SPD analysiert Wahlniederlagen: Scholz ist nicht mehr unantastbar

Die Unzufriedenheit in der SPD wächst, viele fordern vom Kanzler mehr Führung ein. Außerdem soll die SPD mehr auf soziale Themen setzen.

Profilbild von Kanzler Scholz.

In der SPD gibt es Kritik am Kanzler: Olaf Scholz am 11. Oktober im Bundestag Foto: Stefanie Loos/ap

BERLIN taz | In der SPD rumort es. Nach den zwei krachenden Wahlniederlagen in Hessen und Bayern, die vor allem als Abrechnung mit der Ampel verstanden wurden, melden sich nun vermehrt Ge­nos­s:in­nen zu Wort, die Veränderungen fordern: in der Ampelregierung aber auch von Olaf Scholz. Der Kanzler müsse mehr führen, die Ampel weniger streiten, das sind die Kernforderungen. Und die SPD soll ihre zurückgelehnte Rolle als unbeteiligte Dritte ablegen. Dass sich Partei und Fraktion, die bisher stramm und weitgehend kritiklos hinter „Olaf“ stand nun auch traut, öffentlich Kritik zu üben ist neu.

In der Fraktionssitzung am Dienstag, einer nach Angaben von Teil­neh­me­r:in­nen­ „schonungslosen Aufarbeitung der Wahlniederlagen“, wurde der Unmut konkret. Die Ampel habe den Wahl­kämp­fe­r:in­nen in Hessen und Bayern nicht nur nicht genützt, sondern den Wahlkampf erschwert. Die Außendarstellung der Regierung sei mangelhaft. Und der Kanzler müsse deutlicher machen, dass er es ist, der die Regierung führt, vor allem dann, wenn Grüne und FDP mal wieder aneinander geraten. „Wir dürfen nicht nur Schiedsrichter sein, sondern müssen auch Spielführer werden“, so Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Vorsitzender zur taz.

Noch vor der Fraktionssitzung am Dienstag verschickte die Parlamentarische Linke, die neben den Seeheimern größte Strömung in der Fraktion, eine Erklärung, in der sie ebenfalls anmahnte, „dass es aus unserer Sicht nicht reicht als SPD die Rolle des Moderators in dieser Regierung zu übernehmen.“ Man müsse den Menschen nun ein Gefühl der Sicherheit zurückgeben und ihr Leben konkret verbessern. Dazu gehörten Lösungen gegen die steigenden Mieten und für bezahlbare Energie.

Die Parteilinken fordern die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Gas und Wärme erst zum Ende der Heizungsperiode in Frühjahr anzuheben. Außerdem müsste sich die SPD in den Haushaltsverhandlungen nachdrücklicher für die sozialstaatlichen Projekte der SPD in dieser Koalition einsetzen.

Lindner gegen weitere Sozialausgaben

Beides dürfte jedoch genau jenen Streit mit der FDP und ihrem Finanzminister provozieren, den man eigentlich vermeiden will. Denn Christian Lindner ist nicht nur dafür, die Mehrwertsteuer auf Gas und Wärme schon im Januar wieder anzuheben, sondern hatte sich im ARD-Sommerinterview auch klar gegen zusätzliche Sozialausgaben positioniert. Ein Grund ist der auf Kante genähte Bundeshaushalt.

Auch in der Migrationsdebatte, neben der kriselnden Wirtschaft das wichtigste bundespolitische Thema in den Landtagswahlen, deuten sich neue Auseinandersetzungen an. Die FDP schlägt vor Flüchtlingen künftig kein Geld mehr auszuzahlen, sondern ihnen nur noch Sachleistungen zu gewähren, ein Vorschlag hinter den sich neben der Union auch die SPD-geführten Länder stellen.

Die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD Katja Mast ist zurückhaltend. „Das können die Länder jetzt schon selbst entscheiden, es ist aber vielleicht kein Zufall, dass es so wenige machen, denn der Verwaltungsaufwand ist hoch“, sagt Mast am Mittwoch. Sie findet allerdings auch, die SPD müsse vielleicht noch deutlicher machen, wo man beim Thema Migration stehe. „Wir wollen weniger irreguläre Migration und damit weniger Flüchtlinge in Deutschland, aber mehr Arbeitskräfte über reguläre Wege.“

Doch auch diese Haltung wird von links kritisiert. Sarah Mohamed, Mitglied im Juso-Bundesvorstand, sagte gegenüber der taz, sie nehme ihre Partei derzeit in der Migrationsdebatte als „sehr mutlos“ wahr. „Die SPD lässt sich von der aufgeheizten Stimmung treiben. Doch das trägt nur zum Erstarken der Rechten bei.“

Es bringe nichts die Belastungen für die Kommunen klein zu reden, meint Mohamed. „Aber der Schwerpunkt muss nun darauf liegen, die Menschen schnell in Arbeit zu bringen, Beschäftigungsverbote aufzuheben und ihnen gesellschaftliche Teilnahme zu ermöglichen.“ Zur Ampel sagt sie, die SPD müsse die Koalition auf Kurs bringen: „Wir sind die stärkste Partei, der Kurs der Bundesregierung muss jetzt bis 2025 klar sozialdemokratisch sein: armutfeste Kindergrundsicherung, Mietpreisbremse, Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer sowie eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik.“

Die Forderungnach der Aufhebung der Beschäftigungsverbote ist eine, auf die nun auch die Bundesregierung eingehen will und die in der SPD breit geteilt wird. „In Ostdeutschland sind viele Menschen dafür, dass Flüchtlinge mehr Möglichkeiten haben zu arbeiten“, meint Erik von Malottki, Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Er glaubt, dass es so gelingen könne, die aufgeheizte Asyldebatte zu drehen. Generell müsse die SPD aber wieder mehr über soziale Themen reden.

Mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr im Osten Deutschlands mahnt der sächsische Bundestagsabgeordnete Holger Mann, dass man sich auf die Themen konzentriere müsse, die relevant sind für die Menschen vor Ort: „Und das sind bei uns in Sachsen die Bildung, der Fachkräftemangel und das Thema Gesundheitsversorgung.“ Im nächsten Herbst wählen die Menschen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen neue Landtage. Mann meint: „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Landtagswahl zur kleinen Bundestagswahl wird.“

Aktualisiert und ergänzt am 11.10.2023 um 17:40 Uhr. d. R.

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