Drug-Checking in Berlin: Kenne dein Gift

Beim Drug-Checking können Ber­li­ne­r:in­nen kostenlos und anonym ihre Drogen testen lassen – wenn sie einen der wenigen Plätze ergattern.

Nahaufnahme von weißen Kristallen in einer Plasitktüte

Was ist wirklich drin in meinen Drogen? Die Analyse im Labor soll Klarheit bringen Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa

BERLIN taz | Dienstag ist in Berlin jetzt Drug-Checking-Tag. Vor einem altrosa gestrichenen Haus in der Nähe der Kantstraße stehen schon kurz vor Öffnung um 16 Uhr fünf Menschen in einer Schlange und warten. In ihren Taschen: Tütchen und Kapseln mit Pillen und Pulver. Pünktlich zum Wochenende sollen die Testergebnisse da sein und die Kon­su­men­t:in­nen wissen, welche Inhaltsstoffe wirklich in ihren Drogen sind.

Unter den Wartenden ist auch eine junge Informatikstudentin. Sie tippt auf ihr Handy, auf dessen Rückseite Sticker des bekannten Techno-Klubs Sisyphos kleben. „Nächstes Wochenende fahre ich auf die Fusion“, erzählt sie. Auf einem der größten Musikfestivals Deutschlands, nahe der Müritz, werden ab diesem Mittwoch fünf Tage lang kollektiver Ausnahmezustand gefeiert und eine bessere Welt erträumt. Wie viele andere Fes­ti­val­teil­neh­me­r:in­nen greift die Studentin dabei gelegentlich auf den Konsum psychoaktiver Substanzen zurück.

Seit dem 6. Juni läuft das von der Senatsgesundheitsverwaltung finanzierte Projekt für Drogentests im Regelbetrieb. Menschen können kostenlos und anonym ihre Drogen abgeben. Das Labor der Berliner Gerichtsmedizin, das Landesinstitut GerMed, untersucht die Substanzen dann auf Zusammensetzung und eventuelle Verunreinigungen. Neben der Schwulenberatung in Charlottenburg ist in Kreuzberg der Verbund Vista zuständig. In Neukölln nimmt die Sozialberatungsstelle Fixpunkt die Drogen entgegen.

Eine Mitarbeiterin vom Empfang der Schwulenberatung kommt raus auf den Gehweg. Zu einem jungen Mann, der sich als letzter in die Schlange einreiht, sagt sie freundlich: „Wenn noch mehr Menschen kommen, sag ihnen, dass wir heute leider schon voll sind.“

Modellprojekt gestartet

Die Nachfrage nach dem neuen Angebot ist hoch. Conor Toomey, der fachliche Leiter des Drug-Checking-Projekts bei der Schwulenberatung, sagt: „Der Bedarf ist enorm. Er ist viel größer als das, was wir bedienen können.“ Tatsächlich kommen innerhalb der nächsten Minuten noch drei weitere Männer, denen abgesagt werden muss. Bevor die Beratungsstelle heute offiziell öffnet, sind schon alle Slots belegt. Angesichts zehntausender Kon­su­men­t:in­nen in Berlin sind die Kapazitäten sowohl im Labor als auch bei den drei Beratungsstellen viel zu gering angelegt.

Die Mitarbeiterin der Schwulenberatung kommt ein zweites Mal hinaus, verteilt Zettelchen und bittet die Wartenden hinein. Die kleine Kolonne wird vorbei an einer weißen Empfangstheke in einen großen Warteraum geleitet. An dessen Ende steht eine riesige Sofaecke. Alle nehmen Platz und fangen an, die kleinen Zettel auszufüllen. Durch die Anfangsbuchstaben des Vor- und Nachnamens der Mutter in Kombination mit Ziffern des eigenen Geburtstages wird ein Code erzeugt, der später zwar die Zuordnung der Proben ermöglicht, aber keine Rückschlüsse auf die Person zulässt.

Bekanntes Konzept

Schon seit Jahrzehnten laufen die Bemühungen in der Hauptstadt, Drug-Checking einzuführen. Den ersten Versuch machte der Verein Eve & Rave Ende der 90er Jahre. Damals klagte allerdings die Staatsanwaltschaft die Mitarbeitenden wegen Drogenbesitzes an, später wurden sie freigesprochen. Nachdem das Bundesgesundheitsministerium alle staatlichen Labore angewiesen hatte, keine Proben privater Organisationen anzunehmen, verliefen die ersten Bemühungen im Sande.

Eine neue Chance bot sich erst 20 Jahre später. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016 einigten sich SPD, Linke und Grüne auf das Projekt Drug-Checking, dessen Vorarbeiten Ende 2018 starteten. Die Abstimmung der beteiligten Senatsverwaltungen mit Behörden wie Polizei oder Staatsanwaltschaft sorgte für einen langen Vorlauf und verzögerte das Projekt immer wieder. Durch ein Rechtsgutachten sei die Straffreiheit aller Beteiligten mittlerweile sichergestellt, erklärt der fachliche Leiter der Schwulenberatung: „Niemand muss befürchten, dass er oder sie in der Nähe der Standorte kontrolliert wird“, versichert Toomey.

Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) sieht im Drug-Checking den Vorteil, dass so Frei­zeit­kon­su­men­t:in­nen adressiert werden können: „Die analysegestützte Beratung bietet unter anderem die Chance, die bislang nur wenig erreichten Party- und Freizeitdrogenkonsumierenden anzusprechen und für Risiken des Konsums zu sensibilisieren.“ Toomey sieht das durch die Praxis bestätigt. „Es kommen andere Menschen als sonst zu uns“, sagt er. „Frei­zeit­kon­su­men­t:in­nen lernen so niedrigschwellig unsere Beratungsstelle kennen. Wenn sie in Zukunft Hilfe mit ihrem Konsum brauchen, wissen sie, wo sie uns finden“, betont Toomey.

Auf der Sofaecke im Warteraum sitzt die TU-Studentin, die schon vorm Eingang gewartet hat. Die junge Frau erzählt, sie wolle vor ihrem Festivalbesuch sichergehen, dass sie von den Drogen auch wirklich die Wirkung erwarten kann, die ihr versprochen wurde. Ursprünglich wollte sie die Substanzen zu Hause selbst auf ihre Zusammensetzung testen und dafür im Internet Testkits bestellen. Das habe sich aber als ziemlich kompliziert erwiesen, erzählt sie. Dann habe sie nach einer Drug-Checking-Möglichkeit gesucht. Beim ersten Besuch ist ein etwa 20-minütiges Beratungsgespräch verpflichtend. Als Fünfte in der Reihe muss die Studentin sich also noch gedulden.

Erste Zahlen

In Österreich, der Schweiz, Frankreich oder den Niederlanden existieren Drug-Checking-Angebote seit Jahren. In Berlin wird das neue Angebot gut angenommen, wie die Zahlen zwei Wochen nach dem regulären Start belegen: Insgesamt 83 Proben nahm das Labor zur Analyse entgegen. Partydrogen wie MDMA und Speed wurden dabei am häufigsten abgegeben, gefolgt von Kokain, dem Narkosemittel Ketamin und Crystal Meth.

Manche der Substanzen waren dabei auch falsch gekennzeichnet. So stellte sich zum Beispiel vermeintliches Kokain im Nachhinein als Ketamin heraus. Eine Verwechslung, die beim Konsum nicht ungefährlich ist, da die Substanzen völlig unterschiedliche Wirkungen entfalten.

Prävention und Aufklärung

Ein äußerst freundlicher Mitarbeiter der Schwulenberatung mit kurzer Hose und weißem T-Shirt betritt den Warteraum und ruft die nächste Person auf. Vorbei an der weißen Theke im Eingangsbereich geht es in den Beratungsraum. Vor zwei vollgepackten Bücherregalen, die bis zur Decke ragen, stehen ein Sofa und Sessel. Auf dem Tisch liegt ein kleines Tablett mit Spatel, einer Zange und drei kleinen Plastikröhrchen. Damit werden später die Proben der Drogen entnommen.

Von Pulvern wie Kokain oder Speed reicht eine Messerspitze. Ecstasy-Tabletten oder LSD-Trips müssen ganz abgegeben werden. „Nur so können wir zuverlässig die Gesamtmenge der darin enthaltenen Wirkstoffe ermitteln“, heißt es auf der Webseite. Zurückgegeben werden die abgegebenen Proben nach der Analyse nicht.

Der Mitarbeiter nimmt auf dem Sessel Platz und holt einen Fragebogen hervor. Darin werden Daten wie Alter, Nationalität und Geschlecht erfasst. Außerdem stellt er Fragen zum Drogengebrauch: „Welche drei Substanzen konsumierst du am häufigsten?“, „Wie nimmst du sie ein?“ und „Bist du mit deinem Konsum zufrieden?“

Diese Fragen dienen der Reflexion des eigenen Konsums. Bei weiterem Beratungsbedarf helfen die Träger weiter und vermitteln gegebenenfalls auch an andere Stellen. Anschließend wird eine Einverständniserklärung abgegeben, in der steht, dass das Projekt keine Haftung für die Folgen des Konsums übernimmt und mit den Substanzen nicht gedealt werden darf.

Drogen staatlich geprüft?

Was aber, wenn Dealer das Angebot für ihre Zwecke missbrauchen und „staatlich geprüfte Drogen“ weiterverkaufen? Das sei nicht möglich, sagt der Mitarbeiter der Schwulenberatung. Die Beratungsstellen geben keine Zertifikate oder schriftliche Bestätigungen heraus. Nur per Telefon kann etwa eine Woche nach Abgabe der Drogen ihre Zusammensetzung erfragt werden.

Für den spontanen Konsum ist das neue Angebot also nicht geeignet. Kurzentschlossene können aber auf die Warnungen auf der Webseite des Projekts zurückgreifen oder andere Informationsquellen nutzen. Die App KnowDrugs oder die Schweizer Website saferparty klären ebenfalls auf und warnen vor Risiken.

Ob das Angebot in Berlin weitergeführt und aufgrund der hohen Nachfrage weiter ausgebaut wird, muss die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit innerhalb eines Jahres entscheiden. So lange zumindest steht die Finanzierung für das Programm, erklärt Toomey.

Das Modellprojekt könnte auch bundesweit Strahlkraft haben: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte mit Verweis auf die Nachbarländer, in denen das Drug-Checking bereits etabliert ist, das Testen helfe, Drogentote zu vermeiden und den Konsum zurückzudrängen. „Es wird zurzeit beraten, wie das Berliner Projekt auch bundesweit Schule machen kann“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Eine Woche nach der Abgabe der Proben kann die TU-Studentin schließlich ihre Analyseergebnisse erfragen. Für die anstehende Fusion noch genau rechtzeitig. Mit einer Sorge weniger kann sie nun für fünf Tage in eine bessere Welt eintauchen.

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