Seenotretter über Lampedusa: „Die Boote sinken sofort“

An der Überforderung auf Lampedusa ist auch die italienische Küstenwache Schuld, sagt Seenotretter Gorden Isler. Denn die blockiert Rettungsmissionen.

Das Rettungsschiff Sea-Eye unterwegs mit geretteten Migranten in den Hafen von Neapel

Das Rettungsschiff „Sea Eye“ vor dem Hafen von Neapel mit Migranten an Bord, Februar 2023 Foto: Michele Amoruso/action press

taz: Herr Isler, Ende August wurden Schiffe mehrerer Seenotrettungsorganisationen, unter anderem auch von Ihrer Organisation Sea-Eye, in Italien festgesetzt, nachdem sie zusammen insgesamt 381 Menschen aus Seenot gerettet haben. Sind Sie inzwischen wieder unterwegs?

ist Vorsitzender der Seenotrettungsaktion Sea-Eye, die mit vier Schiffen Rettungsmissionen im Mittelmeer fährt. Der Verein hat nach eigener Auskunft 800 Mitglieder und arbeitet auf Spendenbasis.

Gorden Isler: Wir sind mit unserem Schiff, der Sea-Eye 4, seit vergangener Woche wieder frei und zunächst Richtung Spanien zu einem Wartungsintervall aufgebrochen. Anfang Oktober werden wir wieder im Einsatz sein.

Wie laufen diese Festsetzungen durch die italienische Küstenwache ab?

Große Schiffe wie der Sea-Eye 4 werden in der Regel weit entfernte Häfen wie Salerno zugewiesen. Damit wird ein Einsatz­ende erzwungen, auch wenn noch andere Seenotfälle offen sind. Beim letzten Einsatz haben wir drei Rettungen hintereinander durchgeführt und die Italiener hätten erwartet, dass wir nach der ersten sofort zu einem weit entfernten zugewiesenen Hafen aufbrechen. Wir wussten aber bereits bei der ersten Rettung von zwei weiteren Seenotfällen. Die dritte Rettung war besonders wichtig, da bereits Bewusstlose an Bord des Flüchtlingsboots waren. Hätten wir uns an das italienische Prozedere gehalten, hätte es Tote gegeben.

Italien hat die Gesetzeslage für die Seenotrettung in diesem Jahr verschärft. Wie beeinflusst das seitdem Ihre Arbeit?

Am 24. Februar wurde vom italienischen Parlament ein Gesetz verabschiedet. Sie haben dieses Gesetz extra für die See­not­ret­te­r:in­nen geschrieben. Es sieht vor, dass Schiffe, die den Anweisungen der italienischen Behörden nicht folgen, mit eskalierenden Strafen belegt werden können. Unabhängig davon, ob die italienischen Behörden überhaupt zuständig sind oder nicht.

Dazu muss man wissen: Die Meere sind in Seenotrettungszonen, sogenannten SAR-Zonen, eingeteilt. Wenn Menschen in der SAR-Zone eines Staates gerettet werden, ist dieser eigentlich für die weitere Koordination der Rettungsaktion zuständig.

Niemand versteht zum Beispiel, warum die maltesische Seenotrettungszone um Lampedusa herum bis nach Kreta reicht. Dabei tun die maltesischen Behörden gar nichts mehr. Wenn die Menschen dann die italienischen SAR-Zonen erreichen, dann ist die italienische Rettungsleitstelle zuständig – und die rettet aktuell auch. Das führt aber genau zu der Situation, die jetzt in Lampedusa beschrieben wird: Würden die staatlichen Stellen immer dann dort retten, wo es einen Notfall gibt, und nicht warten, bis die Menschen selbst Italien erreichen – sie also besser verteilen schon bei den Rettungsmissionen – dann würde es auf Lampedusa nicht zu so einer Überforderungssituation kommen.

Wer von Libyen und Tunesien aus Europa erreichen will, muss den kürzesten Weg über Lampedusa nehmen.

Es ist bestürzend, dass die EU-Mitgliedsstaaten in dieser zugespitzten Situation den politischen Konflikt mit der italienischen Regierung suchen. Die gesamte Politik ist darauf ausgerichtet, die Zahl der Ankünfte schnell zu reduzieren. In der vergangenen Woche forderte die italienische Ministerpräsidentin Meloni eine Seeblockade durch eine Marinemission der EU. Sie weiß, dass das unrealistisch ist, kann der EU aber nun weiter die Schuld dafür geben, dass die Ankünfte nicht reduziert werden können.

Wie gefährlich sind die rund 180 Kilometer Luftlinie zwischen der tunesischen Küste und Lampedusa?

Bei den Einsätzen sehen wir statt Holz- und Schlauchbooten oft Ganzmetallboote. Wenn die kentern, sinken sie sofort. Deshalb ist die Todesrate auch in diesem Jahr wieder so erschreckend hoch. Wir beobachten auch, dass die Leute kein Telefon mehr dabei haben, um Hilfe zu rufen, aus Angst, geortet zu werden. Auch die Chance, an Lampedusa vorbeizufahren, ist nicht unwahrscheinlich. Viele verdursten.

Wie beurteilen Sie die Migrationspolitik, die derzeit in Deutschland und in der EU passiert?

In dem Moment, wo die Situation auf Lampedusa wieder eskaliert und Italien Hilfe braucht, sagt die Bundesregierung: Wir können nicht so viele Menschen aufnehmen. Dahinter steckt die politische Annahme, dass die Aufnahme von Menschen dazu führt, dass noch mehr Menschen fliehen. Aber die Fluchtursachen verschwinden ja nicht. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, kann das mit immer mehr Stacheldraht nicht erreichen.

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