Demokratie und Nachhaltigkeit: Weich landen in der Zukunft

Freiheit und Zukunft, Individuum und Kollektiv. Felix Heidenreich stellt infrage, dass sich Nachhaltigkeit und Demokratie problemlos vereinen lassen.

Ein Doppeldecker Kunstflugzeug dreht Pirouetten in der Luft

Absturz oder weiche Landung – vor dieser Alternative steht wohl die Weltgesellschaft Foto: Thomas Warnack/dpa

BERLIN taz | Nachhaltigkeit begegnet einem mittlerweile überall: ob in der Werbung, der Rede einer Politikerin oder den Börsennachrichten. Welchen Einfluss aber die vielbeschworene Nachhaltigkeit und deren politische Umsetzung auf die Demokratie hat – das wird weit seltener thematisiert. Wenn, dann wird zumeist behauptet, dass der Umbau unserer Gesellschaften im Sinne der Nachhaltigkeit keinen Einfluss auf die Demokratie und deren Prozesse, Einrichtungen und Normen habe.

Felix Heidenreich stellt mit seinem Buch diese Vorstellung infrage und argumentiert dahingegen, dass sich Demokratie und Nachhaltigkeit sowohl in ihrer Form als auch ihrem Inhalt wechselseitig beeinflussen. Eine Demokratie, welche sich nach Prinzipien des Liberalismus organisiert, ist jedoch – so Heidenreichs provokative These – nicht in der Lage, Nachhaltigkeit zu organisieren. Nur ein Republikanismus der Nachhaltigkeit ist ihm zufolge fähig, die große Transformation zu realisieren.

Diese weitreichende Behauptung, die in der Praxis tiefgreifende Veränderungen nicht nur der demokratischen Institutionen und Abläufe, sondern auch der Subjekte selbst nach sich ziehen müsste, entwickelt Heidenreich auf weitgehend schlüssige Weise.

Felix Heidenreich: „Nachhaltigkeit und Demokratie. Eine politische Theorie“. Suhrkamp, Berlin 2023, 243 S., 20 Euro

Dem naheliegenden Einwand, eine solche Position würde die Errungenschaften des Liberalismus über Bord werfen, hält er entgegen, dass sein Republikanismus der Nachhaltigkeit zwar postliberal, aber noch nicht antiliberal sei: Denn das Ideal der Freiheit wird nicht verabschiedet, obgleich nichtnachhaltige Formen der Selbstverwirklichung eingeschränkt werden sollen.

Felix Heidenreich: „Nachhaltigkeit und Demokratie. Eine politische Theorie“. Suhrkamp, Berlin 2023, 243 S., 20 Euro

Ein anderer Freiheitsbegriff

Sein Republikanismus der Nachhaltigkeit sei zwar postliberal, aber noch nicht antiliberal, hält er entgegen

Allerdings scheint Heidenreich hier bereits einen anderen, eben nachhaltigen Begriff der Freiheit anzulegen, wenn er behauptet, dass sein angestrebter Republikanismus der Nachhaltigkeit immer noch freiheitlich sei. Eine solche nachhaltige Freiheit müsste jedoch erst entwickelt und verteidigt werden.

Der kurze Exkurs dazu im Buch reicht jedoch nicht aus, um dieses Desiderat ausreichend zu erfüllen. Dass die BürgerInnen im Namen ihrer Freiheit ein Interesse an der Verwirklichung von Nachhaltigkeit haben – in deren Folge zweifelsohne auch einige ihrer vorigen Freiheiten begrenzt werden würden –, diese stärkere Pointe fehlt bei Heidenreich leider.

Wie aber landen wir im Republikanismus der Nachhaltigkeit? Der Philosoph und Politikwissenschaftler entwirft zwei Szenarien: Wäre die Weltgesellschaft ein Flugzeug, das von endlichen Ressourcen in der Luft gehalten wird, dann könnte es entweder zum „Absturz“ oder aber zu einer „weichen Landung“ kommen. Das erste Szenario würde einen Kollaps staatlicher Strukturen, hervorgerufen durch verschlimmerte und zahlreiche gewordene ökologische Verheerungen, bedeuten – die Ressourcen und damit der Antrieb reißen also ab, die Weltgesellschaft stürzt ins Bodenlose.

Das Buch stellt einen Versuch dar, das zweite Szenario wahrscheinlicher und uns somit bereit zu machen für eine weiche Landung dank gelungener und schrittweise erfolgter Transformation hin zu einer Nachhaltigkeitsgesellschaft.

Zukünftige Generationen

Von den beiden titelgebenden Schlüsselbegriffen des Werkes setzt sich Heidenreich zwar intensiv mit demjenigen der Demokratie, jedoch kaum mit dem der Nachhaltigkeit auseinander. So bettet der Autor seine Überlegungen zur Umsetzung der notwendigen Transformation ein in die anhaltende demokratietheoretische Debatte darüber, ob der Liberalismus oder nicht doch eher der Republikanismus in der Lage ist, die notwendigen Werkzeuge zur Bearbeitung der gegenwärtigen politischen Herausforderungen zu liefern.

Dagegen erscheint die Behandlung des zweiten zentralen Begriffes der Monografie, der Nachhaltigkeit, nachlässig: Lediglich in einer Fußnote wird auf die klassische Definition des Brundtland-Berichts (1987) hingewiesen, die übernommen wird.

Es geht Heidenreich also um Nachhaltigkeit im Sinne nachhaltiger Entwicklung. Den Bedürfnissen der heutigen Generation soll entsprochen werden, ohne dadurch die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen. Die vielfältige und durchaus berechtigte Kritik an einem solchen eher schwachen Verständnis von Nachhaltigkeit zu berücksichtigen hätte Heidenreichs Position gut getan.

Dennoch ist insbesondere Heidenreichs These, dass Nachhaltigkeit für die Lebenswelten der BürgerInnen bedeutsam ist, innovativ und eine Lektüre trotz der oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsbegriff lohnend.

Möglichkeitshorizonte

Überzeugend weist er nach, wie Ensembles aus technisch-materiellen, mentalen sowie sozial-kulturellen Infrastrukturen die Möglichkeitshorizonte von Menschen prägen und dadurch Einfluss auf deren Handlungen nehmen.

Somit gelangen die „Entscheidungsarchitekturen“, welche uns im Alltag umgeben, in den Blick. Dementsprechend kann es nicht in der Verantwortung der Individuen allein liegen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen: „Nachhaltigkeit lässt sich nicht privatisieren und nicht moralisieren.“

Bloße Moralappelle an die BürgerInnen, die Bahn statt das Flugzeug zu nehmen oder nur noch Bioprodukte in den Einkaufswagen zu legen, greifen also zu kurz. Vielmehr kommt es darauf an, Anreizsysteme und ihren Einfluss auf die Gewohnheiten und Konsumstandards der BürgerInnen durch kollektiv bindende Vorgaben zu strukturieren.

Mit anderen Worten: Wir sitzen alle im selben Flugzeug. Es kommt darauf an, die Landezone gemeinsam zu gestalten – denn einen Absturz kann eigentlich niemand wollen.

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