„Oktober in Europa“ von Antilopen Gang: Mit dem Schürhaken hinter der Tür

Der Song „Oktober in Europa“ der Antilopen Gang wird kontrovers diskutiert. Dabei ist es eine berührende Momentaufnahme in Sachen Antisemitismus.

Drei mittelalte Männer stehen in einer Schwarzaufnahme in einem Flur

Traurige Intervention in einer toxischen gesellschaftlichen Situation: die Antilopen Gang Foto: Danny Koetter

„Oktober in Europa“ von der Antilopen Gang ist ein zutiefst trauriger Song über das erneute Aufkommen des Antisemitismus und einen verfehlenden Umgang damit. In seinen musikalischen Mitteln ist das Lied eher schlicht – ein schleppender Rhythmus, dunkle, getragene Streicher –, doch entscheidend sind die glaubhaft vorgetragenen Ich-Botschaften, die der Text sendet.

„Du gehst mit Kippa noch nicht mal auf die Champs-Élysées“ und „Seit dem 7. 10. will ich das Gespräch nicht mehr suchen / Überraschung: Auch Greta hasst Juden“ heißt es in der ersten Strophe. Die zweite Strophe schildert eine ganz konkrete und tatsächlich realistische Szene: „Es ist kalt geworden, sie macht die Heizung an / Und bringt die Klein’n dann ins Bett, sagt ihn’n: ‚Keine Angst‘ / Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahm’n / Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken“.

Öffentlich getragene jüdische Symbole bringen einen in Gefahr, man wappnet sich mit einem Schürhaken für mögliche Überfälle. Das sind in diesem Song keine aggressiv vorgetragenen Slogans, es ist eine verstörende und in vielem auch ratlos machende Momentaufnahme.

„Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi / Führe lieber keine Diskussionen auf der Party“, heißt es in der zweiten Strophe weiter. Ein toxisches gesellschaftliches Klima wird nachvollziehbar beschrieben. Vor diesem Hintergrund wendet sich die dritte Strophe direkt an die deutsche Indie-, Rap- und Antifa-Szene, also konkret auch an die Fans der Band.

Über ein Konzert vor der Roten Flora heißt es: „Siebentausend Antifas machen ein’n auf Wir-Gefühl“, und im übernächsten Vers kommt die bittere Wendung: „Und ein’n Monat später waren alle seltsam ruhig.“ Auch hier ist ganz klar, worauf sich der Text bezieht: die in vielem indolente und relativierende, teilweise auch offen das Geschehen negierende Reaktion in linken Kreisen auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel.

„Nachfahr'n der Juden-Vergaser“

Erst fast ganz am Schluss des Songs fallen die beiden Verse, die die Kollegin Lea Fauth in dieser Zeitung vehement angegriffen hat. „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas“, lautet der eine Vers, woran es, bei aller Bitterkeit, wenig zu deuteln gibt. Der entscheidende Vers aber lautet dann: „Schutzschild der Nachfahr’n der Juden-Vergaser“.

Aus diesem Vers leitet Lea Fauth eine Holocaust-Relativierung und eine Projektion deutscher Schuld auf andere ab. Das ist aber ein großes Missverständnis. Dass mit den „Nachfahr’n der Juden-Vergaser“ wir heute lebenden Deutschen gemeint sind, wird aus dem Zusammenhang des Textes klar.

Das ganze Lied wird aus einer Perspektive vorgetragen, der bewusst ist, aus einer postarischen Gesellschaft zu stammen. Die Intervention richtet sich ja gerade gegen Menschen, die das vergessen. Außerdem ist gleich im nächsten Vers von „,Blabla, nie wieder Blabla'-auf-Instagram-Sager[n]“ die Rede; also eindeutig von deutschen Diskursteilnehmern.

Dass die Zivilisten in Gaza als Entschuldigung für Antisemitismus in Deutschland herhalten und in diesem Sinne „Schutzschild der Nachfahr’n der Juden-Vergaser“ sein müssen, ist ein harter und auch diskussionswürdiger Vorwurf. Doch diese Lyrics stammen nicht aus einem Thesenpapier, sondern einem Rapsong. Sie intervenieren in eine konkrete gesellschaftliche Lage.

Wer diesen Vorwurf kritisiert, sollte ihm direkt ins Auge sehen und ihn keineswegs dazu benutzen, die ratlose Traurigkeit und den mit ihr verbundenen konkret kritischen Impuls dieses Songs zu delegitimieren.

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