Griechenlands Krise: Das langsame Gleiten in den Grexit

Die EZB will keine Notkredite mehr bewilligen. So könnte sie den Grexit provozieren – weil Griechenland eine Parallelwährung einführen müsste.

Arbeiter demontieren einen Stern von der Euro-Skulptur in Frankfurt

Etwas bröckelig: Die Eruo-Skulptur vor der ehemaligen Zentrale der EZB wird im Juli saniert. Foto: dpa

Griechenland droht aus dem Euro zu fliegen – und damit ist ein neuer Streit rund um die Europäische Zentralbank (EZB) entbrannt. Maßt sie sich zu viel Macht an? Verliert sie ihre Unabhängigkeit? Betreibt sie knallharte Politik, statt sich nur auf die reine Geldpolitik zu konzentrieren? Darüber diskutieren Ökonomen inzwischen weltweit.

Der Ausgangspunkt dieser Debatte trägt einen denkbar sperrigen Namen: „Emergency Liquidity Assistance“, kurz Ela. Diese Notkredite können Banken beantragen, die eigentlich gesund sind – aber trotzdem Finanznöte haben, weil Sparer panisch ihr Geld abziehen. Auf Neudeutsch spricht man auch von einem „Bank Run“.

Griechenland hat in den vergangenen Monaten einen Bank Run der Extraklasse erlebt. Denn viele Griechen fürchteten, dass ihr Land aus dem Euro fliegen könnte, und hoben schnell ihr Geld von den Konten ab. Die EZB stopfte die Finanzlöcher, indem sie die Ela-Notkredite für die griechischen Banken immer wieder erhöhte – bis sie schließlich rund 89 Milliarden Euro betrugen.

Doch Ende Juni zog die EZB den Stecker, nachdem der griechische Premier Alexis Tsipras das Referendum angekündigt hatte. Die bisherigen Notkredite laufen zwar weiter, aber es werden keine zusätzlichen Ela-Hilfen mehr bewilligt. Diesen Kurs will die EZB vorerst beibehalten, wie sie am Montagabend erneut beschloss.

Der Vorrat dürfte nicht mehr lange reichen

Für Griechenland sind die Konsequenzen dramatisch, denn den Banken ging prompt das Geld aus, so dass sie seit mehr als einer Woche geschlossen sind. Die Geldautomaten spucken noch maximal 60 Euro am Tag aus. Doch auch für diese Minibeträge dürfte der Vorrat nicht mehr lange reichen.

Damit gleitet Griechenland in einen Grexit, ohne dass er politisch jemals beschlossen worden wäre. Er ereignet sich quasi automatisch. Denn ohne Euros bleibt den Griechen nur noch, irgendwelche Parallelwährungen einzuführen. Die Frage ist daher: Hat die EZB tatsächlich das Mandat, den Grexit zu erzwingen, indem sie die Ela-Kredite deckelt?

Für Bundesbank-Chef Jens Weidmann ist klar: Die Ela-Kredite hätten schon viel früher zurückgefahren werden müssen. Denn sie seien „zur einzigen Finanzierungsquelle“ der griechischen Banken geworden. Man müsse also daran zweifeln, ob die Institute überhaupt noch zahlungsfähig seien. Ähnlich sieht es Elke König, oberste Bankenabwicklerin der EU. Sie sagte schon Mitte Juni: „Für die griechischen Banken ist der Zugang zum Markt nun schon lange geschlossen. Die Grenze zwischen Ela und Konkursverschleppung ist fließend.“

Weidmann und König bringen damit das erste Kernargument der Ela-Gegner auf den Punkt: Die griechischen Banken seien eigentlich längst Pleite und würden nur noch künstlich am Leben gehalten.

Kein Misstrauen in die Banken

Dies sehen viele internationale Ökonomen ganz anders. In der Financial Times wies Chefkommentator Martin Sandbu darauf hin, dass die EZB erst 2014 einen Stresstest bei allen wichtigen Banken der Eurozone durchgeführt hat – den die griechischen Banken mühelos bestanden haben. Sie galten damals also als gesund.

Die griechischen Sparer würden ihr Geld ja nicht abheben, weil sie den Banken misstrauen – sondern weil sie fürchten, dass ihr Land den Euro verlässt. Mit den Banken habe das Liquiditätsproblem nichts zu tun.

Ein rechtliches Problem kann Sandbu ebenfalls nicht erkennen. Die europäischen Verträge würden ausdrücklich vorsehen, dass die EZB das „reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs“ fördern solle.

Auch der international einflussreiche französische Ökonom Charles Wyplosz fordert, dass die EZB die Ela-Kredite ausweitet. Denn es wäre ein Missverständnis, zu glauben, dass Zentralbanken nur die Inflation bekämpfen sollen. Sie wurden überhaupt nur gegründet, um Paniken auf den Finanzmärkten zu bekämpfen. „Indem sie das griechische Banksystem nicht stützt, versagt die EZB bei einer ihrer zentralen Aufgaben.“

Verluste gehören zur EZB

Doch viele deutsche Ökonomen treibt noch eine weitere Sorge um: Es könnten große Verluste auflaufen, falls Griechenland den Euro verlässt. Clemens Fuest vom ZEW Mannheim sagte kürzlich: „Es ist ein schwerer Fehler der EZB, dass die Ela-Kredite in den letzten Monaten immer weiter ausgeweitet wurden. Das hat die Verhandlungsmacht der griechischen Regierung immer mehr gestärkt, weil die Verluste der Gläubiger bei einem Grexit wachsen.“

Auch dieses Argument kann Wyplosz überhaupt nicht nachvollziehen. „Zentralbanken sind keine normalen Unternehmen. Verluste gehören zu ihrer Aufgabenbeschreibung.“ Zudem sind diese Verluste nur virtuell, denn eine Zentralbank kann beliebig viel neues Geld schöpfen.

Offenbar wird der EZB selbst mulmig, dass sie einen Grexit provozieren könnte. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny aus Österreich schlug am Dienstag vor, den finanziellen Engpass in Griechenland bis zu einem neuen Hilfspaket zu überbrücken. Etwas gewunden sagte er: „Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch die EZB Liquidität geben, wenn das entsprechend den Regeln möglich ist.“

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