Streit in der Linkspartei: Kein Zeitdruck unter dieser Nummer

Die Linkspartei skandalisiert die Sozialkürzungen der Ampelkoalition und hofft auf Protest. Auch, um von ihrem Streit abzulenken.

Dietmar Bartsch vor Pult Die Linke

Gibt sich entspannt: Noch Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Kurz vor der Linken-Fraktionssitzung stellt sich deren Vorsitzender Dietmar Bartsch am Montag im Bundestag vor die rote Medienwand und gibt Auskunft zum wichtigsten Thema der Woche: na klar, der Haushalt. Bartsch kritisiert die Kürzungen bei den Investitionen, schimpft auf die Ampel und spricht sich für einen Industriestrompreis aus. Fast könnte man vergessen, dass er vor zwei Wochen seinen Rückzug als Fraktionschef angekündigt hat – wie kurz zuvor schon seine Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali.

Und eigentlich wollte die Fraktion an diesem Montag die Nach­fol­ge­r:in­nen der beiden und einen neuen Fraktionsvorstand wählen. Doch in seltener Einigkeit beschloss die Fraktion zuletzt, die Neuwahl zu verschieben. Wann eine neue Fraktionsspitze gekürt wird, ist offen. Bartsch gibt dazu am Montag keine Auskunft: Das sei auf der Vorstandssitzung der Fraktion am Vormittag überhaupt kein Thema gewesen.

Auch Parteichef Martin Schirdewan versucht am Montag in der Linken-Zentrale in Berlin einen anderen Akzent zu setzen. „Diese Regierung fährt das Land sehenden Auges an die Wand“, tönt er und zählt einige der geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt im Bereich Gesundheit, Bafög und Wohngeld auf. Für Panzer sei genug Geld da, für Sozialleistungen und Demokratieförderung dagegen nicht – das sei ein „Konjunkturprogramm für die extreme Rechte“.

Linke fordert Protest gegen Kürzungshammer

Dagegen bräuchte es jetzt einen breit getragenen gesellschaftlichen Protest. Schirdewan spricht von einem „Kürzungshammer, der auf das Land zurollt“. Das schiefe Bild soll deutlich machen, wozu es die Linke noch braucht: Um der Regierung zumindest rhetorisch in den Arm zu fallen und als Anwalt der „kleinen Leute“, um das Schlimmste zu verhindern.

Die eigenen Probleme bleiben derweil ungelöst. Für den Linken-Fraktionsvorsitz wagt sich bisher niemand aus der Deckung. Nur hinter vorgehaltener Hand werden Namen genannt. Parteichefin Janine Wissler sagte zuletzt, die Linke wolle bis Ende Oktober ein Ergebnis. Zunächst will die Partei die Wahlen in Hessen und Bayern im Oktober abwarten. Schirdewan erklärt am Montag, seine Partei werde sich „nicht unter Zeitdruck setzen lassen“.

Fraktion und Partei sind schon länger entfremdet über den Kurs der Partei und den Umgang mit Partei-Diva Sahra Wagenknecht, die offenbar eine Konkurrenzpartei plant. In der 39 Mitglieder zählenden Fraktion wird etwa ein Viertel dem Wagenknecht-Flügel zugeordnet – im Falle einer Neugründung würden sie wohl die Fraktion verlassen. Dann wäre die Restfraktion nur noch eine Gruppe im Bundestag.

Hohes Risiko für Wissler

Gesucht werden also zwei Personen, die alle Lager integrieren. Zu den Namen, die intern kursieren, zählt die Parteivorsitzende Janine Wissler. Doch das Risiko für Wissler ist hoch: Sollte sie durchfallen, wären auch ihre Tage als Parteichefin gezählt. Das Amt zutrauen würde sich auch der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann. Er kann mit Wagenknecht, ohne ihre radikalen Forderungen etwa in der Einwanderungspolitik zu teilen. Allerdings ist das Zutrauen zu Pellmann in der Fraktion nicht allzu ausgeprägt.

Immer wieder fällt auch der Name von Gesine Lötzsch. Die Haushaltspolitikerin sitzt seit zwei Jahrzehnten für die Linke im Bundestag, kennt alle Höhen und Tiefen. Doch Lötzschs Sitz wackelt: Falls das Bundesverfassungsgericht im Herbst entscheidet, dass die Bundestagswahl in Berlin wiederholt wird, würde sie ihr Direktmandat in Berlin-Lichtenberg wohl verlieren. Und ohne drei Direktmandate wäre die Fraktion insgesamt am Ende. Die Frage lautet also eher: Wer macht das Licht aus?

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