Energiewendepionier über den Fortschritt: „Wir sind weiter, als ich erwartete“

Der Physiker Amory Lovins entwarf in den siebziger Jahren eine Vision für die Energiewende, die besonders in Deutschland verfing. Was sagt er heute?

Amory Lovins schaut auf eine geöffnete Banane, im Hintergrund stehen Solarzellen auf einem Ständer

Energiewende-Poinier Amory Lovins vor seinem Passivhaus in den Rocky Mountains Foto: Ben Stechsschulte/redux/laif

Vor gut 50 Jahren schrieb ein relativ unbekannter junger US-Physiker einen viel beachteten Aufsatz für die Zeitschrift „Foreign Affairs“. Darin eiferte er gegen die Energiewirtschaft. Der herkömmliche „harte Energiepfad“, mit seiner industriellen Großtechnik und riesigen Versorgungsnetzen, sei ineffizient und entfremde die individuelle Nutzerin von der Energieproduktion. Als Gegenmodell schlug er einen „sanften Energiepfad“ vor – mit effizienterer Technik und erneuerbaren Energien.

Amory Lovins, der Autor dieser Zukunftsvision, veröffentlichte sie 1978 auch in Deutschland als Buch mit dem Titel „Sanfte Energie – Das Programm für die energie- und industriepolitische Umrüstung unserer Gesellschaft“. Und genau dazu wurde es. Die Umweltbewegten, die Lovins damals zwischen Anti-AKW-Demos lasen, etablierten sich in den folgenden Jahrzehnten in den Institutionen und machten sich an ebenjene Transformation. 2016 erhielt Lovins für seine Pionierarbeit das Bundesverdienstkreuz.

wochentaz: Herr Lovins, kaum jemand hat die Energiewende hier in Deutschland so geprägt wie Sie. Wieso gelang gerade ­Ihnen dieser Zukunftsentwurf?

Amory Lovins: Ich hatte einfach das große Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Bis dahin war die Frage eher: Woher bekommt man mehr Energie? Mehr von jeder Art, aus jeder Quelle und zu jedem Preis, insbesondere Strom aus zentralen Kraftwerken. Mir war klar, dass das auf Dauer nicht funktionieren würde. Es wäre zu kostspielig, zu langsam und zu unbequem. Aber niemand hatte eine schlüssige Alternative.

Sie schon.

Ja, ich fragte mich, wozu wir die Energie überhaupt brauchen. Was wollen wir damit machen? Die Menschen wollen Dienstleistungen, wie heiße Duschen und kaltes Bier. Man sollte also von den Endnutzern her denken. Dann kann man schauen, welche Art der Energieerzeugung diese Aufgabe am kostengünstigsten erfüllt. Das erwies sich als sehr fruchtbar.

Sie wollten vor allem die Energienutzung effizienter machen?

Genau. Bei der Effizienz ging es im Grunde um die Frage: Was, wenn wir nicht immer nur mehr Kraftwerke zu Energieerzeugung zubauen, sondern ihnen Konkurrenz machen, durch Isolierung und Dämmung sowie bessere Motoren, Geräte und Lampen? In diesem Wettbewerb zwischen einem immer größeren Angebot und effizienter Nutzung merkte ich schnell, dass es da eine Goldgrube gab, die sich noch niemand ernsthaft angeschaut hatte. Und je mehr ich mich damit beschäftigte, desto größer wurde sie. Die Menschen wollten effizientere Technologien.

Sie selbst haben vor 40 Jahren mit Ihrem Haus in den Rocky Mountains neue Standards gesetzt.

Das stimmt. Das Haus ist so gut isoliert, dass es ganz ohne Heizung auskommt. Es heizt sich nur durch Sonneneinstrahlung und Wärme aus Körpern, Lampen und Geräten auf. Und das in einem Klima, das früher auf bis zu minus 44 Grad Celsius runterging, 2.200 Meter hoch in den Rocky Mountains nahe Aspen. Im Winter hatten wir bis zu 39 Tage lang eine ununterbrochene Wolkendecke. Doch ich kann hier drinnen sogar Bananen ernten. Gerade wächst meine 81. Staude – und das ganz ohne Ofen. Das Haus kostete sogar noch weniger als ein reguläres, weil der Verzicht auf die Heizung mehr Baukosten einsparte, als die hohe Effizienz hinzufügte.

Sie kommen also komplett ohne Heizung aus, nicht mal als ­Reserve?

Wir hatten einen Hund, der brachte in einem so gut gedämmten Haus eine Heizleistung von 50 Watt. Und wir konnten ihn auf 100 Watt hochregeln, indem wir einen Ball warfen. Das war unsere Reserveheizung.

Sie haben Ihre Vision für einen sanften Energiepfad 1976 dargelegt. Wie ist es Ihrer Meinung nach bisher gelaufen?

Bis zum Jahr 2000 war meine Prognose für den Energiebedarf der USA korrekt, nur ein paar Prozentpunkte zu hoch. Heute hinken wir der Entwicklung der Energieeffizienz, die ich vor 47 Jahren vorausgesagt habe, ein wenig hinterher – aber nur ein wenig. Bei der Geschwindigkeit, mit der wir erneuerbare Energien einsetzen, sind wir jedoch deutlich weiter, als ich erwartet hatte. Sie machen etwa 90 Prozent der neuen Stromerzeugungskapazität weltweit aus. Sie haben den Markt erobert, weil sie noch billiger sind, als ich zu hoffen gewagt hatte, und sie werden immer billiger. Die zentralen Kraftwerke machen also keinen Sinn mehr, egal ob mit fossilen Brennstoffen oder Atomkraft betrieben. Es ist in der Regel billiger, sie zu schließen und stattdessen neue Solar- und Windkraftwerke zu bauen.

75, studierte Physik an den Universitäten Harvard und Oxford, arbeitete bei einer Umweltorganisation und schrieb anschließend zahlreiche Bücher zu Energistrategien. Sein 1972 gegründetes Rocky Mountain Institute forscht und berät zu Energie­effizenz. Lovins bekam für seine Arbeit unter anderem den Alter­nativen Nobelpreis.

Dennoch baut Deutschland derzeit neue Gaskraftwerke als fossiles Backup für die wechselhaften erneuerbaren ­Energien.

Ich sehe keine Notwendigkeit für mehr Erdgas als Backup. Ich kann verstehen, dass einige Parteien politische Bedenken haben. Aber es wird allmählich klarer werden, dass ein gut geführtes, erneuerbares System mit guter deutscher Ingenieurkunst mindestens so zuverlässig sein wird wie das herkömmliche Netz und sogar widerstandsfähiger – besonders, wenn der Stromverbrauch effizient und gut abgepasst ist.

In Ihrer Vision von damals haben Sie sich gegen die Elektrifizierung ausgesprochen, weil das den Stromverbrauch erhöht und große Verteilnetze erfordert. Aber genau das machen wir heute. Alles soll elektrisch werden: Autos, ­Heizungen …

Ich war gegen unnötige Elektrifizierung – und ja, wir sollten nicht alles elektrifizieren. So kann es zum Beispiel in einigen Fällen billiger sein, direkt erneuerbare Wärme zu nutzen. Man würde auch keine Wärmepumpe in ein Gebäude einbauen wollen, wenn Isolierung die Aufgabe besser und billiger löst. Außerdem halte ich es für notwendig, alle Arten der Stromeinsparung und -erzeugung in einen fairen Wettbewerb treten zu lassen. Fast alle Stromausfälle in der Welt sind auf Netze zurückzuführen, nicht auf den Mangel an Energieerzeugung. In den USA sind es 98 oder 99 Prozent. Die Solarpaneele auf meinem Dach sind also viel zuverlässiger und widerstandsfähiger als ein Kraftwerk, das 500 Kilometer entfernt ist, und all die Leitungen, die dazwischen liegen.

Deswegen wollen Sie eine dezentrale Energieerzeugung. Doch wenn man heute etwa auf China schaut, mit seinen riesigen Solar- und Offshore-Windparks, sind das ja gigantische Kapazitäten. Verfolgen wir nicht gerade einen „harten Pfad“, nur eben mit erneuerbaren Energien?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nun, darüber mache ich mir keine großen Sorgen. Bei der Definition des „harten Pfades“ ging es eher um zentralisierte Anlagen als um die Ansammlung vieler Erzeuger in einem Gebiet. Zudem steht eines von vier Solarpaneelen weltweit auf einem chinesischen Dach. Und ich denke, es fällt auf, dass die Erneuerbaren jetzt weitgehend mit anderer Landnutzung wie Land- und Forstwirtschaft, Erholungsgebieten und Wildtieren koexistieren. In den ländlichen Gebieten ist das eine viel sozialverträglichere Nutzung als ein riesiges Wärmekraftwerk.

Sie kritisierten in den 1970er Jahren vorrangig die Kernenergie. Die Klimakrise verschiebt aber die Prioritäten. Sollten wir angesichts der Klimakrise nicht lieber alle kohlenstoff­armen Technologien in den Ring werfen – inklusive Atomkraft?

Das ist einer der am geschicktesten propagierten Irrtümer in der Energiedebatte. Je besorgter wir über den Klimawandel sind, desto wichtiger ist es, uns für schnelle, billige und bewährte Investitionen zu entscheiden und nicht für langsame, kostspielige und spekulative Investitionen. Wir sollten auf das setzen, was der Markt erfahrungsgemäß schnell, günstig und bewährt liefern kann. Das sind Energieeffizienz und erneuerbare Energien.

In ärmeren Ländern ist der Wunsch, sich wirtschaftlich zu entwickeln, zu Recht noch groß. Aber es ist klar, dass sie dabei nicht die gleiche Masse fossile Brennstoffe verfeuern können, wenn der Planet bewohnbar bleiben soll.

Die Entwicklungsländer sollten unsere Fehler nicht wiederholen. Sie sollten nur interessante, neue Fehler machen. Es gibt dort ein großes Potenzial, Entwicklungsschritte zu überspringen, vor allem bei der Effizienz. Weil es deutlich einfacher ist, Dinge gleich richtig zu bauen, als sie später zu reparieren. Das müssen wir jetzt tun.

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