Kriminalstatistik der Polizei: Es geht um soziale Ursachen

Die neue Kriminalstatistik nutzt nicht nur die AfD für Parolen gegen „Multikulti“. Dabei zeigt ein genauerer Blick, dass ein Zusammenhang haltlos ist.

Symbolbild Festnahme

Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von ihnen ist übrigens „nichtdeutsch“ Foto: Monika Skolimowska/dpa

Die Reflexe sprangen sofort wieder an. Wie bestellt ätzte die AfD über „importierte Kriminalität“ und „Multikultiwahn“. Vertreter der Union erklärten „illegale Migration“ zum „Sicherheitsrisiko“, forderten Abschiebungen, Grenzkontrollen und, mal wieder, eine Obergrenze. Auch Teile der FDP stimmten ein. Polizeigewerkschafter forderten mehr Personal und Befugnisse. Alles erwartbar, alles routiniert. Es ist ein alljährliches Schauspiel, sobald die polizeiliche Kriminalstatistik präsentiert wird. Ein zumeist folgenloses.

Dabei geben die Zahlen durchaus Grund zum Tätigwerden. Nur eben nicht so wie derzeit diskutiert. Gut 5.940.000 Straftaten zählte die deutsche Polizei im vergangenen Jahr, ein Plus von 5,5 Prozent und der höchste Wert seit 2017. Die meisten davon waren Diebstähle (ein Drittel), es folgten Betrug (12 Prozent) und Körperverletzungen (10 Prozent). Gewaltdelikte stiegen um gut 8 Prozent, Raubtaten um 17 Prozent, Messerangriffe um knapp 10 Prozent. Gerade Kinder und Jugendliche verübten mehr Straftaten. Und eben auch Menschen, die in der Statistik als „Nichtdeutsche“ gezählt werden.

Beruhigend ist das nicht, Grund für Panik aber auch nicht. Die Gesamtzahl der Delikte lag jahrelang, von 1993 bis 2016, fast durchweg höher. Und auch die Straftaten der „Nichtdeutschen“ gingen nach 2016 mehrere Jahre zunächst zurück. Alles wird immer schlimmer? Nein. Und das BKA stellte sich schon darauf ein, dass es nach dem Ende der Corona-Einschränkungen wieder mehr Tatgelegenheiten und damit mehr Delikte geben würde.

Zudem wächst in Deutschland die Bevölkerung und mit ihr die Zahl der Straftaten. Mehr „nichtdeutsche“ Be­woh­ne­r*in­nen führen dann auch zu mehr Delikten aus dieser Gruppe – setzt man dies ins Verhältnis, nivelliert sich der Anstieg. Und gerade Geflüchtete weisen mehrere Risikofaktoren auf: Sie sind oft jung und männlich, bringen eigene Gewalterfahrungen mit, leben in beengten Unterkünften und in sozial angespannter Lage. Es sind Faktoren, die im Übrigen bei allen eine Anfälligkeit für Kriminalität erhöhen. Den Vorwurf der kulturellen Prägung stützt die Kriminologie nicht: Nicht die Nationalität ist entscheidend, sondern die soziale Lage, lautet dort der Befund.

Ganz abtun sollte die Debatte aber auch die gesellschaftliche Linke nicht. Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden

Und es bleibt dabei, dass die Kriminalstatistik nur die Straftaten zählt, die der Polizei auch bekannt wurden – und damit nicht die Kriminalität an sich. Offen bleibt das zumeist große Dunkelfeld und die Frage, ob sich Zahlen nur deshalb erhöhen, weil die Polizei oder Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei einem Delikt genauer hinschauen. Genauso bleibt es dabei, dass die Kategorie der „Nichtdeutschen“, die jetzt zu Aufregung führt, von der Polizei denkbar divers befüllt wird: mit Geflüchteten, Touristen oder langjährigen Ein­woh­ner*in­nen ohne deutschen Pass; und mit Straftaten wie „unerlaubter Einreise“, die nur „Nichtdeutsche“ begehen können – die zudem auch noch öfter angezeigt und von der Polizei kontrolliert werden. Verallgemeinern lässt sich so also nicht. Hier könnte die Debatte bereits enden. Tut sie aber nicht – denn zu sehr sind die Zahlen eine vermeintliche Steilvorlage für diejenigen, die Migration schon immer ablehnen.

Fokus auf Intensivtäter

Ganz abtun sollte die Debatte aber auch die gesellschaftliche Linke nicht. Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von ihnen ist übrigens „nichtdeutsch“. Natürlich gehört jede Straftat verfolgt, egal wer sie beging. Ein Fokus auf Intensivtäter wäre sinnvoll – egal woher sie kommen. Gerade Gewalt von Jugendlichen kann die kommende Generation prägen; hier sollte nichts einreißen. Zudem zeigen Dunkelfeldstudien und Opferbefragungen, dass auch dort eine Zunahme an Straftaten berichtet wird. Eine bloße Schimäre ist die Kriminalstatistik also nicht.

Als Antwort nun auf Abschiebung und Obergrenze zu setzen wird nicht funktionieren, schon praktisch nicht. Viele der Tatverdächtigen leben seit Langem in diesem Land oder schon immer und werden dies auch weiterhin. Auch wenn es mehr kostet: Angesetzt werden muss nicht beim Pass, sondern bei den sozialen Ursachen.

Es braucht Teilhabe, Perspektiven, Bildung, Hilfen für Menschen in Notlagen – für alle. Deutlich gestärkt werden müssen Projekte, die in die Schulen gehen, in die Geflüchtetenunterkünfte, in die so­zia­len Brennpunkte. Dort muss klargemacht werden, welche Folgen Gewalt hat – für die Täter, aber auch für die Opfer. Umso fataler, wie zuletzt über das Bürgergeld oder Kinderarmut diskutiert wurde, über Kürzungen bei der Migrationsberatung oder psychosozialen Zentren für Geflüchtete. Wer hier spart, wird Probleme nicht lösen, sondern nur verschärfen – und keine Zahl in der Kriminalstatistik verbessern.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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