Mutterschaft in sozialen Medien: Ohne jemals gegoogelt zu haben

Ohne je live bei einer Geburt dabei gewesen zu sein, weiß unsere Autorin viel über Schwangerschaft, Geburt und Erziehung. Aber was tun mit dem Wissen?

Eine Hebamme tastet den Bauch einer schwangeren Frau ab

Schwangerschaft und Geburt wird in den sozialen Medien offen verhandelt Foto: Annette Riedl/dpa

Ich weiß, dass die meisten Mütter denken, dass sich alle, die keine Kinder haben, nicht vorstellen können, wie anstrengend Muttersein wirklich ist. Weil sie auch mal keine Kinder hatten und sich ihr heutiges Leben nicht annähernd so hätten ausmalen können. Ich glaube, dass das vor Social Media auch hundertprozentig der Fall war.

Seit es aber (werdende) Mütter gibt, die Schwangerschaft und Erziehung auf Social Media teilen, intime Fragen beantworten, die Geburt mitfilmen, ihren Bauch direkt nach der Entbindung zeigen, genauso wie die schlaflosen Nächte, wochenlang ungewaschenes Haar und blutende Nippel – haben auch kinderlose Menschen ein ganz ordentliches Bild davon, wie es ist, Mutter zu sein.

Durch die sozialen Medien weiß ich zum Beispiel, wie teuer Baby-Equipment, wie anhänglich Kinder, wie ungleichberechtigt dann doch die heterosexuelle Partnerschaft ist und wie einsam sich Mütter fühlen. Ich kann mir vorstellen, dass aufgrund dieser ehrlichen Abbildung von Mutterschaft auf Instagram, Twitter und YouTube weniger Menschen in Zukunft Kinder bekommen werden.

Ohne also jemals live bei einer Geburt dabei gewesen zu sein, weiß ich gar nicht mal so wenig über Schwangerschaft, Geburt und Erziehung. Ich weiß, ab welcher Woche ein Baby wie groß ist, weil Schwangere auf Instagram ihre Ultraschallbilder neben Früchten posten, die die Größe ihres Babys haben. Ich weiß, wann Schwangere einen Zuckertest machen müssen. Ich weiß von den Dehnungsstreifen und aufploppenden Bauchnabeln, davon, wie oft man aufs Klo muss und wie geschwollen die Füße sind.

Von Dammrissen und Trotzphasen

Ich weiß, dass Geburten tagelang unter schlimmsten Schmerzen im Krankenhaus verlaufen können, von Notkaiserschnitten, Dammrissen, Nachwehen, Kot. Von zahnenden Babys und dem Trotzphasen-Horror und davon, wie überfordernd und unvereinbar das Leben als Mutter ist. Das alles weiß ich allein durch Social Media, ohne es jemals gegoogelt zu haben.

Seit einigen Jahren werden mir solche Videos und Profile automatisch in meinem Feed angezeigt. Ich habe zig Schwangerschaften von fremden Personen im Internet miterlebt, die Kinder sind mittlerweile schon schulpflichtig. Mein gleichaltriges männliches Umfeld bekommt das alles nicht angezeigt und weiß nicht ansatzweise so viel. So fängt das Ungleichgewicht bei zukünftigen Eltern schon an.

Viele Mütter reden so offen auf Social Media, weil sie selbst vorher gern gewusst hätten, wie es wirklich ist, ein Kind zu haben. Ich bin mir aktuell noch nicht ganz sicher, ob ich das alles gern weiß, was ich jetzt weiß. Das soll auf keinen Fall urteilend klingen, wenn es etwas gibt, was Mütter nicht brauchen, dann noch eine weitere Person, die sie verurteilt. Ich weiß nur nicht, wie ich etwas ändern oder mich gegebenenfalls vorbereiten sollte.

Worüber ich aber seit Social Media schon öfter nachdenke: Warum ergreift niemand wirklich Partei für Mütter? Als würde uns das alles nicht betreffen. Und wenn es uns dann doch irgendwann vielleicht persönlich betrifft, bleiben neben all der Überforderung keine Kapazitäten, sich auch noch politisch zu engagieren.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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