Abgebrochener Palästina-Kongress: Die halbierte Staatsräson

Der Eifer gegen pro-palästinensische Stimmen geht zu weit. Dieser autoritäre Kurs ist auch für andere gefährlich.

Palästinensische Demonstranten in Berlin

Demo nach Abbruch des Palästina-Kongresses in Berlin Foto: Fabian Sommer / dpa

Der Schutz jüdischen Lebens gehört in Deutschland zur Staatsräson. Aber gilt dieser Schutz auch für Jüdinnen und Juden, die der israelischen Politik gegenüber kritischer eingestellt sind, als es die Bundesregierung ist? Daran sind Zweifel angebracht. Die Ausladung der Philosophin Nancy Fraeser, der Umgang mit Masha Gessen und Judith Butler und die Auflösung eines „Palästina-Kongresses“, der unter anderem von einer kleinen jüdischen Gruppe organisiert wurde – all das zeigt, was die Sonntagsreden über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland wert sind, wenn es um den Schulterschluss mit Israel und dessen in Teilen rechtsextremer Regierung geht: die andere Seite der Staatsräson.

Es gab in Deutschland schon immer ein Ressentiment gegen „liberale US-Intellektuelle“. Es scheint, als habe dieses Ressentiment ausgerechnet im Namen des Kampfs gegen den Antisemitismus einen neuen Ausdruck gefunden. Nur so lässt sich der Eifer verstehen, mit dem zusammen mit dem Vorwurf einer mangelnden Identifikation mit dem israelischen Staat gleich ganze Denkschulen abgekanzelt werden.

Aber der deutsche McCarthyismus richtet sich gegen alle, die nicht die deutsche Staatsräson zu Israel teilen. Da werden nicht nur Anstandsregeln missachtet und Gesetze verschärft, sondern die Grenzen des Rechtsstaats berührt, wenn offenbar willkürlich Einreise-, Versammlungs- und Betätigungsverbote verhängt werden, wie es jetzt beim polizeilich verhinderten „Palästina-Kongress“ in Berlin geschehen ist. Ausgerechnet der Antisemitismus-Beauftragte will dem linken Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ nun sogar die Gemeinnützigkeit entziehen lassen, weil er deren Palästina-Solidarität ablehnt.

Es fehlen Rechtsstaats-Liberale

Dass konservative Medien diesem autoritären Kurs applaudieren, ist nicht verwunderlich. Aber selbst liberale Medien wie Die Zeit nehmen ihn schulterzuckend hin. In Politik und Medien fehlen Rechtstaats-Liberale alten Schlages wie der FDP-Politiker Gerhart Baum, der als Innenminister sogar nach dem „deutschen Herbst“ von 1977 einen kühlen Kopf behielt. Zur Erinnerung: Damals erschütterten Anschlagsserien und Flugzeugentführungen das Land. Heute reichen ein paar pro-palästinensische Demonstrationen oder fragwürdige Äußerungen über Israel, damit das halbe Land in moralische Panik verfällt und die Politik überreagiert.

Manche begrüßen das harte Vorgehen, weil sie meinen, es träfe schon die Richtigen. Andere behaupten, das sei alles ganz normal: Es gibt nichts zu sehen, gehen Sie weiter! Doch wenn dieser autoritäre Kurs einreißt, wird er sich bald auch gegen andere Gruppen richten, die der Regierung widersprechen: Klimaschützer, Flüchtlingshelfer oder andere. Und diese Regierung wird nicht immer eine Ampel-Regierung sein.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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