Filmförderung in Norddeutschland: Push für Frauen im Film-Business

Die Filmbranche ist noch immer von Männern dominiert. Doch die Moin Filmförderung hat neue Ansätze, um an diesem Dauerzustand zu rütteln.

Drei Frauen vor einer Scheune, eine hat Herzluftballons in der Hand

​Roadmovie ohne Männer: Hauptrollen und Regie übernehmen im Kinofilm „Over & Out“ Frauen​ Foto: Warner Bros. Pictures

HAMBURG taz | Nichts läuft wie geplant, als sich drei Frauen in einer gelben Familienkutsche auf den Weg zur Hochzeit ihrer Freundin in Italien machen. Im Gepäck haben sie einen Vibrator und später eine Leiche – vor allem aber ganz unterschiedliche Lebensgeschichten. „Mir war es wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die Frauen in ihrer Vielschichtigkeit zeigt“, sagt Julia Becker, die Drehbuchautorin und Regisseurin des Roadmovies „Over & Out“. Gefördert hat den Kinofilm die Moin Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit 400.000 Euro.

So ein Film mit vier weiblichen Hauptdarstellerinnen und einer weiblichen Regisseurin ist immer noch keine Selbstverständlichkeit im deutschen Kino. Der Branche mangelt es seit Jahren an Geschlechtergerechtigkeit vor und hinter der Kamera. Eine Studie der Universität Rostock von 2021 zeigt zum Beispiel, dass bei 390 deutschen Kinofilmen zwischen 2017 und 2020 in fast 75 Prozent der Fälle Männer Regie führten.

Die Moin Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein will das ändern und hat im Jahr 2020 die eigenen Förderrichtlinien umgekrempelt. Das Ziel: mehr Geschlechtergerechtigkeit, so beschreibt es Moin, ein öffentliches Unternehmen der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, auf der eigenen Webseite.

Zum einen müssen Antragstellende einen Fragenkatalog ausfüllen: Sind die Geschlechter in der Geschichte ausgeglichen repräsentiert? Werden klischeehafte Rollenbilder vermieden? Gibt es Möglichkeiten, um Beruf und familiäre Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren? Das sind einige der Fragen, denen sich Filmschaffende stellen müssen, wenn sie Geld von der Moin Filmförderung bekommen wollen.

Die sogenannten „Diversity Checklisten“ gibt es für verschiedene Förderbereiche und sind verpflichtend auszufüllen – ein Novum im deutschen Filmfördersystem.

Gremien werden diverser besetzt

Die zweite wichtige Änderung ist eine Umstellung in den Fördergremien, wie Moin auf taz-Anfrage mitteilte. „Für uns war es schon immer wichtig, dass in unseren Fördergremien möglichst genauso viele Frauen wie Männer sitzen,“ sagt Claudia Hartmann, Pressesprecherin der Moin Filmförderung. So ist es auch im Hamburgischen Gleichstellungsgesetz festgelegt.

Darüber hinaus entscheiden seit einer Neuaufstellung im Jahr 2020 auch Branchenfachleute, die marginalisierten Gruppen angehören, über die Mittelvergabe. Seitdem fließe ein sehr breites und inspirierendes Meinungsbild in die Förderentscheidungen ein. „Neben den Diversitätschecklisten ist die Besetzung der Gremien unsere entscheidende Maßnahme, mit der wir dazu beitragen wollen, die Filmbranche diverser aufzustellen.“

Als Regisseurin Becker die Fördermittel erhielt, galten diese Maßnahmen bereits. Sehen Ki­no­be­su­che­r*in­nen künftig also mehr Filme à la „Over & Out“ – oder hat die Filmförderung noch keinen echten Schritt in puncto Geschlechtergerechtigkeit gemacht?

Die taz hat die Zahlen aus der Antragsdatenbank der Moin Filmförderung im Bereich der Produktionsförderung angefragt und ausgewertet. Die Produktion ist der wichtigste Förderbereich. Sie umfasst die Vorbereitung und Umsetzung der Dreharbeiten sowie den finalen Schnitt des Films. Dort entsteht das, was die Zuschauenden später auf den Kinoleinwänden und TV-Bildschirmen zu sehen bekommen. Laut aktuellem Jahresbericht der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein entfielen im Jahr 2021 rund 74 Prozent der gesamten Fördermittel von 11.885.000 Euro auf die Produktion.

Moin erfasst bei der Antragstellung, wer Produzent*in, Re­gis­seu­r*in und Dreh­buch­au­to­r*in des Filmprojekts sind. Das sind die drei Gewerke, die zum Zeitpunkt der Antragsstellung in der Regel bereits besetzt sind. Ein Blick auf die Zahlen im Jahr 2019 zeigt, dass 38 Prozent der Produktionsförderungen an Frauen gingen – alle Funktionsbereiche zusammengenommen. Im Jahr 2021 lag dieser Wert schon bei 44 Prozent. Im Zeitraum von 2019 bis 2021 hat die Moin Filmförderung sukzessive weniger Männer gefördert.

Das große Geld geht an Männer

Das Verhältnis von Frauen und Männern bewegt sich somit zunehmend auf 50:50 zu. Erreicht ist das Ziel aber noch nicht. „Das große Geld geht an männliche Film- und Serienmacher“, sagt Cornelia Köhler, Vorständin von Women in Film and Television Germany (WIFT), einem Businessnetzwerk, das sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Branche einsetzt. „Frauen erhalten immer noch deutlich weniger Fördermittel und sind dadurch in ihren Möglichkeiten beschränkt.“ Auch die taz-Auswertung zeigt hinsichtlich der Gelderverteilung Nachholbedarf.

In den Förderkategorien „Director’s Cut“ und „Kurz + Innovativ“ stellten Frauen im Jahr 2021 zwar sogar die Mehrheit. Allerdings sind die Mittel in diesen beiden Bereichen begrenzt, wie ein Blick auf die Moin-Website verrät. In „Kurz + Innovativ“ werden kleine Projekte wie zum Beispiel Kurzfilme von bis zu 50.000 Euro gefördert.

Im „Director’s Cut“ landen Filme und Serien mit Herstellungskosten von bis zu 3,5 Millionen Euro. Alles darüber gehört zur Kategorie „High End“ – hier werden die großen Fördersummen vergeben. Und dort dominieren weiterhin männliche Produzenten, Regisseure und Autoren. Ihr Anteil im „High End“-Bereich lag 2021 bei 78 Prozent.

Im „High End“-Bereich liegt der Anteil der Männer bei der Förderung bei 78 Prozent

Ähnlich lesen sich die Zahlen des aktuellen Jahresberichtes der Filmförderung, der eine Analyse zum Gewerk Regie in der Produktionsförderung enthält. Von knapp 19 Millionen Euro Fördermitteln in den Jahren 2020 und 2021 gingen 70 Prozent an männliche Regisseure.

Das Zwischenzeugnis fällt also gemischt aus. Sind die Moin-Ansätze da ausreichend?

Dazu hilft ein Blick auf die deutsche Filmbranche insgesamt. Schon im Jahr 2017 erscheinen zwei viel beachtete Publikationen zum Thema Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit – eine Studie der Universität Rostock im Auftrag von ARD und ZDF und die Studie „Gender und Film“ der Filmförderungsanstalt, Deutschlands nationaler Filmförderinstitution.

Beide Untersuchungen kommen zu demselben Schluss. Männer sind in der Filmbranche klar überrepräsentiert. Die ARD- und ZDF-Studie zeigt, dass bei rund 1.400 Produktionen der beiden Sender zwischen 2011 und 2015 in nur 17 Prozent der Fälle eine Frau oder ein Team aus Frauen Regie führte.

Bequemlichkeit macht es Frauen schwer

„Es tut sich was in der deutschen Filmbranche, aber in Baby-Schritten“, sagt Vorständin Köhler von WIFT. „Die Filmbranche verlässt sich häufig immer noch auf Netzwerke, die schon lange bestehen und von Männern dominiert werden.“ Produktionsfirmen und Entscheider gingen zu häufig nach dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“ vor. Diese Bequemlichkeit mache es Frauen schwer, Regie- und Drehbuchaufträge zu erhalten.

Dass die Moin Filmförderung da mit ihren Ansätzen schon ziemlich weit vorne steht, zeigt auch ein Vergleich zur niedersächsischen Filmförderung Nordmedia. Die teilt auf taz-Anfrage mit, dass sie anders als Moin bisher keine Daten zum Thema Diversität erhebt.

Anette Unger ist Produzentin bei der unabhängigen Hamburger Produktionsfirma Leitwolf. Sie hält viel von den Diversitätschecklisten, die Moin verbindlich eingeführt hat: Diese „haben bei uns schon zu einer Umstellung und einer bewussteren Auswahl des Teams geführt“. Leitwolf hat seit Einführung der Listen für mehrere Projekte Fördermittel erhalten.

„Die Diversitätscheckliste sollte sich flächendeckend durchsetzen“, meint auch Esther Gronenborn, Vorständin der Initiative „Pro Quote Film“. „Es schärft das Bewusstsein, wenn Firmen im Vorfeld darüber nachdenken, was ein Film erzählt, oder wie das Team vor und hinter der Kamera besetzt ist.“ Fragenkataloge allein reichten aber nicht aus: „Es braucht weitere Maßnahmen, um die tief verwurzelte strukturelle Benachteiligung zu beseitigen“, sagt Gronenborn.

Die Initiative schlägt, ihr Name lässt es vermuten, eine feste Quotenregelung vor. Öffentliche Mittel sollten demnach geschlechterparitätisch vergeben werden. „Eine Quote ist deswegen sinnvoll, da sie verbindlicher als eine Checkliste ist und ein wirkliches Umdenken stattfinden kann“, sagt Gronenborn. Um eine Quote zu erfüllen, müssten Redaktionen und Produktionsfirmen ihre Netzwerke schärfen und könnten sich nicht auf eingespielte Wege verlassen.

Bei der Moin Filmförderung gibt es eine solche Geschlechterquote aktuell noch nicht. „Eine Quote kann in bestimmten Bereichen durchaus ein hilfreiches Instrument sein. Aber nur, wenn sie intelligent eingesetzt wird“, sagt Moin-Pressesprecherin Hartmann. Eine pauschale Quote sei nicht die beste Lösung, weil die Tücken im Detail lägen.

So gebe es zum Beispiel im Highend-Segment zu wenige Anträge mit weiblicher Regie. „Hier wünschen wir uns ein stärkeres Engagement der Player, die in diesem Marktsegment aktiv sind. Das Empowerment muss ganz klar schon vor der Einreichung bei der Förderung stattfinden“, sagt Hartmann. Die Filmförderung arbeite gerade an weiteren Diversitätsmaßnahmen, sei aber noch in der Entwicklungsphase.

Wie wichtig die Suche nach weiteren Lösungen und Maßnahmen ist, unterstreicht Gronenborn: Es gehe bei der Debatte um Diversität und Geschlechtergerechtigkeit durchaus um das Überleben der Film- und Kinolandschaft. „Es braucht dringend einen Kulturwandel und Innovation.“

Mika Dittler studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Hamburg. Dieser Text ist im Rahmen eines Recherche-Seminars in Kooperation mit der taz nord entstanden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.