Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch: „Die Lage ist schlimm genug“

Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch über die Forderung nach mehr Polizeipräsenz, Fake News von CDU-Senatschef Wegner und Angriffe auf ihre Partei.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch in ihrem Büro im Abgeordnetenhaus

„Fundamentalopposition wäre mir zu billig“: Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch in ihrem Büro Foto: Maurizio Gambarini/Imago

taz: Frau Jarasch, CDU und SPD beschwören ständig das heitere Miteinander im Senat als das große Novum zum alten Zank und Streit und der Spaltung der Stadt, woran einzig und allein eine Partei schuld gewesen sei: die Grünen. Nervt Sie das permanente Grünen-Bashing?

Bettina Jarasch: Das neue Miteinander besteht bislang nur aus gemeinsamen Ankündigungen. Da hat die Stadt relativ wenig davon. Sich nicht zu streiten, heißt noch lange nicht, dass endlich mal angepackt wird, und das war doch das Versprechen dieser neuen Koalition.

Trotzdem geht es mantraartig gegen die Grünen, zuletzt vor einer Woche beim Sicherheitsgipfel. Da stehen Sie jetzt ernsthaft drüber und sagen: Mir doch egal?

Es sagt doch mehr über Schwarz-Rot als über uns Grüne aus, wenn die einzige Gemeinsamkeit in dieser Koalition ist, dass sie beide gegen die Grünen sind. Hinter den Kulissen ist da nichts, was die Koalition gemeinsam will. Aus dieser destruktiven Grundhaltung kann keine produktive Politik für die Stadt werden.

54, führt seit März zusammen mit Werner Graf die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Bei den Berlin-Wahlen 2021 und 2023 war sie Spitzenkandidatin ihrer Partei, in der Zeit dazwischen im rot-grün-roten Senat von Franziska Giffey (SPD) war sie Umwelt- und Mobilitätssenatorin. Die gebürtige Augsburgerin hat viele Jahre in der Nähe des Görlitzer Parks in Kreuzberg gelebt. Inzwischen wohnt sie in Wilmersdorf.

Sie betonen immer wieder, dass die Grünen konstruktive Oppositionsarbeit machen wollen. Reizt Sie angesichts des Dauerbeschusses nicht doch manchmal das Modell Fundamentalopposition?

Nein, das reizt mich null. Wir sind nach der Wiederholungswahl aus dem Regieren rausgerissen worden. Wir wollten gestalten, wir waren ja mit vielen Dingen noch nicht fertig. Und wir wollen weiterhin gestalten. Das heißt, wir werden auch aus der Opposition heraus Sachen vorantreiben. Beispielsweise bei der Absenkung des Wahlalters haben wir jetzt drei Monate Druck gemacht, weil sich die Koalitionsfraktionen nicht einigen konnten.

Ein entsprechender Gesetzentwurf ist ja jetzt vom Senat auf den Weg gebracht worden. Aber doch nicht nur auf Druck der Grünen?

Ich will mit Lösungsvorschlägen kommen, nicht nur mit Kritik. Fundamentalopposition wäre mir zu billig. Oder nehmen Sie den Sicherheitsgipfel. Da waren es die grünen Bezirksbürgermeisterinnen, die Vernunft in die Debatte gebracht haben, indem sie offensiv auf den Regierenden Bürgermeister zugegangen sind und gesagt haben: Wenn Sie wirklich Sicherheit im öffentlichen Raum wollen, dann geht das nur, wenn Land und Bezirke gemeinsam handeln.

Clara Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, scheint nicht sonderlich zufrieden damit, dass der Görlitzer Park nach dem Willen von CDU und SPD mit einem Zaun und nächtlichen Schließungen beglückt werden soll. Das soll das neue Miteinander sein?

Auf dem Gipfel ist ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet worden, wobei 90 Prozent der Forderungen der grünen Bürgermeisterinnen Clara Herrmann und Stefanie Remlinger aus Mitte zugesagt wurden. Da geht es um Drogenkonsumräume, Notschlafmöglichkeiten für obdachlose Süchtige, die Umgestaltung von Parks und Plätzen, auch um mehr sichtbare Polizeipräsenz. Ich erwarte, dass der Senat diese Zusagen einhält.

Das hätte es in den Anfangsjahren der Berliner Grünen auch nicht gegeben, dass Ihre Partei mehr Polizeipräsenz fordert.

Das wünschen sich alle da, nicht nur die Anwohnenden und die, die den Görlitzer Park oder den Leopoldplatz in Mitte nutzen wollen. Das wünschen sich auch die Sozialarbeiter:innen. Und ja, auch wir wollen dort mehr mehr Polizeipräsenz.

Kri­ti­ke­r:in­nen wie die Initiative „Wrangelkiez United“ sagen, die Polizei ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Stichwort: Racial Profiling.

Racial Profiling muss im Zuge der Reform des ASOG, des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, endlich verboten werden. Da sind wir unter Rot-Grün-Rot nicht bis ans Ende gekommen. Es ändert aber nichts daran, dass alle Prak­ti­ke­r:in­nen vor Ort und auch die Wohlfahrtsverbände sagen: Wir brauchen vor Ort Polizei, aber Polizeibeamt:innen, die sie kennen, feste Ansprechpersonen, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeiten können.

Unmittelbar nach dem Gipfel hatten Sie erklärt, der eigentliche Erfolg des Treffens sei die Erkenntnis, dass es mehr Sicherheit nur mit sozialer Hilfe gebe. Hat Sie diese Auch-Fokussierung auf den Bereich Prävention bei Schwarz-Rot überrascht?

Das ist in der Tat neu. Besonders was die SPD betrifft, eine Partei, die sich doch das Soziale so sehr auf die Fahnen schreibt: Da bin ich doch erstaunt, dass erst mal die grünen Bezirksbürgermeisterinnen daherkommen mussten und der Regierende von der CDU einen Sicherheitsgipfel macht, bevor auch die SPD entdeckt, dass man soziale Konflikte nur mit sozialen Maßnahmen lösen kann.

Die aber überhaupt nicht finanziell untersetzt sind…

Richtig. Dass beide Regierungsparteien die Dimension des Problems bislang überhaupt nicht erkannt haben, merkt man an den Haushaltsverhandlungen, wo gerade an den neuralgischen Punkten wie der Drogenhilfe und der Wohnungslosenhilfe sogar Gelder gekürzt worden sind. Das kann kaum die Antwort sein, um der Verelendung im öffentlichen Raum zu begegnen.

Der Zaun wird sicher finanziert, das ist schließlich ein Stück weit die neue „Kotti-Wache“ von SPD-Innensenatorin Iris Spranger. Die Linke befürchtet, dass vom ganzen Katalog am Ende nur der Repressionsteil übrigbleibt. Teilen Sie die Befürchtung?

Ganz klar: Ich lasse nicht zu, dass Schwarz-Rot billig davonkommt mit einem Stück Maschendrahtzaun, das ist nicht der Kern des Maßnahmenpakets. Wenn tatsächlich nur der Teil Repression finanziert wird, wäre das ein persönliches Versagen des Regierenden Bürgermeisters. Denn Kai Wegner hat mit dem Sicherheitsgipfel das Versprechen gemacht, dass man die Verelendung im öffentlichen Raum jetzt endlich gemeinsam und umfassend angeht, und das bedeutet eben Sicherheit und Soziales zusammen. Wenn Schwarz-Rot dafür nicht ausreichend Geld im Haushalt zur Verfügung stellt, dann hat Wegner ein leeres Versprechen an einem Punkt gemacht, der die Menschen in dieser Stadt richtig umtreibt. Das kann er sich nicht leisten.

Sie fordern einen 50-Millionen-Euro-Fonds für urbane Sicherheit. Wie kommen Sie auf die Summe?

Wir wollen einen Fonds, auf den alle zwölf Bezirke zugreifen können, um Maßnahmen vor Ort finanzieren zu können. Denn die Verelendung nimmt in der gesamten Stadt zu, nicht nur am Görli oder am Leo. Gleichzeitig müssen die Kürzungen für Suchthilfe und Wohnungslose zurückgenommen werden. Sollte Schwarz-Rot über die 50 Millionen hinausgehen, werde ich mich garantiert nicht beschweren.

Der Regierende Kai Wegner hat jüngst gesagt, er erwartet von den Grünen, dass sie mehr Pragmatismus entwickeln. Jenseits der Ausfinanzierung der Sicherheitsgipfel-Projekte: Was erwartet Bettina Jarasch von der CDU?

Dass die CDU endlich mal ins Machen kommt. All diese Angriffe auf die Grünen sind immer noch Wahlkampfrhetorik. Das ziemt sich nicht für einen Regierenden Bürgermeister, der seit über vier Monaten im Amt ist. Kai Wegner hat beim CDU-Parteitag am letzten Wochenende ja verkündet, jetzt käme die große Zeit des Sowohl-als-auch. Ich kann nur sagen: Wenn er an solchen Stellen wie den Sicherheitsgipfel-Ankündigungen nicht liefert, dann haben wir am Ende kein Sowohl-als-auch, sondern ein Weder-noch.

Kaufen Sie der CDU Berlin eigentlich ihr fesches neues Image als Allesversöhner und soziale Kümmerer und moderne Großstadtpartei ab?

Das wird Kai Wegner erst beweisen müssen. Eines zumindest möchte ich aber an der Stelle anerkennen: Er hat sehr klare Kante gezeigt in Sachen Zusammenarbeit mit der AfD und in der Hinsicht den Kurs von CDU-Bundeschef Friedrich Merz unmissverständlich zurückgewiesen. Das glaube ich ihm. Das halte ich für wichtig, und ich bin sehr froh, dass er das gemacht hat. Gleichzeitig bin ich gerade ratlos, was Kai Wegner mit seiner offenbar erfundenen Geschichte über 14-jährige Mädchen im Görli erreichen möchte.

Sie meinen die Behauptung Wegners, dass 14-jährige Mädchen von Dealern in Drogensucht und Prostitution getrieben werden?

Genau. Polizei und Staatsanwaltschaft widersprechen dieser Darstellung, Wegner hält trotzdem daran fest. Die Lage im Görlitzer Park ist schlimm genug. Eine solche Lage verträgt keine Fake News aus dem Roten Rathaus.

Wie werden sich die Grünen mit Blick auf das Gutachten zu den CDU-Parteispenden des Immobilienunternehmers Christoph Gröner verhalten? Klagen?

Die Aussagen des Immobilienlobbyisten und des CDU-Chefs Wegner sind sehr widersprüchlich, erst hatte Gröner Bedingungen an seine Spende über 800.000 Euro geknüpft, dann angeblich doch nicht. Kai Wegner darf sich dazu nicht weiter ausschweigen. Wie kam es zur Großspende und welche Absprachen gab es im Hintergrund? Bereits der böse Schein der käuflichen Politik zerstört Vertrauen in die Demokratie. Deshalb erwarte ich, dass sich Kai Wegner und die Berliner CDU dazu verhalten und die Zeit der CDU-Spendenskandale und schwarzen Koffer hinter sich lassen. Unsere Partei prüft das Gutachten und berät noch die nächsten Schritte. Kai Wegner sollte uns allen eine weitere Hängepartie ersparen und selbst für vollständige Transparenz sorgen – indem er die Stellungnahme veröffentlicht, die die CDU im Rahmen der Überprüfung der Spende abgegeben hat.

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