Stadtteile in Rom: Botox, Auto, Antifaschismus

In Rom können Gespräche über Stadtviertel ziemlich aufschlussreich sein. Hinter den ruhigen Plätzen und bürgerlichen Fassaden kribbelt es politisch.

Ein Pavillon mit Gasttischen davor

Man denkt an deprimierte, den Gärtner verführende Hausfrauen: Rom, Parioli Pinciano Foto: Francesco Fotia/imago

Gespräche über Stadtviertel sind ein bisschen wie Gespräche über das Wetter. Sie können belanglos sein, reine Zeitschinderei, manchmal aber auch aufschlussreich. Vor einigen Tagen unterhielt ich mich auf einem Geburtstag mit einer mir unbekannten Frau über die besten „quartiere“ der Stadt. Sie habe in fast allen Vierteln von Rom gelebt, sagte sie, Trastevere, Prati und Co, das einzig wirklich schlimme, das scheußlichste überhaupt, sei Parioli. Nie sollte ich dort leben! Als ich ihr eröffnete, dass ich genau das tue, dort lebe, wurde sie ganz still.

Parioli, das auf dem Monte Parioli liegt, ist ein komischer Ort. Es ist eine Gegend, die den meisten entweder ein „Oh, molto chic!“ oder eine Grimasse entlockt. Manchmal auch beides. Einige hören direkt auf mit einem zu sprechen, wenn man zugibt, dass man dort wohnt, weil man sich damit offenbar als eine von denen entlarvt: als Pariolina, Pariolini. Die Begriffe gibt es wirklich. Sie stehen auch außerhalb der Hauptstadt für etwas. Wenn sie fallen, tauchen in den meisten Köpfen folgende Bilder auf: viel Geld, viel Botox, dicke Autos, kleine Hunde.

Man denkt an deprimierte, den Gärtner verführende Hausfrauen, fremdgehende und von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugte Ehemänner, an verdorbene Sitten. Leute in Parioli, so glaubt man, sind steinreich und benehmen sich in jeder Hinsicht wie Ferkel, einfach weil sie es können.

Vielleicht denken manche an den Skandal, auf dem die Netflix-Serie „Baby“ basiert. Damals, Mitte der neunziger Jahre, flog auf, dass eine Gruppe von Pariolinas sich nach der Schule prostituierte. Nicht aus Not, sondern aus Langeweile. Um sich hübsche Handtaschen zu kaufen. Oder besser gesagt: mehr davon. Anderen wird das „Massaker von Circeo“, jene entsetzliche Begebenheit aus den siebziger Jahren, in den Sinn kommen, bei der drei junge Männer, Söhne angesehener Parioli-Familien, zwei junge Mädchen tagelang folterten und vergewaltigten, bis eine von ihnen an den Misshandlungen starb.

Rund um die Piazza Euclide

Vielleicht erinnert man sich aber auch an den ersten Roman von Alberto Moravia, der selbst hier geboren ist: „Die Gleichgültigen“. Er spielt in den Straßen rund um die Piaz­za Euclide und beschreibt weniger die Gewalt, die hinter den polierten Fassaden lauert, als vielmehr die Leere, die dort herrscht. Niemand liebt, jeder benutzt, am Ende sind alle einsam und die Herzen und Körper kalt.

Die Assoziationen sind, um es kurz zu machen, selten positiv. Und das hat einen guten und zumindest historisch legitimen Grund: Parioli war während des Faschismus der bevorzugte Wohnort der hohen Tiere des Regimes. Offiziere und ähnliche Pfeiler der politischen Aristokratie bevölkerten die Straßen, einige ihrer Erben leben wahrscheinlich bis heute hier.

Sympathisch geht anders, das ist klar. Und doch hat es auch seine guten Seiten. Es ist weitläufig und sehr grün, Wohnungen sind billiger als im Zentrum, und es wohnen ein paar interessante Leute hier, der italienische Schriftsteller Emanuele Trevi zum Beispiel. Und angeblich zieht auch Paolo Sorrentino gerade vom „coolen“ Esquilino nach Parioli um.

Die Fotografin Tina Madotti

Vielleicht mag ich es aber auch einfach nur wegen meiner Wohnung. Weil sie eine andere Geschichte, die eines anderen Pariolis, erzählt. Als ich sie zum ersten Mal besuchte, war das Erste, was mir ins Auge stach, ein Plakat: eine Fotografie der italienischen Fotografin Tina Modotti. Man sah darauf eine Frau im Profil, die stolz in die Ferne blickte, in ihrer Hand hielt sie eine Flagge. Es ist ein bekanntes Motiv, ein Symbolbild der mexikanischen Revolution.

Eine alte Dame, die das an der Wand hängen hat, kann keine Faschistin gewesen sein, dachte ich und entdeckte in den Monaten danach, dass sie tatsächlich Teil einer recht bekannten Familie von Antifaschisten und Widerstandskämpfern gewesen war. Ihr Bruder, Luigi Pintor, war 1971 Mitbegründer der linken Tageszeitung Il Manifesto, einer Art italienischer taz. Man kann also in Parioli leben, sagte ich der Frau, und muss keine Pariolina sein! Danach sprachen wir übers Wetter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.