Die Wahrheit: Vom Regenradar in die Traufe

Ständig und an allen Orten dieser Welt müssen wir das Wetter erfahren und hängen deshalb an den Vorhersagen für jetzt und hier, morgen und da.

Seit wann ist das Wetter jenseits landwirtschaftlicher Kreise eigentlich so ein Thema geworden? Liegt es am Klimawandel oder an dessen Leugnung, dass die Leute sich nachdrücklich dafür interessieren, ob es morgen endlich regnet oder ein neuer Hitzerekord geknackt wird? Oder vielleicht doch eher daran, dass wir alle keine Lust haben, uns über komplexere Themen zu unterhalten?

Einwurf der Wissenschaft: Wetter und Klima sind ziemlich komplexe Themen. Antwort der Kolumnistin: Ja, aber das hindert uns nicht daran, unterkomplexe Meinungen dazu zu verbreiten.

Der alte Trick, aus dem Fenster zu sehen, wenn man wissen will, wie das Wetter ist, zieht jedenfalls nicht mehr. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich mir morgens von meinem Telefon die Temperatur mitteilen lasse, um zu entscheiden, ob ich eine Jacke mitnehme. Meine Jackenaufnahmestelle liegt 50 Zentimeter vor einer Tür, die ins Freie führt. Ich könnte also irgendeine alte Kulturtechnik benutzen, die ich nicht mehr beherrsche, von der ich aber früher schon mal gehört habe. Meine Vorfahren nannten das „Die Nase vor die Tür stecken“. Hm.

Aber wenn meine Nase draußen ist, bin ich es auch, und die Jacke ist immer noch drinnen. Außerdem ist meine Nase keine geeichte Messstelle und vermittelt ausschließlich gefühlte Wahrheiten à la „Es riecht nach Regen“.

Mein Verhältnis zum Wetter hat sich geändert, seit ich auf dem Land lebe und erfahren musste, das Gewitter nicht nur eine lustige, bunte Kulisse während des Fernsehabends darstellen, sondern eine bösartige Gewalt sind, die Häuser anzünden und Bäume umstürzen kann. Bei meiner ersten ländlichen Wetterkatastrophe stand die Vorhersage noch in der Zeitung und wurde nicht minütlich samt Warnhinweisen aktualisiert. Es war überraschend, ein Geheimnis, etwas, womit man Glück haben konnte oder auch nicht.

Dass es gefährlich war, erfuhren wir, wenn wir die Feuerwehrsirene hörten. Details wurden am nächsten Tag mit dem Wechselgeld an der Supermarktkasse ausgegeben. Mehr musste ich nicht wissen.

Inzwischen möchte ich informiert sein, ob es morgen gießt oder brutzelt, ohne erst am nächsten Tag aus dem Fenster zu schauen. Auch erscheint es mir plötzlich interessant, wie warm es im Nachbarort gerade ist und ob in der europäischen Hauptstadt, in der die Verwandtschaft lebt, eventuell ein Unwetter droht. Falls jetzt nichts angezeigt wird, dann vielleicht in einer halben Stunde. Oder nochmal zehn Minuten später? Ach überhaupt, der Urlaubsort vom vergangenen Jahr, scheint da heute die Sonne? Nachschauen schadet ja nichts.

Doch. Mein Hirn überhitzt wegen eines stetigen Zuflusses überschüssiger Temperaturen und Regenwahrscheinlichkeiten, die mich nicht unmittelbar betreffen. Wer Wetter sucht, wird Sturm im Kopf ernten. Übrigens können Blitze in Kühe einschlagen. Im Nachbardorf soll ein Kugelblitz durch ein Zimmer spaziert sein, und zwei Straßen weiter stand ein Keller unter Wasser. Bitte melden Sie es Ihrem Telefon.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.