Jürgen Trittin geht zwischen applaudierenden Abgeordneten im Bundestagsplenum

Feierlaune: Jürgen Trittin am 14. Dezember nach seiner letzten Bundestagsrede Foto: Kay Nietfeld/dpa

Jürgen Trittin über die Grünen:„Beste Schwiegersöhne der Republik“

Jürgen Trittin blickt zurück auf seine politische Laufbahn: Ein Gespräch über Verbote, Arroganz und Kompromisse.

28.12.2023, 17:59  Uhr

taz: Herr Trittin, nach 25 Jahren im Bundestag treten Sie ab. Politisch aktiv sind Sie, seit Sie in den 70er Jahren zum Studieren nach Göttingen kamen. Gibt es einen Kern Ihres politischen Lebens, etwas, das Sie immer angetrieben hat?

Jürgen Trittin: Ich habe mal irgendwo gesagt, ich hasse Ungerechtigkeiten.

Aber das ist es nicht?

Doch, doch, aber das ist nicht von mir, sondern ein Zitat aus dem Film „Für eine Handvoll Dollar“. Da sagt das Clint Eastwood, der ein egoistischer Söldner ist, aber dadurch das Gute tut und das Dorf von den Gangsterbanden befreit. Ich habe natürlich sehr unterschiedliche politische Bereiche bespielt, aber ich glaube, der Kampf um so etwas wie Gerechtigkeit ist wohl der rote Faden.

Jürgen Trittin, 69, ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Zum Jahresende gibt er sein Mandat auf, nach 25 Jahren im Bundestag. Er gehört zum linken Flügel der Grünen, ist aber auch pragmatischer Machtpolitiker. Trittin gilt als kluger Stratege und guter Redner, der nicht zimperlich ist, aber auch einstecken kann. Einem CDU-Generalsekretär warf er einst die „Mentalität eines Skinheads“ vor.

Also nicht Umwelt oder Klima?

Klimaschutz, Energiewende – da geht es doch um Gerechtigkeit. Ökologie ist als politischer Begriff nichts anderes als die Definition, dass jeder Mensch auf diesem Globus, auch die kommenden Generationen, die gleichen Lebenschancen haben soll. Es geht um generationenübergreifende, globale Gerechtigkeit. Das ist der Kern der politischen Ökologie.

Sie haben 2013 als Spitzenkandidat der Grünen mit dem Thema soziale Gerechtigkeit Wahlkampf gemacht – Steuern rauf, Ehegattensplitting abschaffen – und sind damit baden gegangen: 8,4 Prozent, und das zwei Jahre nach Fukushima. War das Ihre größte Niederlage?

Bei Fukushima hatten wir gewonnen: Unser Atomausstieg wurde von Frau Merkel gegengezeichnet. Doch 2013 war eine deutliche Niederlage. Dazu haben eigene Fehler beigetragen.

Welche Fehler genau?

Der Fehler bestand nicht in der Vermögensabgabe oder dem höheren Spitzensteuersatz, sondern in der Abschmelzung des Ehegattensplittings. Das hat im Wahlkampf die eigene Mobilisierung zertrümmert. In meinem universitären Wahlkreis etwa gibt es sehr viele hochqualifizierte Frauen und Männer, die von Stanford über Harvard bei Max Planck in Göttingen landen, deren Lebenspartnerinnen und -partner nicht immer adäquat gleiche Jobs haben. Das sind eigentlich traditionell Grünwähler, und die waren entsetzt. Die waren auf diesen Steuervorteil angewiesen. Wenn man so eine Veränderung in den Mittelpunkt einer Kampagne stellt, muss man die Zahl der Gegner genauer kalkulieren.

Welche Lehre kann man daraus ziehen? Jetzt beim Heizungsgesetz haben die Grünen die Zahl der Gegner auch nicht gut kalkuliert.

Ich glaube, dass wir in diesem Jahr mit etwas anderem konfrontiert waren. Klimaschutz wird nicht mehr nur gegen große Konzerne durchgesetzt – so, wie wir etwa den Strombereich erfolgreich dekarbonisieren. Den Klimaschutz im Gebäudesektor anzugehen, hat erst mal ein mentales Umstellungsproblem in der Bevölkerung geschaffen, denn viele Menschen waren in ihren Gewohnheiten getroffen. Dieses Grundgefühl ist von denjenigen, die massive Interessen haben – zum Beispiel Gas zu verkaufen oder teure Gasinfrastruktur aufrechtzuerhalten – ausgenutzt worden. Und dann ist das Gesetz gezielt vom Koalitionspartner unter Weglassen von sozialen Ausgleichsmaßen, die ja in Vorbereitung waren, durchgestochen worden.

Eine Parallele zu 2013 könnte sein, dass Sie in beiden Fällen die Macht der Lobbys und das Verhetzungspotenzial des Vorhabens massiv unterschätzt haben.

Ja. Man muss solche Fragen sehr sorgfältig kalkulieren, das haben wir 2013 nicht gemacht. Bei der Wärmepumpe ist es böswillig von einigen Koalitionspartnern und den Springer-Medien gegen uns genutzt worden.

Aber die Frage bleibt doch: Wenn ein Großteil der Bevölkerung den Klimaschutz unterstützt – wieso kommt die Bild-Zeitung dann mit einer so simplen Verhetzungskampagne durch?

Es war natürlich nicht die Bild allein, aber in der Tat hat das KKR gehörende Organ …

Der US-Investor KKR ist Großaktionär bei Springer.

KKR hat viel in die Fossilen investiert, und die Bild hat in der Kampagne gegen den Ausstieg aus den fossilen Heizungen eine zentrale Rolle gespielt. Aber der Anknüpfungspunkt war in der Tat die Angst vor Veränderung, und die ist erst mal durchgeschlagen. Am Ende aber ohne Erfolg. Und heute verkauft die Bild „Volkswärmepumpen“.

Das Konzept für den sozialen Ausgleich hat allerdings tatsächlich gefehlt. Und jetzt machen die Grünen den gleichen Fehler wieder: Sie erhöhen den CO₂-Preis, und das Klimageld kommt nicht.

Moment, die Gesamtentlastung dürfte sich durch die Anhebung des steuerfreien Existenzminimums und zum Beispiel den Wegfall der EEG-Umlage gerade für Geringverdiener nicht zu deren Schaden entwickeln. Ich habe selbst immer für das Klimageld gekämpft, aber wir hatten in dieser schwierigen Situation eine Entscheidung zu treffen. Wir müssen 2024 entlasten, nicht 2026.

Auch das Veggieday-Trauma aus dem Wahlkampf 2013 hallt bis heute nach. Es scheint so, als wären Ressentiments gegen die Grünen besonders leicht mobilisierbar, und zwar unabhängig vom sonstigen Gang der Gesellschaft.

Und unabhängig von der Wahrheit.

Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin bei einer Pressekonferenz

Niederlage: Trittin mit Katrin Göring-Eckardt am Tag nach der Bundestagswahl 2013 Foto: Sven Simon/imago

Die Grünen haben seit 2013 alles getan, um das Image der Verbotspartei abzuschütteln – und zehn Jahre später ist ruck, zuck alles wieder da.

Grüne sprechen Dinge aus, die andere auch wissen, aber sich nicht trauen zu sagen. Die Überbringer schlechter Botschaften werden öfter für die Botschaft verhauen. Ich war ja einer von drei Abgeordneten, die in der Fraktion gegen den Veggieday gestimmt haben, aber als Spitzenkandidat habe ich das natürlich aufrecht vertreten.

Der Kern des Problems ist doch, dass wir die Produktion von Fleisch in Deutschland reduzieren müssen: wegen des Imports von Futtermitteln aus abgeholzten Waldflächen, wegen dieser Viehdichte, der damit einhergehenden Gewässerbelastung und flächendeckenden Behandlung von Puten, Hühnern und so weiter mit Antibiotika, womit wir uns die Antibiotikawirksamkeit für die Menschen kaputtmachen. Aber wenn man das Thema dann folgerichtig angeht, werden die Grünen wieder hart angegriffen.

Sie sehen aber nur ein inhaltlich-strategisches Problem?

Es wäre richtiger, über ein Antibiotikaverbot in der Tiermast und die CO₂-Bepreisung beim Import von Futtermitteln zu sprechen, anstatt auf symbolische Verbraucher-Aktionen zu setzen. Wir müssen die Produktionsstrukturen angehen.

Die Herzen der Leute werden Sie damit nicht gewinnen.

Es geht ja am Ende darum, dass man Menschen dazu mobilisiert, einen zu wählen und zu stärken. Das haben wir bei der letzten Bundestagswahl ziemlich gut hingekriegt. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass wir von den drei Ampelparteien diejenigen sind, die aktuell die meisten Wäh­le­r*in­nen verlieren. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die Ampel zurzeit keine Mehrheit in den Umfragen hat, und das ist ein gemeinsames Problem. Deswegen muss man auch gemeinsam versuchen, da rauszukommen. Das ist möglich, und ich halte den Ausgang der nächsten Bundestagswahl für eine sehr offene Frage.

Sie waren 2013 mit Katrin Göring-Eckardt Spitzenkandidat, aber Ihnen allein ist die Schuld für das schlechte Abschneiden in die Schuhe geschoben worden. Wir bei der taz konnten schon knapp vor der Wahl beobachten, wie die Weichen für Ihren Sturz vom Sitz des Fraktionschefs gestellt wurden. Haben Sie das damals bemerkt?

Ach, sehen Sie, ich habe in meinem politischen Leben viele Erfahrungen gemacht. 2009 habe ich das bis dahin beste Ergebnis für Die Grünen geholt. 2013 war eine Niederlage. Und dazu haben jene beigetragen, die ursprünglich unser Konzept sehr ernsthaft mit erarbeitet haben – und sich dann dagegenstellten. Aber das war 2013.

Aber es waren Ihre eigenen Parteifreundinnen und -freunde, die dafür gesorgt haben, dass mit Ihnen genau das passiert, was wir gerade von den Grünen beschrieben haben: Man sorgt dafür, dass sich Ressentiments auf Sie richten.

Ich weiß nicht, ob man das so beschreiben kann. Ich habe dafür die Verantwortung übernommen, weil ich für dieses strömungsübergreifende Konzept – links und schwäbisch – mitverantwortlich war. Und wie das andere halten, müssen sie selber wissen.

Jürgen Trittin unterschreibt den Koalitionsvertrag, neben ihm sitzen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine

Kompromissbereit: Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am 20.10.1998 in Bonn Foto: Jürgen Eis/imago

Herr Trittin, Sie haben den Ruf, arrogant zu sein. Haben Sie sich jemals darüber Gedanken gemacht, warum das so ist?

Nein, aber ich glaube, dass einige der Ministerinnen und Minister, die gemeint haben, sie wollten nicht so arrogant wie der Trittin wirken, nach den Erfahrungen mit dem Gebäudeenergiegesetz oder mit bestimmten Bewirtschaftungsrichtlinien in der Landwirtschaft plötzlich erfahren mussten, dass man als arrogant verschrien wird, obwohl man sich gar nicht verändert hat. Auch das sind ja Grüne, die wirklich extrem menschenfreundlich sind und den Ruf hatten, die besten Schwiegersöhne der Republik zu sein.

Aber hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie anderen das Gefühl geben, sie seien ein bisschen dümmer als Sie?

Nein, hinter dieser Geschichte des Vorwurfs der Besserwisserei steht ja oft – ich komme darauf zurück –, dass wir Dinge aussprechen, die andere auch sehen, aber nicht aussprechen, weil sie die Auseinandersetzung scheuen. Politik in der Demokratie besteht im Austragen von unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Interessen, diese müssen in jedem Fall durchgefochten werden. Oft sind das sehr mächtige Interessen. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man, aber ich kann den Konflikt nicht ignorieren.

Soll das heißen: Was andere Arroganz nennen, ist Ihre Form von Konfliktfähigkeit?

Ich glaube, dass ich ausweislich einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die wir getroffen haben, eine gewisse Konfliktfähigkeit habe. Das fing an mit der Einführung des EEG, was den Marktwert von Eon und RWE halbiert hat und ihren Marktanteil auch – weil sie sich geweigert haben, bei der Energiewende mitzumachen. Gegen eine ganz breite Front haben wir den Emissionshandel durchgesetzt, der dazu führen wird, dass wir vor 2030 aus der Kohle aussteigen. Das sind alles Konflikte gewesen, wo man sich mit sehr mächtigen Gruppierungen angelegt hat. Da empfinde ich es nicht als Vorwurf, dass ich konfliktfähig bin. Am Ende entstehen so neue Konsense.

Und die netten Schwiegersöhne der Grünen in der Bundesregierung, die unterschätzen diese Konflikte?

Nein, die sind, wie man sieht, konfliktfähig. Wir haben 170 Gesetze in zwei Jahren, davon 50 bis 60 allein im Verantwortungsbereich von Robert Habeck, durchgebracht. Unsere Mi­nis­te­r*in­nen haben bewiesen, dass sie es können. Ist doch kein Spaß, Gazprom Germania zu verstaatlichen oder Uniper zu retten, obwohl es eigentlich den Finnen gehört! Das war eine große Leistung von Robert.

Uns geht es um etwas anderes: um unterschiedliche Politikertypen. Sie hatten zum Beispiel – anders als Robert Habeck – immer ein besonders distanziertes Verhältnis zu den Medien.

Nur weil ich mich geweigert habe, mein Privatleben vor den Medien auszubreiten? Heute würden viele sagen: Das hat der Jürgen gut gemacht, hätten wir das mal auch so gehandhabt. Ansonsten habe ich ein sehr professionelles Verhalten zu den Medien. Ich habe mich etwa immer dagegen gewehrt zu sagen: Boykottiert die Bild. Die ist der schlechte Teil unserer Realität, und damit gehen wir professionell um. Und wenn die Bilder von mir fälschen und mich verleumden, wie sie es getan haben, dann schicke ich meinen guten Medienanwalt los, der ja auch gelegentlich die taz vertritt.

Gibt es etwas, was Sie den Grünen gern mitgeben würden?

Ich glaube, es gibt eine ganz einfache Lehre: Man muss durchhalten. Strukturelle Veränderungen, wie beim Emissionshandel, beim Kohleausstieg und bei den erneuerbaren Energien, wirken nicht von heute auf morgen. Ich war nicht immer nur beliebt bei den Umweltverbänden. Die haben mir damals vorgeworfen, der Atomausstieg dauert viel zu lang. Am Ende waren alle froh, dass ich es geschafft habe, diese alberne Laufzeitverlängerung im vergangenen Jahr auf drei Monate zu reduzieren. Deswegen sage ich, durchhalten und Kurs halten ist das Wichtigste. Und wenn der Kurs nicht stimmt, muss er korrigiert werden. Es ist fast schon ein Witz, dass wir ausgerechnet in einer Koalition mit der FDP die Fehler von Rot-Grün korrigieren – mit dem Bürgergeld, mit der Kindergrundsicherung und mit der Anhebung des Mindestlohns.

Trittin ist in Bremen geboren und hat in Göttingen in den späten 1970er Jahren Sozialwissenschaften studiert und das Studium als Diplom-Sozialwirt abgeschlossen. Er war Mitglied des maoistischen Kommunistischen Bundes (KB), 1980 wurde er Mitglied der Grünen.

Sie sind für viele junge Grüne auch in der Fraktion ein Vorbild. Aber für die ist auch Achtsamkeit ein großes Thema und das, wofür Woke­ness im positiven Sinne steht. Sie sind im Mackertum des KB, des Kommunistischen Bundes, politisch groß geworden, Sie gendern bis heute nicht oder nur ganz selten. Wie blicken Sie auf diesen Generationen-Gegensatz?

Ich finde das gut, weil die jungen Leute teilweise mit einer im Wortsinne entwaffnenden Höflichkeit an politische Probleme rangehen, und das unterscheidet sich wohltuend von dieser Kultur „Wer am lautesten brüllt, hat recht“, die den Achtundsechzigern nachgesagt wurde.

Fridays For Future: Höflichkeit bei gleichzeitig großer Klugheit, tiefem Engagement, fester Überzeugung und Standfestigkeit

Am schönsten fand ich eigentlich immer, wie die Fridays for Future aufgetreten sind. Diese Höflichkeit bei gleichzeitig großer Klugheit, tiefem Engagement, fester Überzeugung und Standfestigkeit in der Position, das ist in Ordnung. Ob man auf Dauer den Kampf um Identitäten gegen die Rechten gewinnt, da habe ich allerdings Zweifel.

Ist es gefährlich, dieses Feld zu sehr zu bespielen?

Ich glaube, dass man schon dafür kämpfen muss, dass benachteiligte Gruppen besser sichtbar gemacht werden und mehr Rechte bekommen. Aber wenn man das zu einer ganz ideologischen Identitätspolitik steigert, wird am Ende die Identität des Kartoffeldeutschen siegen. Das wird nicht zugunsten der Linken ausgehen.

Sie haben in Ihrer Abschiedsrede im Bundestag gewarnt: „Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder!“ Beim KB war man schon in den 70er Jahren der Ansicht, dass die Faschisierung der Bundesrepublik im Gange sei.

Und das war falsch, die KB-These von der Faschisierung ist empirisch widerlegt. Wir haben seitdem eine Entwicklung erlebt, in der sich die Gesellschaft in vielen Fragen immer mehr geöffnet hat, wo das Maß an individuellen Freiheiten, die Vielfältigkeit von Kultur, die Gleichberechtigung von einstmals kriminalisierten Gruppen gewachsen ist. Das ist das Gegenteil einer Faschisierung gewesen.

Und wie sieht es heute aus?

Wir sind jetzt konfrontiert damit, dass der Bodensatz von 8 bis 15 Prozent fremdenfeindlicher, rassistischer, teilweise offen faschistischer Ideologie, der in dieser Gesellschaft schon immer drinsteckte, sich parteiförmig organisiert und den Weg in die Parlamente gefunden hat. Das ist die neue Herausforderung, vor der nicht nur die deutsche Gesellschaft steht, hier ist es sogar eher verspätet angekommen. In Thüringen machen CDU und FDP schon zum zweiten Mal unter dem Vorwand, gegen Windenergie in den vom Klimaschutz zerstörten Wäldern zu sein, mit der AfD, der Nazi-Höcke-Partei, gemeinsame Sache. Wir haben uns unter Demokraten darauf verständigt, dass es darum geht, wer beispielsweise eine Koalition anführt – aber nicht um die Frage, führe ich eine Koalition an um den Preis, dass ich mich von denen unterstützen lasse. In Skandinavien ist dieser Konsens gerade weggebrochen, und jetzt kontrollieren die Schwedendemokraten die Regierung. Mich besorgt das sehr.

Wie groß ist bei diesem Thema der Einfluss Ihrer Biografie? Ihr Vater war bei der Waffen-SS, noch im Mai 45 versuchte die Kampfgruppe Trittin in Ostpreußen die Rote Armee aufzuhalten. Wie hat Sie das beeinflusst?

Mein Vater hat gesagt, ihr müsst dafür sorgen, dass so was, was wir gemacht haben, nicht wieder passiert. Das habe ich ernst genommen.

Haben Sie ihn gefragt, was er damals genau getan hat?

Es war sogar eine SS-Kampfgruppe nach ihm benannt. Er hat mich und meinen Bruder nach Bergen-Belsen gebracht, ich war da wahrscheinlich 15, mein Bruder war 12 oder 13 Jahre alt, mein Vater hat von seiner Verantwortung erzählt und uns gewarnt. Das fand ich gut, das hat sich unterschieden von der Haltung anderer Väter. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht: Wir haben etwas Falsches gemacht, ich bin zu Recht in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gelandet und zu Recht von denen verurteilt worden. Die Sowjets waren keine unanständigen Menschen. Das war seine Sicht auf die Dinge.

War Ihre Bundestagsrede vor Weihnachten besonders an die Union gerichtet?

Während der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) war Trittin von Oktober 1998 bis November 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Er hat das Dosenpfand eingeführt und den Atomausstieg eingeleitet. Zuvor war Trittin Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen.

Nein, die richtete sich an das ganze Haus. Es geht in einer solchen Rede nicht um Parteipolitik, sondern es geht um eine gemeinsame Herausforderung und eine Bestätigung dieses Konsenses zwischen den Demokraten. Es ist nicht schön für die FDP, in der Ampel zu regieren, weil sie das Lager wechseln musste. Es ist nicht schön für die CDU in Baden-Württemberg, Juniorpartner von Winfried Kretschmann zu sein. Und es ist für die sächsischen Grünen nicht schön, mit Michael Kretschmer zu regieren. Aber der Grund, warum sie es tun, ist diese Verantwortung.

Es ist etwas überraschend, von jemandem wie Ihnen, der den politischen Gegner so angegriffen hat, vom notwendigen Schulterschluss der Demokraten zu hören. Tun Sie das, weil der das sagen muss, der sich am meisten mit Friedrich Merz geprügelt hat?

Es gehört zur Demokratie, dass man auch Sachen miteinander austrägt. Ich bin kein Kind von Traurigkeit gewesen, ich bin auch nicht immer nett behandelt worden. Es ist ja nicht schön, als Ökostalinist bezeichnet zu werden. Noch mal: Demokraten können sich streiten. Aber am Ende haben wir einen Konsens über die Atomenergie gemacht.

„Ich habe eben nicht nur robust gestritten, sondern auch viele Konsense auf den Weg gebracht. Das ist Demokratie“

Ich habe in der Opposition mit Peter Altmaier von der Regierungs-CDU das Entsorgungsgesetz und den Fonds zur Finanzierung der Endlager auf den Weg gebracht. Das heißt: Man kann sich auseinandersetzen, man kann Interessen auch mit Polemik austragen. Am Ende wird man kaum drumherumkommen, Kompromisse zu machen. Ich habe eben nicht nur robust gestritten, sondern auch viele Konsense auf den Weg gebracht. Das ist mein Verständnis von Demokratie.

Haben Sie das schon immer so gesehen?

Lange haben wir die Notwendigkeit lagerübergreifender Koalitionen nicht gesehen. Aber der europäische, ja globale Wiederaufstieg faschistischer Bewegungen zwingt uns, neu zu denken.

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