Muslimfeindlichkeit in Deutschland: Hassbriefe und Hakenkreuze

Seit dem Hamas-Angriff auf Israel haben antimuslimische Vorfälle bundesweit stark zugenommen. Doch die Politik meidet das Thema.

Eine Frau schaut sich ein Palästinensertuch vor einem Geschäft an.

Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln betrachtet eine Passantin eine Kufiya, das sogenannte Palästinensertuch Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Ein türkischer Imbiss in Nürnberg erhält eine Online-Bestellung mit rassistischer Botschaft. Ein muslimisches Paar, das sich in Nordrhein-Westfalen auf eine Wohnung beworben hatte, bekommt vom Vermieter eine mit rassistischen Beleidigungen gespickte Absage. Ebenfalls in Nordrhein-Westfalen wurde eine syrische Frau auf einer Parkbank rassistisch beleidigt und geschlagen. In Berlin wurde eine andere Frau, die einen palästinensischen Schal trug, in der U-Bahn von Betrunkenen gefragt, ob sie Hamas-Anhängerin sei, und anschließend auf die Gleise gestoßen.

Das sind vier von 170 antimuslimischen Vorfällen, welche die Organisation „CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ zwischen dem 9. Oktober und dem 26. November gesammelt hat – zwischen drei und vier solcher Vorfälle pro Tag, und damit doppelt so viele wie sonst. Allein 24 Übergriffe betreffen religiöse Einrichtungen: Mehrere Moscheen und islamische Organisationen in Deutschland erhielten in den vergangenen Tagen Hassbriefe, die Plastikbeutel mit verbrannten Koranseiten, Schweinefleisch und Hundekot enthielten. An einige Moscheen wurden Hakenkreuze und Davidsterne geschmiert, oder sie erhielten Drohanrufe. In Magdeburg wurden muslimische Grabsteine beschmiert.

„Man hört von diesen Fällen so wenig. Das mediale Echo und die fehlende Skandalisierung sind verheerend. Woran liegt das?“, fragt die Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami, die an der Freien Universität Berlin lehrt. Die Antwort darauf ist vielschichtig. So werden antimuslimische Übergriffe weniger umfassend erfasst als etwa antisemitische Vorfälle. CLAIM zum Beispiel trägt Fälle zusammen, die über das Meldeportal I-Report und andere Beratungsstellen gemeldet werden oder über die in Medien berichtet wird.

Das umfasst Beleidigungen, Diskriminierungen, Sachbeschädigungen und körperliche Gewalt. Anders als die Meldestelle RIAS, die antijüdische Vorfälle dokumentiert, erfasst CLAIM aber weder den großen Bereich der Online-Hetze in Sozialen Medien noch antimuslimische Parolen, die auf Demonstrationen skandiert werden. Daher wirkt die Zahl im Vergleich gering. Doch das Dunkelfeld ist groß.

Zu wenig Zahlen, zu wenig politischer Wille

Behörden und Meldestellen sollten solche Vorfälle systematischer erfassen und es brauche mehr Studien dazu, darüber sind sich die meisten Experten einig. Amir-Moazami bezweifelt aber, dass dem Problem allein mit mehr Studien und Zahlen beizukommen sei. „Viele Zahlen sind ja seit Langem bekannt. Ihre Reproduktion hat aber nichts am Phänomen geändert.“ Es brauche auch die öffentliche Bereitschaft und den politischen Willen, sich damit auseinanderzusetzen. „Beides sehe ich derzeit nicht“, sagt die Wissenschaftlerin pessimistisch.

Es sei „schwer für Muslime zur Zeit“, sagt die Studentin Dilek Öner (Name von der Redaktion geändert), die bei einem islamischen Verband arbeitet und ein Kopftuch trägt. Seit Oktober habe sich die Stimmung definitiv verschärft. Sie habe als Schülerin den 11. September und die Folgen erlebt. Jetzt fühlt sie sich in diese Zeit zurück versetzt, weil Muslime wieder pauschal mit Terror in Verbindung gebracht würden. „Das ist frustrierend und ich frage mich: haben wir in den vergangenen 20 Jahren nichts gelernt?“ Von der deutschen Politik ist sie enttäuscht: „Ich hätte mir gewünscht, dass sich Politiker vor uns gestellt und gesagt hätten: Unsere Muslime haben damit nichts zu tun. Stattdessen wurden wir von Leuten wie Cem Özdemir sofort in Mithaftung genommen. Gerade er müsste es doch besser wissen.“

Zeynep Demir, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld, warnt vor den Folgen solcher „Missachtungserfahrungen“: Diese könnten „zu Stress, Angst und Unsicherheit führen“, sagt sie. „Manche versuchen deshalb, bestimmte Orte zu vermeiden oder wenn es geht zu verbergen, dass sie Muslime sind.“ Junge Muslime würden laut Studien häufiger über Diskriminierung berichten als ältere Muslime. „Sie können das oft besser benennen und sind sich dessen bewusster“.

„Nur die Spitze des Eisbergs“

Wir haben in Deutschland „auch ein ernstes Problem mit antimuslimischem Rassismus“, sagte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, am Dienstag bei einem Roundtable-Gespräch der Jungen Islam Konferenz (JIK) in Berlin. Das sei schon vor der aktuellen Eskalation im Nahen Osten deutlich gewesen. „Bis September diesen Jahres haben die Behörden rund 700 antimuslimische Übergriffe registriert“, so Ataman. „Wir wissen außerdem, dass die Kriminalstatistik nur die Spitze des Eisbergs abbildet, weil die meisten Fälle nicht angezeigt werden.“

„Jede dritte muslimische Person berichtet in Umfragen darüber, schon einmal diskriminiert worden zu sein“, betont Ferda Ataman und sagt: „Das liegt auch an den politischen und gesellschaftlichen Debatten, die wir führen.“ Den Vorschlag der Union, Einwanderern in bestimmten Fällen den Pass zu entziehen, kritisiert sie scharf: „Man kann nicht ‚Nie wieder!‘ sagen und im gleichen Atemzug nach Ausbürgerungen rufen. Das sollte gerade nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus klar sein“.

Im Innenausschuss des Bundestags sollte es am Mittwoch ebenfalls um Muslimfeindlichkeit gehen. Doch das Innenministerium wollte dort lieber über Islamismus und Antisemitismus unter Muslimen sprechen. Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor zeigte sich anschließend schockiert: „Dass Muslime tagtäglich Opfer von Hass und Hetze werden, wurde schlicht nicht behandelt.“ Man dürfe das aber nicht gegen andere Probleme ausspielen oder den Eindruck erwecken, dass Muslime selbst daran schuld trügen. „Ich wünsche mir vom Innenministerium, dass es das Thema erst nimmt und wir es als Drucksache im Plenum des Bundestags behandeln“, fordert Kaddor.

Hinweis: Daniel Bax ist ehrenamtlich im Beirat von CLAIM tätig.

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