Nach Bootsunglücken vor Lampedusa: Notstand als neue Normalität

Das Aufnahmelager auf der Insel Lampedusa ist wieder überfüllt. In den letzten Tagen erreichten erneut rund 2.000 Geflüchtete die Küste Italiens.

Geflüchtete mit Rettungswesten in einem Boot

Die spanische Open Arms rettete in der letzten Woche in zehn Einsätzen 199 Menschen Foto: Valeria Ferraro/AA/picture allianceF

ROM taz | Erneut sind in der Straße von Sizilien wohl zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Am Samstag kenterten rund 50 Kilometer vor Lampedusa bei schwerer See zwei Boote, die 92 Personen an Bord hatten. 57 von ihnen konnten gerettet werden, doch ein Kleinkind, vermutlich kaum älter als ein Jahr, sowie eine junge Frau wurden tot geborgen, und 33 Menschen werden vermisst. Ihre Überlebenschance ist minimal.

Schon am Freitag war ein weiteres Boot an den Felsen der Küste Lampedusas zerschellt. Alle 34 Insassen hatten sich an Land retten können, mussten dann aber dort zwei Tage lang ausharren, da die zerklüfteten Felsen von Land aus nicht erreichbar sind und da eine Bergung vom Meer aus wegen der hohen Wellen unmöglich war. Zunächst wurden sie aus der Luft mit Lebensmitteln und Wasser versorgt, ehe sie dann am Sonntag mit einem Hubschrauber von der Klippe geholt wurden.

Die meisten von ihnen wurden ins Aufnahmelager auf der Insel gebracht, während drei Frauen ins örtliche Krankenhaus kamen. Das auf 400 Menschen ausgelegte Lager ist gegenwärtig wieder heillos überfüllt; rund 2.400 Personen werden derzeit dort beherbergt. Am Montag sollten 360 Personen mit Flügen nach Sizilien gebracht werden, da die Überfahrt mit der Fähre wegen der schlechten Witterungsbedingungen unterbrochen ist.

Die meisten Flüchtlinge starten in Sfax, Tunesien

Damit setzt sich jener „Notstand“ fort, der schon seit Monaten Normalität ist: Auch in den letzten Tagen erreichten wieder rund 2.000 Flüchtlinge Lampedusa. Die meisten von ihnen waren im tunesischen Sfax in See gestochen. Im Jahr 2023 haben bisher 92.000 Menschen auf dem Seeweg Italien erreicht, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.

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Für Italiens Rechtsregierung ist das ein alles andere als zweitrangiges Problem, hatte sie doch im Wahlkampf vor einem Jahr verkündet, sie werde dem weiteren Zustrom von Mi­gran­t*in­nen einen Riegel vorschieben. Den Worten waren Taten gefolgt. Zunächst hatte Innenminister Matteo Piantedosi den in der Seenotrettung tätigen NGOs schikanöse Arbeitsbedingungen aufgelegt. Danach dürfen sie pro Einsatz nur noch eine Rettungsaktion durchführen und müssen danach sofort den ihnen von Rom zugewiesenen Hafen ansteuern, um so „multiple Rettungsaktionen“ zu verhindern. Und jene Häfen liegen oft weit im Norden, mehr als 1.000 Seemeilen vom Einsatzgebiet entfernt, womit die NGO-Schiffe bis zu einer Woche aus dem Verkehr gezogen sind.

Tunis treibt Menschen zur Flucht übers Mittelmeer

Zudem hat Ministerpräsidentin Meloni in den letzten Monaten eine rege diplomatische Aktivität entfaltet, war sie mehrfach – begleitet auch von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – mit Tunesiens Präsident Kais Saied zusammengetroffen, hatte die EU Saied auf Italiens Initiative hin Millionenhilfen in Aussicht gestellt, damit Tunesien weitere Abfahrten verhindere. Kein Thema war in dem Dialog mit Tunesien allerdings die Tatsache, dass Präsident Saied mit seiner Kampagne gegen Mi­gran­t*in­nen aus dem subsaharischen Afrika und den dadurch ausgelösten, teils pogromartigen Verfolgungen in den letzten Monaten überhaupt erst tausende Menschen zur Flucht übers Mittelmeer Richtung Italien getrieben hat.

Resultate in ihrem Sinne kann Meloni bisher nicht verbuchen, und bei den Schikanen gegen die NGOs ruderte die Regierung in den letzten Tagen wenigstens teilweise zurück. So erfolgten jetzt mehrfach auf direkte Anweisung der italienischen Küstenwache hin multiple Rettungsaktionen, so rettete die spanische Open Arms in der letzten Woche in zehn Einsätzen 199 Menschen.

An der Schikane der Zuweisung weit entfernter Häfen hält die Regierung dennoch fest. Trotz des schlechten Wetters sollte die Open Arms erst einen Teil der Flüchtlinge in Lampedusa ausschiffen, dann aber ins apulische Brindisi weiterfahren. Selbst konnte die Küstenwache die dann von den NGOs durchgeführten Einsätze nicht fahren: Ihren Schiffen war der Sprit ausgegangen, weil mangels rechtzeitiger Lieferung die Treibstofftanks auf Lampedusa leer waren.

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