Stopp für Radwege in Berlin: Rückkehr von Auto und Ideologie

Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) bringt die Opposition gegen sich auf. Aber auch in der SPD gehen viele auf Distanz zur Koalition.

Ein gelb durchkreuzter Radstreifen

Kehrtwende in der Radpolitik: Die Ollenhauerstraße in Reinickendorf Foto: Imago / Jürgen Ritter

Die Proteste der Klimakleber sind in Berlin hinlänglich bekannt. In Reinickendorf werden sie nun ergänzt durch die Aktionen von Radwegeklebern. Ein bereits fertiggestellter Radstreifen in der Ollenhauerstraße ist seit Montag überklebt. „Unfassbar! Jetzt stellt die CDU in Berlin nicht nur Radwege in Frage, sondern baut sie sogar wieder ab!“, twitterte die grüne Verkehsrexpertin Antje Kapek. „In Reinickendorf musste der erste Radweg dran glauben.“

Die Aufregung ist groß, seit Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) vor einer Woche die Bombe gezündet hat: Die Planungen für neue Radinfrastruktur müssen auf den Prüfstand. Zumindest die, bei denen auch nur ein einziger Parkplatz wegfällt. So stand es in einem Schreiben der Verkehrsverwaltung an die zwölf Bezirke.

Inzwischen hat Schreiner einige Punkte revidiert, damit aber nicht unbedingt für ein Mehr an Klarheit gesorgt. Warum in Reinickendorf ein fertiger Radweg wegfällt? Schreiner weiß es nicht. Umso mehr lässt dieses kommunikative Komplettversagen den Schluss zu, dass es gar nicht um die Klärung von Sachfragen geht, sondern um Ideologie: Die Wende in der Verkehrswende.

Die Bezirke jedenfalls haben verstanden, nicht nur in Reinickendorf. In Pankow frohlockt die CDU-Verkehrsstadträtin. Der Wegfall der Radstreifen in der Schönhauser Allee scheint beschlossene Sache. Noch in diesem Sommer hätten die Bauarbeiten beginnen sollen. Ist das der Preis dafür, dass sich die Grüne Cordelia Koch mit den Stimmen von CDU und FDP zur Bezirksbürgermeisterin wählen ließ?

In anderen Bezirken toben die Grünen. Doch das größte Problem hat die SPD. Eine sozialdemokratische Handschrift trage der Koalitionsvertrag, hatten Giffey und Co. während des Mitgliederentscheids für eine Koalition mit der CDU geworben. Nun zeigt sich, dass die sozialdemokratische Handschrift nichts wert ist, wenn eine autoversessene Verkehrssenatorin einen Brief an die Bezirke schreibt. Die Spaltung der ohnehin zerrissenen Berliner SPD dürfte damit nur noch tiefer werden.

Erste kritische Stimmen der SPD

Die ersten kritischen Stimmen gibt es bereits zum Rollback in der Mobilitätspolitik. „Was soll denn das Radwegchaos in Berlin gerade?“, twitterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ruppert Stüwe aus Steglitz-Zehlendorf. „Ist das ein politischer Testballon oder ideologische Hektik einer neuen Hausleitung? Auch die CDU sollte gewisse professionelle Standards beim Regieren anlegen.“

Keine Politik gegen das Auto: Das war das Mantra von Franziska Giffey. Keine A100: So hatte es der SPD-Parteitag im Juni 2022 beschlossen. Mit der Schreinerschen Wende von der Verkehrswende bekommen nun all jene Genossinnen und Genossen Auftrieb, die gegen eine Koalition mit der CDU waren.

Und die Befürworter haben ein Problem: So sagte der verkehrspolitische Sprecher Tino Schopf der taz in der vergangenen Woche: „Dort, wo Fahrradprojekte zu Lasten des öffentlichen Personennahverkehrs gehen, müssen wir noch mal hinschauen.“ Schöner und wohl auch dreister kann man um eine Frage nicht herumreden. Keine Nahverkehrsprojekte will die CDU stoppen, sondern den Wegfall von Parkplätzen.

Im Bezirk Mitte hat die SPD immerhin verstanden. Die dortige BVV-Fraktion wehrt sich gegen „den von Schreiner ausgerufenen Kulturkampf ‚Vorfahrt für Autos‘“. Selbst der SPD-Fraktionschef und Co-Landesvorsitzende Raed Saleh sprach von einem „Kommunikationsdesaster“ Schreiner. „Wir wollen und werden mehr und sichere Radwege in Berlin bauen und diese Prozesse beschleunigen“, betonte Saleh. „Dazu sind wir in der Koalition verabredet zu priorisieren, welche der über 50 Projekte schon in den nächsten drei Jahren fertiggestellt werden können.“

Aus Sicht des SPD-Politikers ist nicht das Ziel, die Ansprüche an den Radwegebau zurückzuschrauben: „Das Mobilitätsgesetz gilt weiter und wird lediglich unter den Aspekten der Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Anpassung an örtliche Gegebenheiten überprüft“, sagte er. „Von einem Stopp der Radverkehrsplanung und des Radverkehrsbaus kann keine Rede sein.“

Sollbruchstelle offenbart

Schneller hat wohl noch keine Senatskoalition in Berlin ihre Sollbruchstelle offenbart. Und es sieht nicht so aus, als würde beim Thema Radverkehrsausbau so schnell Ruhe einkehren. Wird in der Schöneberger Hauptstraße nicht bald mit dem Bau der überfälligen Radspur begonnen, fallen 750.000 Euro Fördermittel vom Bund weg. So was bleibt kleben, auch an einer CDU-Senatorin. Und nicht ausmalen mag man sich, was passiert, wenn jemand auf dem Rad auf einer der betroffenen Straßen einen schweren Unfall hat.

Dass die Zeit der Auto-Ideologen zu Ende ist, ist inzwischen sogar im Bund angekommen. Das neue Straßenverkehrsgesetz erleichtert es Ländern und Kommunen, Parkplätze zugunsten von Radspuren wegzunehmen. In Berlin dagegen feiert die Betonpolitik ein fragwürdiges Comeback. Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute: Eine bessere Munition gegen Schwarz-Rot hätten Manja Schreiner und ihre Radwegekleber gar nicht liefern können. Nicht nur der Opposition, sondern auch denjenigen in der SPD, die für mehr Verteilungsgerechtigkeit auf den Straßen eintreten. Und befüchten müssen, dass Berlin nach drei Jahren Schwarz-Rot im Vergleich zu anderen Metropolen die rote Laterne tragen wird.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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