Armenische Community in Hamburg: „Wir sind leer und verzweifelt“

Hamburgs armenische Community fühlt sich angesichts des Kriegs in Bergkarabach ohnmächtig. Hinzu kommt die Bedrohung durch türkische Rechtsradikale.

Kinder und Erwachsene zeigen bei einer Demonstration Schilder und die armenische Fahne.

Schon Anfang September demonstrierten junge Ar­me­nie­r:in­nen in Hamburg Foto: Ellen Panos

HAMBURG taz | „Die aktuelle Situation in Bergkarabach löst in mir ein tiefes Gefühl der Frustration und Trauer aus“, sagt Karina Vartanjan. „Besonders für ältere Generationen meiner armenischen Freunde und Bekannten in Hamburg sind die immer wiederkehrenden Angriffe retraumatisierend, da sie sich an den Völkermord an den Armeniern aus 1915 erinnert fühlen.“

Vartanjan ist Diaspora-Jugendbotschafterin Armeniens in Hamburg und Vorsitzende des armenischen Jugendvereins Kilikia Hamburg. „Mit dem Verein wollen wir die armenische Identität und Kultur von jungen Menschen in der Diaspora stärken. Wir organisieren dafür kulturelle Angebote und Bildungsveranstaltungen in Hamburg“, erzählt sie über ihre Arbeit. Sie hat sich durch den Krieg von Aserbaidschan in Bergkarabach 2020 politisiert und angefangen, sich in die armenische Community einzubringen.

In und um Hamburg existiert eine der größten armenischen Communitys in Deutschland. Wie geht es den hier in der Diaspora lebenden Ar­me­nie­r*in­nen angesichts der Kriegshandlungen in Bergkarabach?

Von Ohnmachtsgefühlen berichtet Anni-Maria Wehbe von der Gruppe „Miasin for Artsakh“. Der Verein leistet von Hamburg aus humanitäre Hilfe für die Region Artsakh. Darüber hat Wehbe direkte Kontakte zu Menschen vor Ort und konnte mitverfolgen, wie diese in den letzten Monaten durch die Blockade des Latschin-Korridors zwischen der Exklave und dem armenischen Kernland immer weiter aushungerten. „Ich bin gerade nicht mehr in der Lage dazu, etwas zu machen. Wir sind momentan leerer und verzweifelter als während des Krieges 2020, weil einfach nichts passiert“, sagt sie.

Nach einer neunmonatigen Blockade hatte Aserbaidschan am Dienstag eine militärische Offensive gegen die Region Artsakh gestartet, die in Deutschland als Bergkarabach bekannt ist.

Die große Mehrheit der Be­woh­ne­r*in­nen von Bergkarabach sind bis heute ethnische Armenier*innen.

Die Sowjetunion sprach dennoch den Großteil des Gebiets 1921 gegen den Willen der Bevölkerung Aserbaidschan zu, wogegen sich die dort lebenden Ar­me­nie­r*in­nen bis heute wehren.

„Ich habe in der letzten Nacht kaum geschlafen“, sagt auch die in Armenien geborene und aufgewachsene Hasmik Matinyan am Mittwoch. Bis zwei Uhr habe sie wachgelegen und die Nachrichten zu den Angriffen gelesen.

Mit 13 ist Matinyan nach Deutschland gekommen, der Großteil ihrer Familie lebt noch in Armenien. „Bei mir und vielen Armenier*innen, mit denen ich spreche, weckt die aktuelle Situation starke Ängste und Erinnerungen“, erzählt sie. „Teilweise kann ich mich selbst noch an den Krieg aus den 90er-Jahren erinnern. Wir haben im Osten von Armenien nahe zu Aserbaidschan gelebt und die Angriffe damals mitbekommen.“

Im Laufe des Mittwochs kam die Nachricht, dass Bergkarabach sich Aserbaidschan ergeben werde. Dafür sicherte Aserbaidschan eine Feuerpause zu. Ob und unter welchen Bedingungen es zu dem Waffenstillstand gekommen ist, lässt sich aufgrund der lückenhaften Berichterstattung nicht klar sagen, mehrere Berichte sprechen dagegen.

Ausgerechnet am Mittwoch sollte in der Hamburger Laeiszhalle ein Konzert des aserbaidschanischen Musikers Isfar Sarabski stattfinden – veranstaltet von der Botschaft der Republik Aserbaidschan. Das Konzert wurde spontan abgesagt. Auf taz-Nachfrage zu den Gründen der Absage erklärte ein Pressesprecher von Elbphilharmonie und Laeiszhalle, die Absage sei von der Botschaft ausgegangen und nur diese könne Angaben zu ihren Gründen machen. Eine Nachfrage, ob die Laeiszhalle auch in Zukunft mit der Botschaft Aserbaidschans zusammenarbeiten würde, blieb unbeantwortet.

Die Diaspora-Jugendbotschafterin Karina Vartanjan fordert Deutschland und die EU dazu auf, Aserbaidschan für seine Politik in Bergkarabach zu sanktionieren. Sie sieht sich in der Pflicht, sich über ihre Arbeit für armenische Jugendliche in Hamburg hinaus auch politisch für die Ar­me­nie­r*in­nen in Bergkarabach einzusetzen.

Das ist nicht immer leicht. „Eine breite Solidarisierung für armenische Belange wird erheblich durch Drangsalierungen seitens der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe erschwert“, sagt Vartanjan. Nicht selten seien Organisato­r*innen von Demonstrationen in der Vergangenheit von Anfeindungen und Bedrohungen betroffen gewesen.

„Ich weiß von mehreren Menschen in meinem Umfeld, dass sie bei dem Krieg 2020 angegriffen und bedroht wurden, weil sie als Ar­me­nie­r*in erkennbar waren“, sagt auch Hasmik Matinyan.

Morddrohungen von den Grauen Wölfen

Eine andere Armenierin, die anonym bleiben will, da sie vor einigen Jahren Morddrohungen von den Grauen Wölfen erhielt, sah sich durch die Bedrohungslage dazu gezwungen, sich nicht mehr öffentlich zu Armenien zu äußern. Zuvor hatte sie über den Genozid des Osmanischen Reichs an den Ar­me­nie­r*in­nen 1915 geschrieben, dem auch ihre Vorfahren zum Opfer fielen. „Ich bin in Deutschland nicht sicher vor diesen Rechtsextremisten, sie können mir drohen und es hat keine Konsequenzen! Viele Ar­me­nie­r*in­nen trauen sich deshalb nicht, sich öffentlich politisch zu engagieren“, sagt sie.

Auch sie berichtet von einem starken Gefühl der Hilflosigkeit. Schon 2020 seien viele Menschen in ihrem Umfeld, die sich zuvor stark eingebracht hatten, an dieser Hilflosigkeit zerbrochen. „Meine Mutter konnte dieses unendliche Leid nicht mehr ertragen und hat ihre armenische Identität komplett abgelegt, sie spricht auch kein Armenisch mehr“, erzählt sie. „Inzwischen frage auch ich mich, wie lange ich es noch aushalten kann, Armenierin zu sein.“

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