Kein Abkommen für die Hamas-Geiseln: Ein Nein mit hohem Preis

Was die Terrorgruppe Hamas fordert, ist viel. Dass Israels Ministerpräsident Netanjahu einen Deal zur Geiselfreilassung ablehnt, ist dennoch erbarmungslos.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, empfängt Antony Blinken, Außenminister der USA.

US-Außenminister Blinken in Israel Foto: Amos Ben-Gershom/GPO/dpa

Es muss den Angehörigen und FreundInnen der von den Islamisten in den Gazastreifen entführten Menschen ein Schauer durch den Körper gegangen sein, als sie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahus Reaktion auf die Forderungen der Hamas hörten. Auf absehbare Zeit wird es wohl keinen weiteren Tausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge ­geben. Das ist eine bittere Nachricht vor allem für die, die seit über vier Monaten in ständiger Todesangst, hungernd und durstend irgendwo in dem kaum belüfteten Tunnellabyrinth ausharren und vergeblich auf Rettung warten. Netanjahus klares Nein zu dem zweifellos hohen Preis, den die Hamas für einen erneuten Handel zur Bedingung macht, ist kaltblütig und erbarmungslos.

Einen kompletten Waffenstillstand fordern die Islamisten, den Truppenabzug und die Freilassung von zunächst 1.500 palästinensischen Häftlingen, darunter hunderte, die lebenslange Gefängnisstrafen absitzen, weil sie an blutigen Terroranschlägen beteiligt waren. Das Zögern nicht nur Netanjahus, sondern auch zahlreicher israelischer BürgerInnen davor, diese Verbrecher wieder auf freiem Fuß zu wissen, ist nachzuvollziehen.

Sinwar ist das beste Beispiel für die Gefahr eines solchen Deals

Niemand muss glauben, dass sich die Männer, die Jahre in israelischen Gefängnissen verbrachten, nach ihrer Entlassung für eine friedliche Lösung einsetzen. Jahia Sinwar, der zentrale Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober, ist das beste Beispiel dafür, dass es gute Gründe für die verbreitete Angst gibt. Er kam 2011 bei dem Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit auf freien Fuß. Sinwar hat erklärtermaßen seine Haftzeit genutzt, um den Feind zu studieren.

Über fünf Jahre hielt die Hamas Schalit in Geiselhaft. Um sein Leid zu beenden, hat sich die Regierung – auch damals unter der Führung Netanjahus – durchgerungen, mehr als eintausend palästinensische Häftlinge zu entlassen. Damit liegt die Latte für weitere Geiselverhandlungen hoch.

Noch sind rund 100 Verschleppte am Leben, vielleicht sogar nur noch 85, wenn man Vermutungen, die das Wall Street Journal veröffentlichte, Glauben schenkt. Vielleicht noch weniger. Sie hätte keine weiteren 50 Tage überlebt, sagte eine Israelin, die bei dem ersten Tausch auf freien Fuß kam. Jeder weitere Tag in Geiselhaft kann ein Todesurteil sein. Jetzt alle Geiseln nach Hause zu bringen muss höchste Priorität haben – egal um welchen Preis. Wenn der oder die letzte Verschleppte frei ist, kann der Kampf gegen die Terroristen weitergehen.

Es ist keine Zeit zu vergeuden, sonst gibt es bald keine lebende Geisel mehr, um deren Entlassung man verhandeln könnte.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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