter, sich auszutauschen. Es geht ja bei der Aufarbeitung nicht darum, alte Konflikte zu vertiefen. Es geht darum, neuen Hass zu verhindern und Begegnung zu schaffen. Übrigens höre ich oft von Leuten, die keine Wurzeln in der Türkei haben, das Buch sei auch für sie eine Möglichkeit gewesen, allgemein über Ausgrenzung nachzudenken.

Szenische Lesung: 26. 4., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus/Malersaal, Hamburg (evtl. Rest­karten)

Lesung: Do, 2. 5., 19 Uhr, Buchhandlung Buchstabe am Markt, Neustadt in Holstein

Wir haben die Rolle Deutschlands gestreift. Gibt es aus ­Ihrer Sicht eine besondere deutsche Verantwortung?

Natürlich. Aber nicht nur aus der historischen Rolle Deutschlands. Die Verantwortung ergibt sich schon allein daraus, dass wir ein Einwanderungsland sind und die Konflikte der Menschen aus den Herkunftsländern von Mi­gran­t:in­nen heute Konflikte sind, die hierzulande fortbestehen. Es sind inzwischen deutsche Menschen, die diese Geschichte haben, diese Wurzeln. Es sind Deutsche, die an diesem Trauma leiden, die Opfer, aber auch Tä­te­r:in­nen als Vor­fah­ren haben. Da ist die Auseinandersetzung mit dem Thema natürlich wichtig, damit man hier gut zusammenleben kann.

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