Senatorin über Schwarz-Rot in Berlin: „Mit der CDU haben wir mehr erreicht“

Cansel Kiziltepe (SPD) über Regieren mit der CDU, Kritik an Kürzungsplänen und wie sie mit Azubi-Wohnungen gegen den Fachkräftemangel vorgehen will.

Kai Wegner (CDU, l-r), Regierender Bürgermeister in Berlin, Manja Schreiner (CDU), Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Landes Berlin, und Cansel Kiziltepe (SPD), Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung des Landes Berlin, unterhalten sich zu Beginn der Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus.

Cansel Kiziltepe (re.) arbeitet gerne mit der CDU und ihrem Vorsitzenden Kai Wegner (li.) zusammen Foto: Wolfgang Kumm

taz: Frau Kiziltepe, Sie sind jetzt seit fast fünf Monaten Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. Was sind Ihre Schwerpunkte, was wollen Sie besser machen als Ihre Vorgängerin Katja Kipping von der Linkspartei?

Cansel Kiziltepe: Mein Leitmotiv ist Gute Arbeit. Ich glaube, das ist der Schlüssel zur Lösung zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen. Integration funktioniert besser durch Gute Arbeit, die Abschaffung von Diskriminierung, aber auch der Spracherwerb. Auch was die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt angeht, die Ungleichbehandlung bei der Bezahlung, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, all das kann man miteinander sehr gut verknüpfen.

Seit Ende April Senatorin der SPD für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. Zuvor war die gebürtige Kreuzbergerin Abgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg im Bundestag. Außerdem ist die 47-Jährige stellvertretende Vorsitzende der SPD Berlin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA) in der SPD.

Und wie wollen Sie Gute Arbeit genau umsetzen?

Wir hatten jetzt die Auftaktveranstaltung des Bündnisses für Ausbildung. Alle rufen verzweifelt nach Fachkräften, und dennoch ist der Ausbildungsmarkt in Berlin in einer Schieflage. In Brandenburg werden alle jungen Menschen versorgt, aber bei uns sind über 3.000 Suchende unversorgt. Da frage nicht nur ich mich: Wie kann das sein? Mit dem Bündnis für Ausbildung wollen wir diese Lücke bis 2025 schließen. Und wenn das nicht passiert, soll eine Ausbildungsplatzumlage kommen.

Damit sollen Unternehmen, die nicht ausbilden, zur Kasse gebeten und diejenigen unterstützt werden, die ausbilden. Ein Projekt des rot-grün-roten Vorgängersenats, das von der Wirtschaft heftig kritisiert wird.

Es gab Eckwerte, aber keinen Zeitplan. Zu wenig Betriebe in Berlin bilden aus. Ich verstehe das überhaupt nicht. Wenn ich Fachkräfte haben will, muss ich auch dafür sorgen, dass ich welche ausbilde. Dieser Verantwortung stellen sich in Berlin nur 11 Prozent der Betriebe, das ist zu wenig.

Ob Bildung, Verwaltungsmodernisierung oder Energiewende – der Fachkräftemangel wird eine der größten Herausforderungen für Berlin in den nächsten Jahren. Welche Stellschrauben gibt es da noch außer dem Ausbildungsbündnis?

Wohnraum, ganz klar. Auszubildende finden mit ihrer Ausbildungsvergütung kein Zimmer mehr, das sie bezahlen können. Deshalb möchte ich ein Azubi-Werk für Berlin. Azubi-Wohnungen, die dem Land gehören, mit einer Ewigkeitsgarantie, sodass sie nie verkauft werden können. Es gibt schon ein Azubi-Werk in München und Hamburg, warum noch nicht in Berlin? Immerhin haben wir seit 100 Jahren ein Studierendenwerk. Das ist eines meiner Leitprojekte, die ich vorantreiben möchte.

Bislang war Ihre Amtszeit eher von Kritik an Kürzungsplänen geprägt

Wir hatten direkt nach der Wiederholungswahl den Eckwertebeschluss unserer Vorgänger, und der hat mir gezeigt, das geht so nicht. Wichtige Schwerpunkte des Koalitionsvertrags waren nur unzureichend mit Mitteln unterlegt. Das hätte ich unmöglich akzeptieren können. Und dann gingen die Verhandlungen los. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden.

Es wird also in keinem Bereich Kürzungen geben?

Ich wurde kürzlich kritisiert, dass ich im Bereich der Wohnungs- und Obdachlosigkeit Mittel kürzen würde – was nicht der Fall ist. Im Gegenteil, wir haben Erhöhungen in diesem Bereich. Wir haben die beiden 24/7-Unterkünfte gesichert, auch die Projekte gegen Gewalt gegen Frauen bleiben erhalten. Wir planen die Umsetzung der Istanbul-Konvention, der Landesaktionsplan soll jetzt im Herbst im Senat beschlossen werden. Wir haben 27 Millionen Euro in die Umsetzung der Istanbul-Konvention gesteckt.

Die sozialen Projekte können also aufatmen?

Erstmal ja. Aber beim nächsten Doppelhaushalt wird die Lage schwieriger sein. Die Schuldenbremse verhindert kreditfinanzierte Investitionen. Das gefährdet nötige Ausgaben im Sozialbereich. Zugleich steigen die Steuereinnahmen nicht mehr wie vor ein paar Jahren. Wir haben jetzt alle Rücklagen aufgelöst, die wir haben. Um die öffentlichen Haushalte zu stabilisieren, müssen wir große Einkommen und Vermögen verstärkt in den Blick nehmen. Der Bund steht hier ebenso in der Verantwortung wie bei der überfälligen Reform der Schuldenbremse. Im Haus müssen wir daher schauen, welche Projekte gestärkt werden und welche vielleicht nicht so gut laufen und daher entbehrlich sind.

Haben Sie da schon etwas im Blick?

Nein.

Bleiben wir beim Thema Obdachlosigkeit. Das Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden, steht auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Wie wollen Sie das erreichen?

Alle Ebenen haben dieses Ziel ausgerufen, auch die EU und der Bund. Es ist eine Herausforderung. Der Bund arbeitet gerade an einem nationalen Aktionsplan, wo wir gemeinsam mit Hamburg und Rheinland-Pfalz im Lenkungskreis sitzen. Bundesweit sind wir Pionier im Bereich des Housing-First-Ansatzes. Wir erhöhen jetzt noch mal die Mittel für die Housing-First-Projekte, auch für die Wohnungsnotfallhilfe geben wir mehr Geld aus. Allerdings muss man ehrlicherweise auch sagen, dass es hier eine Gruppe von Menschen gibt, die wir nicht nachhaltig auffangen können, weil sie als EU-Zugewanderte teilweise keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Beim jetzigen Tempo würde es mit Housing First allerdings 80 Jahre dauern, bis alle Obdachlosen in Berlin eine eigene Wohnung haben. Wie wollen Sie das in sieben Jahren schaffen?

Wir haben in Berlin eine enorme Wohnungsnot und müssen für alle bezahlbaren Wohnraum schaffen, das gilt natürlich auch für obdachlose und geflüchtete Menschen. Das heißt, wir müssen für alle mehr bauen, als es bisher der Fall war. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass zu unserer wohnungspolitischen Strategie auch integrierte Konzepte gehören.

Integrierte Konzepte?

Wir wollen nicht, dass MUF (Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge, d. Red.) einzeln irgendwo am Stadtrand entstehen, die umzäunt sind und geschützt werden müssen. Wir wollen Integration in bestehenden Stadtquartieren, auch durch Nachverdichtung. Wir wollen Geflüchtetenunterkünfte bauen, aber auch in neu entstehenden Stadtquartieren diese Wohnform immer mitdenken. Damit wir eine soziale Mischung haben, damit die Integration besser funktioniert – durch die Nachbarschaft, durch den Dialog. Das wollen wir jetzt in der Task Force verstärkt angehen. Dabei werden wir auch konkrete Flächen benennen.

In Berlin gibt es pro Jahr rund 1.600 Zwangsräumungen, nicht wenige enden mittelfristig in der Obdachlosigkeit. Wäre das nicht ein Ansatz, um Obdachlosigkeit zu vermeiden?

Ich war als Bundestagsabgeordnete mit dem Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ im Austausch. Aber ob man das grundsätzlich verbieten kann, stelle ich infrage. Es muss im Vorfeld einer Zwangsräumung verstärkt Sozialarbeit geleistet werden, auch durch die Bezirke. Dazu ist es erforderlich, dass die Behörden sich gegenseitig informieren. Wenn eine Räumungsklage eingereicht wird, muss das Signal an den Bezirk gehen: Hey, hier stimmt was nicht. Menschen müssen angesprochen werden: Brauchen Sie Hilfe? Was können wir tun?

Wie ist da Ihre Rolle?

Wir müssen schauen, ob die Miete übernommen werden kann. Ich werde mit meinen Senatskollegen darüber sprechen, wie wir den Informationsaustausch verbessern können, damit es nicht zu Zwangsräumungen kommt. Überfällig wäre auch, endlich Mieterhöhungen nach Zwangsräumungen zu untersagen. Hier ist der Bund gefordert.

Was ist mit dem geplanten Pilotprojekt, Räumungsbescheide persönlich zuzustellen, das jetzt auf der Kippe steht?

Das will ich auf jeden Fall in Angriff nehmen.

Es wird derzeit sehr viel geredet über die Drogen- und Gewaltproblematiken, etwa im Görlitzer Park in Kreuzberg. Beim Sicherheitsgipfel waren Sie nicht dabei. Was sind Ihre Ideen, um der Drogen-Epidemie beizukommen?

Die Drogenproblematik dort ist wirklich besorgniserregend. Das Innenressort hat uns berichtet, dass viel mehr Drogen nach Berlin kommen, vor allem Crack. Viele Dealer setzen auf Crack, weil das günstig ist, schnell abhängig macht und die Konsumintervalle kürzer sind. Das macht die Leute wirklich kaputt. Da muss auf jeden Fall starke Präventions- und Sozialarbeit geleistet werden. Zugleich ist nicht hinnehmbar, dass der Görlitzer Park gerade für Mädchen und Frauen ein Angstraum geworden ist. Wir sind uns im Senat einig, dass wir Maßnahmen der Prävention auch mit verstärkten Sicherheitsanstrengungen begleiten müssen.

Viele der geplanten Maßnahmen des Gipfels berühren auch Ihre Themenbereiche, darunter Antidiskriminierung. Mit der verstärkten Polizeipräsenz, gerade im Wrangelkiez, gibt es Befürchtungen, dass zum Beispiel Racial Profiling weiter zunehmen könnte.

Man kann nicht leugnen, dass es Racial Profiling gibt. Das erlebe ich ja selbst. Zum Beispiel, wenn ich Bahn fahre. Ich werde immer nach meinem Ticket gefragt. Mein Mann, er ist „biodeutsch“, sitzt neben mir und muss nichts vorzeigen. Das Problem sprechen wir auch an. Die Polizei ist heutzutage aber sensibler und problembewusster als noch vor einigen Jahren.

Das Profil Ihrer Senatsverwaltung ist gleich um drei Bereiche gewachsen: Zu Integration, Arbeit und Soziales gesellen sich nun Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung. Hat die Entscheidung auch etwas mit dem rassistischen Wahlkampf Ihres Koalitionspartners CDU zu tun?

Die rassistische Namenskampagne haben wir in den Koalitionsverhandlungen immer wieder angesprochen. Wir haben klargemacht, dass das nicht geht. Das war wirklich emotional. Kai Wegner hat sich dann ja auch entschuldigt für sein Verhalten. Und jetzt hat er gegenüber seinen Kollegen in anderen CDU-Landesverbänden, zum Beispiel bei der Gillamoos-Geschichte, eine dezidiert andere Seite gezeigt. Für mich war wichtig, dass jetzt alle sozialen Arbeitsgebiete unter einem Dach versammelt sind.

Wie regiert es sich denn zusammen mit der CDU? Sie haben der schwarz-roten Koalition ja zugestimmt, obwohl Sie eher zum linken Flügel der SPD zählen.

Das war keine einfache Entscheidung. Ich habe auf Bundesebene immer gegen die Groko gekämpft. Und es kann auch wieder andere politische Mehrheiten geben. Aber die Son­dierungsgespräche mit Linken und Grünen haben das nicht hergegeben. Es reicht nicht, nur in Fragen der Vielfalt oder beim Antirassismus einig zu sein.

Sondern?

Mit der CDU haben wir inhaltlich mehr für die Stadt erreicht. Auch im Bundesrat hat der schwarz-rote Senat fortschrittliche Politik nicht blockiert und beispielsweise das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und den inklusiven Arbeitsmarkt durchgesetzt. Die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderungen einstellen, wurde verdoppelt. Verdoppelt! Das ist für viele in der Wirtschaft ein No-Go. Da hat die CDU mitgemacht, Berlin hat zugestimmt.

Also, man kann durchaus gut mit der CDU arbeiten?

Ja. Wir haben einen guten Koalitionsvertrag.

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