Roman „Nachhausekommen“: Die Boheme im Zonenrandgebiet

Jan Peter Bremers ist für seine skurrilen Texte bekannt. Nun erschien sein Kindheitsroman aus der Zeit einer Westberliner Künstlerkolonie.

Portrait des Autors Jan Peter Bremer

Der Autor Jan Peter Bremer Foto: Andreas Hornoff/Piper verlag

Irgendwann, das war zu ahnen, würde Jan Peter Bremer bestimmt die Geschichte seines Vaters und der in Westberlin berüchtigten Künstler der „Rixdorfer Drucke“ aufschreiben – mit all ihren Trinkgelagen, Fußballspielen und Grafik-Happenings. Der 1965 geborene Schriftsteller ist nicht von ungefähr durch skurrile Texte bekannt geworden. Diesen Stoff würde er sich nicht nehmen lassen. Und tatsächlich: Auf den ersten Blick sieht „Nachhausekommen“ auch genauso aus.

Die Künstlerkolonie im Wendland, in die Jan Peter Bremer hineingewachsen ist, taucht schon in den ersten Zeilen auf, vor allem das Haus seines Vaters, des bildenden Künstlers und „Rixdorf“-Urgesteins Uwe Bremer: ein Schlösschen gleich hinter der Zonengrenze, an einem langgestreckten Badesee, und die vier Grafiker, die in Westberlin schnell berüchtigt waren, sind auch sofort mit von der Partie: neben Uwe Bremer sind das Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt.

In Jan Peter Bremers Buch werden sie aber nicht mit Namen genannt. Auch das Wendland tritt nicht in Erscheinung, an keiner Stelle ist ein realer Ort dingfest zu machen. Das Leben der Westberliner Boheme im bundesdeutschen Zonenrandgebiet, die großen Zecher und Lebemänner aus Neukölln bilden nur ein interessantes Hintergrundrauschen für eine Sozialisationsgeschichte, eine Kindheit in den siebziger Jahren.

Jan Peter Bremer schreibt in Ich-Form, und die Gattungsbezeichnung „Roman“ lädt wieder einmal zu anhaltendem Grübeln ein: Was an dieser deutlich autobiografischen Geschichte ist vielleicht doch fiktiv, worin besteht die Literarisierung? Das Weglassen der konkreten Bezeichnungen ist auf jeden Fall ein Indiz dafür, was der Autor wollte.

Jan Peter Bremer: „Nachhausekommen“. Berlin Verlag, Berlin 2023, 208 Seiten, 22 Euro

Autobiographisch oder fiktional?

Es beginnt wie ein Idyll. Das Schlösschen, die Natur, der See – und die Eltern stehen für ein unkonventionelles, zwangloses Leben. Doch dies alles prallt schnell auf eine ganz andere Realität: das nahe Dorf, mit den zwei sich gegenüberstehenden großen Bauernhöfen an der Straße. Wenn der Ich-Erzähler auf dem Weg zur Schule an dieser Stelle vorbeikommt, schießen von jeder Seite Schäferhunde hervor und verfolgen mit heißen Atem den Fahrradfahrer, bis er außer Sichtweite ist.

Die Szene spielt in den siebziger Jahren, und die niedersächsische Landbevölkerung kann mit den Städtern, die freizügig am See liegen und auf vermutlich unredliche Weise an ihr Geld gekommen sind, überhaupt nichts anfangen. Der Lockenkopf des Ich-Erzählers wird zum Objekt des Spotts in seiner Schule, jeder Morgen ist erst einmal ein Spießrutenlaufen, und die Bauernkinder stellen klar, dass sie hier die herrschende Klasse sind.

Jan Peter Bremer zeigt das mit den Augen des Kindes. Die Welt wird dadurch automatisch verkleinert, und die Wahrnehmung richtet sich vor allem auf die Gleichaltrigen, die Schule und die Demütigungen auf dem Pausenhof, die aber allmählich doch verebben. Im Vergleich dazu wirken die Eltern typisiert und plakativ: der übermächtige, berühmte Vater mit seinen vielen Pfeifen, die Mutter mit ihren langen Beinen und ihrer Zuwendung.

Verschiedene Lebenswelten

Und manchmal führt das zu interessanten, verfremdenden Szenen. Die Diskussionen der Erwachsenen spielen keine Rolle, aber dafür umso mehr ihre Gesichtszüge, ihre Lautstärke, ihre Körpersprache. Und dass die Tische und Bänke, überhaupt die ganze Einrichtung der Kunstszene alt und gebraucht ist, steht in einem auffälligen Gegensatz zu den praktischen Dingen der Bauern aus Sperrholz und Kunststoff – beides sind bizarre Welten.

Konsequent sucht der Autor nach einer Form des Entwicklungsromans, die auf kindliche Naivität und Überraschungstechnik setzt und auch nicht dadurch anders wäre, wenn sie trendgerecht unter dem Etikett „Coming-of-Age-Geschichte“ liefe. Überhaupt bleibt das Ganze im Rahmen: Mit der Zeit findet der Ich-Erzähler doch auch Freunde, er gleitet langsam in das Erwachsenwerden hinüber, und eine große Rolle dabei spielt seine Entdeckung, gerne Geschichten zu schreiben.

Es beginnt wie ein Idyll. Die Natur, der See – und die Eltern stehen für ein unkonventionelles Leben

Das Ganze findet in der Hochzeit der Roten Armee Fraktion statt, der Gewalt der Baader-Meinhof-Gruppe, und im Dorf kommt sofort das Gerücht auf, die Eltern des Erzählers hätten diesen am Tag der Selbstmorde in Stammheim dazu gezwungen, in schwarzer Kleidung zur Schule zu gehen. Einen schwarzen Pullover hatte er zufällig an, das war aber auch alles. So entstehen Geschichten.

Jan Peter Bremers „Nachhausekommen“ erzählt mehrere dieser Art. Sie schwanken zwischen Harmlosigkeit und dem Gefühl einer merkwürdigen Bedrohung, es ist eine Melancholie des Gelingens. Das Buch liest sich leichter und weniger abgründig, als es die Kluft zwischen Bauern und Boheme zunächst nahelegte. Vielleicht waren die siebziger Jahre wirklich eine glückliche Zeit.

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