Gudarzi am Nationaltheater Mannheim: Götter, wo seid ihr nur?

Das neue Stück von Amir Gudarzi am Nationaltheater Mannheim spannt einen Bogen der Repression, von Schöpfungsmythen bis zu Marsbewohnern.

Fünf Personen mit buntbemalten Gesichtern und schwarzen Capes stehen in einer Reihe

„Als die Götter Menschen waren“ von Amir Gudarzi Foto: Maximilian Borchardt

Im Falle einer globalen Sintflut – wer wäre da wohl der vertrauenerweckendste Noah? Wenn nicht Trump, dann ganz klar Elon Musk. Als wir ihm bei einer KI-manipulierten Lobrede auf seine eigenen Weltraumschiffe per Video zuschauen, ist die Story im Stück „Als die Götter Menschen waren“ längst zu Ende. Dem E-Auto-Hersteller und Propheten in Personalunion sei Dank! Denn überhaupt erst durch ihn konnten einst zumindest die Reichen auf den Mars gerettet werden.

Unter ihren Nachfahren ist auch Eva. Nachdem sie auf Filmmaterial aus der „alten“ Welt stößt, beginnt sie das Erlösertum des Technikgenies kritisch zu hinterfragen. Mitunter trifft sie auf die irakischstämmige Ingenieurin Ištar (bestechend gespielt von Sarah Zastrau), die sich in einer Tesla-Fabrik mit Giftmüll konfrontiert sieht.

Doch ihr Schicksal ist längst nicht das einzige desillusionierende. Zwar erfreut sich Johnny (Larissa Voulgarelis) an seinem neuen Lebensmittelpunkt Wien, hat jedoch noch die Traumata aus Aleppo im Gepäck. Derweil bemüht sich der Exil-Kurde und Lieferant Mazlum (Leonard Burkhardt) vergebens um eine Betriebsratsgründung bei Amazon.

Was die Figuren mit ihrem literarischen Schöpfer Amir Gudarzi gemein haben, sind einschneidende Migrationserfahrungen. 1986 in Teheran geboren, verließ er 2009 infolge der gescheiterten Proteste gegen die Präsidentschaftswahl sein Land und fasste in Österreich Fuß. Ähnlich seinen Helden hatte er es anfangs nicht leicht, wie sein berührendes Romandebüt „Das Ende ist nah“ (2023) dokumentiert.

Selbsterhaltungsdevise des Heimatlosen

„Als die Götter Menschen waren“, Nationaltheater Mannheim, wieder am 3. und 23.2., 15. und 29.3.

Flüchtet sein autobiografisch angelehnter Protagonist anfangs noch vor dem theokratischen Schreckensregime, sieht er sich in den Flüchtlingsheimen der Alpenrepublik neuen Formen der Gewalt ausgesetzt. Sie reichen von der gesellschaftlichen Ausgrenzung bis hin zu Machtkämpfen unter den Asylbewerbern selbst. „Du bist erschöpft, du bist am Ende. Aber du musst trotzdem weitermachen, weiterkämpfen“, lautet daher die Selbsterhaltungsdevise des Heimatlosen.

Inzwischen haben ihn die Wege als Hausautor ans Nationaltheater Mannheim verschlagen, wo auch die Uraufführung seines aktuellen Dramas stattfindet. Nur leider unter einer beklagenswerten Regie. Obwohl „Als die Götter Menschen waren“ viele Szenenwechsel und Bilder bereithält, obwohl es mit der Repression ein überzeitliches und damit vielfältig anknüpfbares Thema anbietet, erweist sich FX Mayrs Realisierung als hilf- und einfallslos.

Das Debakel beginnt bereits mit seltsamen Kostümen. Wohl eher ungewollt an Hidschābs erinnernd, die für viele die Unterdrückung von Frauen repräsentieren, treten die fünf Schau­spie­le­r:in­nen in den ganzen Körper verhüllenden Mänteln mit schwarzen Zotteln auf. Wenn sie sie mal ablegen, fragt man sich: Wofür stehen sie? Für die doppelten Identitäten zwischen Herkunfts- und Fluchtland? Oder gar für die Verbindung zwischen den Erdenbewohnern und den Herrschern des Himmels?

Diese Annahme erscheint, wenn überhaupt, noch am plausibelsten, zumal Gudarzi seine kritische Menschheitsschau mit einer alten Schöpfungssage, dem 1800 v. Chr. entstandenen Atrabasi-Epos aus Mesopotamien, unterlegt. Seuchen wie Hungersnöte werden darin erwähnt, und ebenso die Götter, die die Menschen als Arbeitssklaven erschaffen – nur um sie im vorliegenden, ironischen Text aufgrund ihres Lärms baldmöglichst wieder in den Orkus zu schicken.

Inszenierung mutet ausgelutscht an

Zwischen den sich abwechselnden Szenen um Ištar, Mazlum und Johnny feiern sich die metaphysischen Narzissten selbst. Oder sie tanzen bisweilen zu Elektrobeats. Diese akrobatischen Intermezzi erschließen sich genauso wenig wie die seltsamen Fransenoutfits oder der immer wieder gänzlich willkürlich in den Raum geblasene Bühnennebel. Allenfalls fungieren die Choreografien noch als Dekor und sorgen für einen kurzen Stimmungswechsel zwischen den ansonsten weitestgehend monologischen Texten der drei Menschen.

Die Inszenierung will offenbar hip sein und mutet doch oft ausgelutscht an. Etwa wenn die Marsbewohner in – ach – so noch nie gesehenen Neonanzügen auf vor einem durch zwei Farben erahnbaren Horizont auftreten. Da die gesamte Aufführung selbst nicht weiß, was sie mit einem ambitionierten und vielschichtigen Drama anfangen soll, wird dieser richtungslose und ins Nirgendwo zielende Blick zur unglücklichen Metapher für diesen Abend.

Umso mehr muss man sich an Gudarzis Text halten und traurig-schönen Wen­dungen wie „Ich bin eine gehende Wunde, die seit Jahren offen ist“ im Innern jenes Gewicht verleihen, das man ihnen seitens der Regie nicht gegeben hat. Genau dann wird man der existenziellen Aussage des Werks gewahr: Geschichte wiederholt sich, als endlose Verletzung.

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