Debatte Migrationspolitik der Linkspartei: Ordnung statt Gerechtigkeit

Funktionäre der Linkspartei fordern eine Abkehr vom Bekenntnis zu offenen Grenzen. Das ist einer linken Partei unwürdig.

Zwei Hände umklammern die Sreben eines Grenzzauns

Grenzen, wie hier zwischen den USA und Mexiko, regeln nicht einfach individuelle Migration, sondern sichern soziale Konflikte ab Foto: Imago/MITO

Ein 19-köpfige Gruppe, bestehend aus Abgeordneten und Funktionär*innen der Linkspartei, hat sich mit einem „Thesenpapier linke Einwanderungspolitik“ im migrationspolitischen Konflikt innerhalb der Partei zu Wort gemeldet. Die Zusammensetzung der Gruppe suggeriert innerparteiliche Breite und soll offensichtlich eine mögliche programmatische Lösung des seit Monaten öffentlich ausgetragenen Konflikts in Aussicht stellen.

Die Botschaften des Papiers sind eindeutig: Die Partei soll ihr bisheriges, in Partei- und Wahlprogrammen verankertes Bekenntnis zu „offenen Grenzen“ räumen und stattdessen Vorschläge für eine staatliche „Regulierung“ machen. Auf knappen acht Seiten (PDF) entfalten die Autor*innen ihre in die Partei gerichtete Erzählung: Asyl und Einwanderung seien politisch voneinander zu trennen und ein globales Recht auf Einwanderung weder juristisch gegeben noch pragmatisch machbar.

Trotz einiger (nicht besonders origineller) Vorschläge einer solchen Regulierung zielt die Initiative jedoch in erster Linie darauf ab, die Linke im allgegenwärtigen Rechtsruck des politischen Diskurses anschlussfähig zu halten. Diese Operation wird damit begründet, dass man ein von Stammtisch bis zum Heimatministerium gängiges Argument plausibilisiert: die Behauptung, dass es einen alternativlosen politischen Realismus gibt. Dieser Realismus besagt, dass „unbegrenzte Migration“ und „globale Bewegungsfreiheit“ notwendig begrenzt werden müssen. So schreiben die Autor*innen: „Schon rein logisch gibt es nur drei Möglichkeiten in Bezug auf Einwanderung: unregulierte, regulierte oder gar keine. Unserer Auffassung nach ist nur die zweite Position, also eine Regulierung, vertretbar.“ Alles andere ist dann wahlweise „utopisch“ oder „weltfremd“, besser noch, birgt sogar die Gefahr einer „Destabilisierung der Gesellschaft und einer Schwächung der Kampfbedingungen der ArbeiterInnenklasse durch Migration“. Es können nicht alle kommen, sonst bricht Chaos aus und die Ordnung ist in Gefahr.

Der scheinbare Realismus, den die Verfasser*innen beschwören, ist in Wahrheit jedoch nichts weiter als eine Leugnung der politischen Dimension der Migration – und damit einer linken Partei unwürdig. Jenseits der humanitären Logik des Asylrechts und der Logik nationaler Umverteilung beginnt nämlich die eigentliche Aufgabe „linker Migrationspolitik“, die sich mit der Frage nach der Möglichkeit „offener Grenzen“ verbindet. Es geht dabei um ein Verständnis davon, was in den gegenwärtigen Migrationsbewegungen und den sozialen Kämpfen an der Grenze politisch zum Ausdruck kommt. Die eigentliche Frage lautet daher nicht: Sind offene Grenzen utopisch? Die Frage lautet: Welche politischen Konsequenzen hat es, wenn die durch Grenzen abgesicherte globale Ungerechtigkeit der Lebensbedingungen und Lebenschancen brüchig wird – und wie verhält sich linke Politik zu den Prozessen, die dadurch in Gang gesetzt werden?

Grenzen sichern soziale Konflikte ab

Die Stärke der Migrationsbewegungen, die sich symbolisch im Sommer 2015 verdichtete, und die weiterhin kaum zu brechende transnationale Solidarität rütteln an der staatlich verfassten, globalen Ordnung der Exklusion. Dieser Angriff ist nicht „weltfremd“ und „utopisch“, sondern im Gegenteil das Herz der politischen Qualität gegenwärtiger Migrationsbewegungen. Es ist dabei die Natur eines Angriffs auf eine etablierte Ordnung, dass sich dieser nicht im Rahmen eben dieser Ordnung auflösen lässt – das sollte zumindest eine linke Partei eigentlich verstehen können. Linke Migrationspolitik kann es insofern überhaupt nur geben, wenn sie eine Politik ist, die die Perspektive der Kämpfe einnimmt – und nicht die Perspektive der Ordnung.

Wer die Gesellschaft verändern will, muss sich daher zum Recht der Menschen bekennen, die Ordnung in Frage zu stellen und Konflikte zu eröffnen. Den 19 linken Politiker*innen geht es aber nicht um all das. Ihre Perspektive ist nicht die der Kämpfe und der Ausgeschlossenen, sondern die der Gewährleistung der Ordnung. Mehr noch: Es geht ihnen letztlich und entschieden darum, das Recht des Staates auf Migrationssteuerung zu behaupten – und zwar gegen die Migrant*innen und gegen die No-Border-Bewegung.

In einer Situation, in der die globalen Migrationsbewegungen es zeitweise geschafft haben, die durch Grenzen und Nationalstaaten abgesicherte Ordnung globaler Ungleichheit massiv herauszufordern, soll die Linke Partei ergreifen: auf der Seite der Ordnung. Linke Politik ist in ihren Augen nicht eine Sache von Bewegungen und Kämpfen auf einem widersprüchlichen und transnationalen Terrain, sondern ein ordnungspolitisches Programm guter Regierungskunst im ausschließlichen Horizont des Nationalstaats. Alles soll bleiben, wie es ist – mit etwas Umverteilung, Regulierung und sozialer Sicherheit.

Genau das Gegenteil ist das Ziel einer „Position offener Grenzen“ und der Sinn eines programmatischen Bekenntnisses zu ihnen: Sie ist keine ordnungspolitische Position, sondern zielt auf eine Politik der Kämpfe. Sie behauptet nicht, dass offene Grenzen hier und heute harmonische Zustände herstellen würden. Sie behauptet, dass Grenzen ein zentrales Instrument der Herrschaft über die globale Ungleichheit sind. Grenzen und staatliche Migrationssteuerung regeln nicht einfach individuelle Migration, sondern sichern soziale Konflikte ab. Fallen die Grenzen, wird die Architektur des globalen Kapitalismus zu einem politischen Problem statt zur Angelegenheit militärischer und polizeilicher Grenzsicherung.

Wir haben das im Sommer 2015 erlebt und die Solidarität von Hunderttausenden könnte es der Linken ermöglichen zu sehen, dass die politische Qualität der Migrationsbewegungen auch hier Anstöße geben konnte für neue Formen der Solidarität, der Lebensweise und der sozialen Beziehungen. Und damit für eine linke Idee, die weit über den engen Rahmen nationalstaatlichen Handelns hinausgeht.

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ist Politikwissenschaftler und Aktivist aus Berlin. Er ist im Netzwerk „Welcome United“ aktiv, arbeitet an der Universität Kassel und ist gemeinsam mit Sandro Mezzadra Autor von „Jenseits von Interesse und Identität: Klasse, Linkspopulismus und das Erbe von 1968“ (Laika-Verlag).

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