Pro-palästinensische Demos: Ist ein Verbot richtig?

Nach ersten Jubelbekundungen über den Hamas-Überfall auf Israel, reagiert Berlins Polizei mit Verboten. Aber ist das gerechtfertigt? Ein Pro und Contra.

Eine Person mit Palästinaflagge steht vor mehreren Polizisten

Palästinaflaggen unter Polizeibeobachtung Foto: dpa

Ja

Man stelle sich vor, ein Mob Tausender Menschen zieht jubelnd die Sonnenallee herunter, das barbarische Abschlachten von Zi­vi­lis­t:in­nen durch die Hamas leugnend und – im Geiste dieses Werk zu vollenden – mit Sprechchören, die die Vernichtung Israels fordern. Es braucht kaum Fantasie, um daran zu denken, wie diese Provokation in Straßenkämpfe mündet. Und weil – sensationslüstern – alle gewartet haben auf diese maximale Eskalation in der einstigen Hauptstadt des Faschismus, sind die Augen der Weltöffentlichkeit darauf gerichtet: ein Fiasko im Blitzlichtgewitter.

Das Verbot einer Pro-Palästina-Demonstration am Mittwoch in Neukölln und aller Ersatzveranstaltungen könnte Berlin zumindest vorerst davor bewahren. Und auch wenn dieses Mittel der Verbote ein demokratisch heikles ist; in Ausnahmefällen ist es die bessere von zwei schlechten Alternativen.

Leider spricht viel dafür, dass die Erwartungen, die das Verbot begründen – volksverhetzende, antisemitische Parolen und Gewalt – gerechtfertigt sind. Denn wie sahen denn die bisherigen propalästinensischen Meinungsäußerungen aus? Süßigkeiten, die im Triumph über die Toten auf der Sonnenallee verteilt werden, nächtliches Siegesgebrüll, Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen. Dazu kommen Schmierereien von Hakenkreuzen und Todeswünsche gegen Jü­d:in­nen auf der East Side Gallery.

All das ist ein Gemeinmachen mit Kriegsverbrechen, gleich so, als wäre für den IS nach dem Massaker an den Je­si­d:in­nen demonstriert worden. Ähnlich auch den – zu Unrecht nicht konsequent verbotenen – Aufmärschen für Rudolf Heß. Freie Meinungsäußerung hat Grenzen, die sich an zivilisatorischen Mindeststandards bemessen lassen müssen. Es ist kein Makel für die Demokratie, wenn sie es nicht zulässt, dass Fa­schis­t:in­nen und Is­la­mis­t:in­nen diese unterschreiten.

Gleichwohl gehören Verbote propalästinensischer Demos genau abgewogen und begründet. Die Parteinahme für ein strukturell unterdrücktes Volk, das Betrauern ihrer Opfer und auch der Protest gegen Israels Militäreinsatz in Gaza muss möglich sein. Der Generalverdacht des Antisemitismus ist kein Mittel eines demokratischen Rechtsstaates. Bewegen müssen sich auch die Protestor­ga­ni­sa­to­r:in­nen. Sie müssen ihrerseits deutlich machen, dass ihre Demos keine Plattformen des Hasses werden. Erik Peter

Nein

Weil man es dieser Tage unmissverständlich sagen muss: Die Angriffe der Hamas auf israelische Zi­vi­lis­t*in­nen sind barbarische Kriegsverbrechen. Jubelbekundungen der Massaker sind widerwärtig. Punkt. Kein Aber.

Dass Palästina-Solidaritätsdemonstrationen in Berlin verboten wurden, ist trotzdem falsch. Die Polizei argumentiert, dass es bei den Protesten zu antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen oder Gewalt kommen könnte. Könnte. Und genau da sind wir beim Kern des Problems. So verständlich es ist, angesichts der Gräueltaten der Hamas alles, was diese auch nur irgendwie legitimieren könnte, aus dem öffentlichen Raum verbannen zu wollen, ist dies mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft schlicht nicht zu vereinen.

Denn allein der Verdacht auf strafbare Handlungen reicht für ein Verbot nicht aus – zum Glück. Sonst könnte jegliche Demonstration mit diesem Argument verboten werden und die freiheitliche Gesellschaftsordnung würde einem Polizeistaat weichen, in dem unbequeme Meinungen nicht geduldet werden.

Nun war die Aktion von Samidoun, die nach dem Überfall auf Israel in Neukölln Süßigkeiten verteilten und die Hamas abfeierten, nicht unbequem, sondern strafbar. Entsprechend wurde die Veranstaltung von der Polizei auch aufgelöst und Anzeigen verteilt. Weder kann dafür die gesamte Palästina-Solidaritätsbewegung haftbar gemacht noch ihr das Recht auf Meinungsäußerung entzogen werden. Denn die ist legitim: Palästina ist nicht gleich Hamas und dass Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nicht nur schwere Menschenrechtsverletzungen durch Israel erleben, sondern auch noch von der Hamas als menschliches Schutzschild missbraucht werden, ist schrecklich.

Wenn unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung menschenverachtende Inhalte verbreitet werden, gibt es im Rechtsstaat Mittel, dagegen vorzugehen. Als Linke mag es verlockend erscheinen, Demo-Verbote gegen Islamisten oder Neonazis zu befürworten. In einem Staat, der Antifaschismus auf dieselbe Stufe stellt, muss einem aber klar sein, dass diese Mittel jederzeit auch gegen progressive Kräfte eingesetzt werden können. Statt auf Repression zu setzen, sollten wir lieber dafür sorgen, dass menschenverachtende Positionen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Marie Frank

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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