Neue Zugstrecke in Mexiko: Rollendes Denkmal für Präsidenten

Der „Tren Maya“ in Mexiko soll die indigene Bevölkerung aus der Armut holen. Doch nicht nur die hält wenig von dem Prestigeprojekt des Staatschefs.

Männer lesen Zeitungen, auf denen ein Zug und der Titel "Tren Maya" zu sehen ist

Ein Projekt gegen die Armut – mit Folgen für die Umwelt: der Maya Zug Foto: Artur Widak/NurPhoto

BERLIN taz | Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador nennt ihn ein „Meisterwerk“: Der Tren Maya, der Maya-Zug, soll nach einer Rekordbauzeit von nur dreieinhalb Jahren rollen. Und bei der Eröffnung des ersten von sieben Streckenabschnitten am Freitag machte López Obrador, der in Mexiko meist „Amlo“ genannt wird, deutlich, dass er sich mit dem Projekt selbst ein Denkmal gesetzt hat. Er ließ es sich nicht nehmen, zur Jungfernfahrt in einem der grünweißen Waggons mitzufahren und von einem „Zünder für die wirtschaftliche Entwicklung des Südens“ zu schwärmen.

Der Zug ist das zentrale Infrastrukturvorhaben der Regierung Amlos und wird die Halbinsel Yucatán mit den anliegenden Bundesstaaten Quintana Roo, Campeche Tabasco und Chiapas massiv verändern. Auf insgesamt 1.554 Kilometern verbindet er Urlaubsorte mit archäologischen Stätten der Maya-Hochkultur. Das Megaprojekt soll der ganzen Region einen ökonomischen Schub geben, sie aus der Armut holen, das hat Amlo immer wieder betont.

Doch dass ihm das gelingt, ja, dass der Präsident das wirklich vorhat, bezweifeln viele Umwelt- und Men­schen­recht­le­r:in­nen. Camila Jaber etwa, die Vorzeigeathletin Mexikos im Höhlen- und Tiefseetauchen. „Dieses Projekt zerstört die Biodiversität und die Ökosysteme, die eine Vegetation wie im Amazonasgebiet zeigen“, sagt sie. „Und das alles auf Kosten der dort lebenden indigenen Völker, mit fatalen Konsequenzen für die ganze Welt.“

Jaber ist Sprecherin des Kollektivs SOS Cenote“. Cenoten werden die unterirdischen, mit Süßwasser gefüllten Höhlen genannt, die zu den Attraktionen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán gehören und sich unter anderem nahe dem Playa del Carmen erstrecken. Kaum jemand kennt sie so gut wie die Sportlerin. Nun sollen die Höhlen für den Massentourismus erschlossen werden, was nicht nur an sich schon ein Problem ist – der fünfte Streckenabschnitt verläuft nach Ansicht des Kollektivs auch noch viel zu nahe an den Cenotes von Quintana Roo. Das gefährde die Höhlen – und die Sicherheit des Zugs.

Zerstörung von Lebensraum, Kultur und Traditionen

Doch die Kritik geht viel tiefer. Denn nach Ansicht indigener Organisationen verstößt das Infrastrukturprojekt, das nach den Maya benannt ist, gegen alles, was deren Kultur ausmacht. Es zerstöre Lebensraum, Kultur und Traditionen, anstatt sie zu erhalten.

Der Nationale Indigene Kongress und etliche Gemeinden haben deshalb gegen den Zug mobilgemacht. Sie haben die Gerichte eingeschaltet, auf ihr Recht hingewiesen, das in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker verankert ist: vorher befragt zu werden und zustimmen zu müssen. Sie haben dargelegt, dass Umweltgutachten fehlten oder zu spät vorgelegt wurden. Erfolglos.

Die mexikanische Umweltorganisation Cemda moniert, dass die Zugtrasse die Selva Maya zerschneidet – das zweitwichtigste Waldreservat Lateinamerikas nach dem Amazonas. 2.500 Hektar Regenwald seien gerodet worden, in der Region lebende bedrohte Tierarten wie Pumas, Jaguare, Iguanas, Fledermäuse nun noch stärker gefährdet.

Für Mexikos Regierung wiegen die wirtschaftlichen Vorteile schwerer. Und sie hat auch die Unterstützung vieler Menschen in der Region, die sich Jobs nicht nur im ohnehin boomenden Tourismus versprechen. Der wird in jedem Fall von dem Projekt profitieren.

Projekt rigoros durchgedrückt

Die übrigen Abschnitte des Tren Maya sollen im ersten Quartal 2024 in Betrieb genommen werden. In einer zweiten Phase sollen auf der Strecke auch Güterzüge rollen, was die Wirtschaft im Südosten des Landes ankurbeln soll. Befürchtungen von Geologen, dass der Boden unter dem hohen Gewicht einsacken könnte, wischen die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Regierung beiseite.

Pedro Faro, Menschenrechtler

„Die Region wird militarisiert, Recht ausgehebelt“

Experten wie Pedro Faro vom Menschenrechtszentrum Frayba in San Cristóbal de las Casas kritisieren vor allem, wie rigoros das Projekt durchgedrückt wurde. „Mexikos Präsident stufte die Bauarbeiten per Dekret als Angelegenheit der nationalen Sicherheit ein. Seitdem werden sie unter der Aufsicht der Armee durchgeführt, die Region wird militarisiert, nationales Recht ausgehebelt“, kritisierte Faro bei einer Visite in Deutschland im September.

Präsident López Obrador hat Umweltgruppen sogar öffentlich bezichtigt, mit seinen politischen Gegnern zusammenzuarbeiten – in Mexiko ein gefährlicher Vorwurf. UN-Organisationen kritisieren ohnehin, dass Angriffe auf Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen zugenommen haben, sie massiv bedroht würden. Und sie monieren, dass das Militär federführend an den Bauarbeiten beteiligt ist. Dessen Befugnisse hat Amlo zuletzt ausgeweitet. Es ist auch beim Bau von Flugplätzen und anderen Projekten dabei. Doch der Tren Maya ist eine neue Dimension.

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