Energiepolitik: Der lange Abschied vom Öl

Auf dem fossilen Energiemarkt steht eine Wende bevor: Die Frackingblase könnte bald platzen. Die Saudis drohen, ihre Reserven komplett auszubeuten.

Zeichnung von einem auslaufendem Ölfass und drei Menschen die drumherum stehen

Die Menge an gefördertem Erdöl könnte bald schrumpfen Illustration: Katja Gendikova

Deutschland liefert moderne Waffensysteme nach Saudi-Arabien und lobt den Modernisierungsschub des autoritären Regimes, ebenso wie dessen neue Solarprojekte. Fast vergessen sind dabei die permanenten Verstöße gegen elementare Menschenrechte. Auch das Auftreten der Saudis beim letzten Klimagipfel im Dezember in Dubai ist kein Thema mehr. Dort bremste das Land zusammen mit anderen Ölförderländern, die für das weitgehende Scheitern der Konferenz verantwortlich waren.

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Schon bei den Klimagipfeln davor ist ihr verhängnisvoller Einfluss beklagt worden. Dieses Mal war er allerdings so groß, wie nie zuvor. Die Förderländer ließen unverhohlen die Muskeln spielen, nachdem der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman schon vorab angekündigt hatte, sein Land werde die Ölreserven „bis zum letzten Molekül“ ausbeuten.

So brachte sich in Dubai der weltweit noch immer wichtigste Energieträger, das Erdöl, heftig in Erinnerung. Das erinnerte daran: Die Fixierung auf den Kohleausstieg greift in der Klimadebatte zu kurz. Anders als der Atom- und Kohleausstieg ist der Öl-Ausstieg nicht gerade eine populäre Forderung.

Der wichtigste Schmierstoff des Kapitalismus

Spätestens seit der Konferenz in Dubai ist es überfällig, den wichtigsten Schmierstoff des Kapitalismus wieder ins Visier zu nehmen. Erdöl ist auch in Deutschland mit einem Anteil von 39 Prozent die Nummer eins unter den Energieträgern. Ein Abschied vom Öl wird nur für einzelne Sektoren – vor allem den Pkw-Verkehr – diskutiert, und das nur mit einer extrem langfristigen Perspektive.

Wenn der Öl-Ausstieg in Europa aktuell kein Thema ist, konnte man dann ausgerechnet in Dubai einen harten Beschluss weg von Öl und Gas erwarten? Darf man ernsthaft hoffen, dass die Opec dafür jemals die Hand heben wird? Dass der Gastgeber einer Klimakonferenz, dessen Wohlstandsmodell ganz auf Öl und Gas gebaut ist, einen Ausstiegskurs einschlägt?

Der Konferenzvorsitzende Sultan Al Jaber, Chef des Ölkonzerns Adnoc, quälte die Delegierten mit erstaunlichen Denkfiguren. Nicht die fossilen Energien seien das Problem, sondern die Emissionen. Nicht die Bankräuber seien das Ärgernis, sondern das gestohlene Geld. Dann lassen wir die Bankräuber doch in Ruhe.

Eine Politik „weg vom Öl“ war in der westlichen Welt vor allem nach den Ölkrisen in den 1970er Jahren ausgerufen worden. Passiert ist danach jedoch das Gegenteil: Die Auto-, Lkw- und Luftfahrtflotte wuchs zu monströser Größe und damit unsere Abhängigkeit vom Öl, das auch als Kraftstoff für Heizungen dominierte. Das Klagelied über die ungeschminkte Interessenpolitik der Förderländer hat dabei jedoch einen schizophrenen Touch.

Nicht nur die Golf-Staaten hängen vom Öl ab

Nicht nur Saudi-Arabien, Kuwait, die Emirate und andere Exporteure verdanken ihren Wohlstand dem Öl. Auch das Wachstum der Industrieländer – und damit ein Teil des deutschen Wohlstands – sind bis heute an billiges Öl gekoppelt. Vor allem das Geschäftsmodell der Automobilindustrie, die angeblich jeden siebten Arbeitsplatz stellt, ist unmittelbar vom Öl abhängig, ebenso das der Chemieindustrie.

Zur westlichen Schizophrenie gehört, dass wir von den Förderländern eine Einschränkung fordern, selbst aber nicht im Traum daran denken, unseren Ölverbrauch zu reduzieren

Die Exporterfolge unseres Landes waren nur möglich, weil sich weltweit ein auf billigen fossilen Brennstoffen basierendes Leben und Wirtschaften entwickelt hat. Auch künftig erwarten wir von den bösen Klima-Bremsern aus Dubai selbstverständlich pünktliche Lieferungen von Öl und Gas in gewaltiger Menge. Zur westlichen Schizophrenie gehört, dass wir wegen des Klimas von den Förderländern mittelfristig eine Einschränkung ihres Ölausstoßes fordern, wir selbst aber nicht im Traum daran denken, unseren Verbrauch zu reduzieren.

Wir erwarten, dass die Förderländer auf Geheiß der Importländer und nach deren politischem Gutdünken ihr Wohlstandsmodell aufgeben und den Ausstieg vorbereiten. Kann diese Aufforderung zur Selbstamputation funktionieren? Schauen wir genauer hin: Wie viel Öl ist überhaupt noch da? Wie lange können die Förderländer die Welt überhaupt noch in diesem Umfang mit billigem Treibstoff versorgen?

Noch Anfang der 2000er Jahre rechnete man damit, dass die globale Förderung in absehbarer Zeit stagnieren und dann zurückgehen wird. „Peak Oil“ lautete das Schlagwort. Damit verbunden war die Hoffnung, dass Ölförderung und Treibhaus-Emissionen parallel schrumpfen würden. Doch es kam erst einmal anders.

Die Verwandlung der USA

Tatsächlich stagnierte die konventionelle Ölförderung ab etwa 2005 auf einem ausgedehnten Plateau. Erst ab 2019 ging sie nachweisbar zurück. Stagnation und Rückgang wurden jedoch überdeckt durch den rasanten, von niemandem vorhergesehenen Anstieg der unkonventionellen Ölförderung in den USA – dem Fracking. Die USA, der weltweit größte Ölverbraucher, wurden durch Fracking zum größten Ölproduzenten der Welt.

Die US-Förderung kletterte von 6,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2012 auf 12,3 Millionen im Jahr 2019. Ein nie dagewesener Anstieg in so kurzer Zeit! Gleichzeitig stieg die globale Ölförderung nach 2012 von 77,5 auf 83,6 Millionen Barrel pro Tag, dem bisherigen Maximum im Jahr 2018. Der globale Anstieg entspricht also ziemlich exakt dem Anstieg der US-Förderung im gleichen Zeitraum. Ohne die USA hätte es kein Wachstum gegeben. Doch wie geht es nun weiter?

Die weltweite Förderung hat ihren Höhepunkt von 83 Millionen Barrel aus dem Jahr 2018 nach Überwindung des Corona-Einbruchs nicht mehr erreicht, sie steht aktuell bei täglich 81 Millionen Barrel im Jahr 2022. Würde man diese Menge in einen Güterzug füllen, würde der von Sizilien bis Spitzbergen reichen. Die höhere Menge von 99 Millionen Barrel, über die Medien oft berichten, enthält neben dem Rohöl auch flüssige Bestandteile (Propan, Butan, Ethan) und Bio-Treibstoffe. Diese Vermischung verstärkt die ohnehin schon große Intransparenz der Ölmärkte.

Was wir aktuell haben, sind also 81 Millionen Barrel Öl und das simple Naturgesetz der Endlichkeit. So wie jedes einzelne Ölfeld irgendwann ein Fördermaximum und danach einen unaufhaltsamen Rückgang erleben wird, so wird auch die globale Ölförderung nach einem mehr oder weniger langen Hochplateau irgendwann zurückgehen. Die Frage ist nicht, ob, sondern nur, wann.

Fördermenge versus Verbrauch

Die Daten zu den wenigen, neu entdeckten Ölfeldern unterstreichen dies: Das Maximum der Ölfunde – das wird gern ignoriert – lag in den 1940er Jahren. Seit den 1980er Jahren übersteigt der jährliche Ölverbrauch die immer spärlicheren Ölmengen in den neu gefundenen Feldern. Die Schere wird größer.

Aktuell wird so wenig neues Öl gefunden wie nie zuvor. So registrierte die Branche im Jahr 2022 rund 3 Milliarden Barrel Neufunde, aufgeteilt auf 80 kleine Felder. Dem steht eine jährliche Ölförderung (und ein Verbrauch!) von 30 Milliarden Barrel gegenüber. Die Diskrepanz beträgt den Faktor zehn – und wird von der angelsächsischen Presse zu Recht als Alarmsignal gewertet.

Die globale Ölförderung wird von drei Ländern dominiert: USA, Russland, Saudi-Arabien. Alle anderen Ölländer haben eine weitaus geringere Förderung und sind, bis auf wenige Ausnahmen, entweder auf einem Plateau angekommen, auf dem die Fördermenge stagniert, oder sie haben ihr Maximum bereits überschritten, wie das prominente Beispiel Großbritannien.

Das Fördervolumen dieser Länder wird auch in Zukunft ständig weiter abnehmen. Daher hängt alles von den Großen drei ab. Die Förderung dieser drei Länder, von denen zwei nach westlicher Definition als politisch zweifelhafte Kantonisten oder gar Schurkenstaaten gelten, bestimmt den künftigen globalen Ölmarkt. An ihnen hängt die Versorgung mit dem weltweit wichtigsten Energieträger.

Alles hängt vom Fracking ab

Auch die Förderung von Saudi-Arabien und Russland stagniert und wird nach allem, was bekannt ist, irgendwann zurückgehen. Die Förderung der USA hängt entscheidend vom Fracking ab. Die spannende Frage lautet: Wann ist dort das Maximum erreicht? Wann platzt die Fracking-Blase? Die Anzeichen verdichten sich, dass der Kipppunkt beinahe erreicht ist, denn die Zuwachsraten werden immer kleiner und nähern sich der Null-Linie.

Der Wendepunkt wird in wenigen Jahren erreicht sein. Folgen wird ein Rückgang, dessen Abstiegskurve genauso steil nach unten gehen wird, wie sie nach Beginn des Frackingbooms emporgeschossen ist. Wegen der zu erwartenden Entwicklung in den USA könnte die weltweite Ölförderung noch in diesem Jahrzehnt um täglich bis zu 8 Millionen Barrel sinken.

Fazit: Der bisherige globale Peak von 2018 wird wohl nicht noch einmal erreicht oder gar übertroffen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir Peak Oil schon heute nur noch im Rückspiegel sehen können – gesetzt den Fall, wir wollen der Realität ins Auge blicken. Peak Oil, das ist eine häufige Fehleinschätzung, muss nicht zwangsläufig in Panik enden. Es bedeutet auch nicht, dass uns in kurzer Zeit das Öl „ausgeht“. Es bedeutet nur, dass das Ölangebot im fossilen Supermarkt zurückgeht und die Welt mit weniger Öl auskommen muss. Und dies bei vermutlich stark steigenden Preisen.

Zu Panik und unbeherrschbaren Strukturbrüchen wird es nur kommen, wenn der Abschied von fossiler Mobilität, Heizung und Chemie weiter so langsam vorangeht.

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früherer Umweltredakteur der taz, ist freier Autor in Berlin

Energieexperte und ehemals Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, ist Autor zahlreicher Bücher zu Mobilitäts- und Ressourcenpolitik

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