Russland will keine Normalisierung: Die innere Mobilmachung

Die Hoffnung im Westen, mit Dmitri Medwedjew werde ein versöhnlicherer Ton in die Beziehungen zu Russland Einzug halten, war verfrüht.

Dmitri Medwedjew und Nicolas Sarkozys einigten sich zwar auf einen Sechsstufenplan - doch beide interpretieren ihn anders. Bild: dpa

MOSKAU taz Seit dem bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland tauscht Kremlchef Dmitri Medwedjew häufig den dunkelblauen Maßanzug gegen Fliegerjacke und Militärkluft ein. Auch den populären Kasernenhofjargon seines Vorgängers und Mentors Wladimir Putin hat sich der neue Präsident inzwischen angeeignet. Wie Putins Amtszeit beginnt auch Medwedjews Präsidentschaft mit einem Krieg. Damals war es der Tschetschenienfeldzug, mit dem sich Wladimir Putin in die Herzen der Wähler bombte. Heute ist es die kleine Kaukasusrepublik Georgien, die der Kreml zur Räson bringen möchte. Damals wie heute wird mobilgemacht, als stünden Feindesheere unmittelbar vor den Toren Moskaus.

Die Hoffnung im Westen, mit dem neuen Mann im Kreml werde auch ein versöhnlicherer Ton in die Beziehungen zu Russland wieder Einzug halten, war verfrüht. Dafür gibt es keine Anzeichen mehr. Im Gegenteil: Der Kreml unter Medwedjew kehrte zum alten Muster der inneren Mobilmachung zurück. Die Abstände zwischen den Hysteriewellen gegen Ausländer wurden schon unter der Ägide Putins immer kürzer. Mal gerieten die Polen, mal die Esten, dann wieder die russischen Kaukasier oder die Georgier ins Fadenkreuz xenophober Kremlpropaganda. Mit dem Krieg gegen Georgien trug Moskau diesen Mechanismus der innenpolitischen Gleichschaltung erstmals seit dem Afghanistankrieg wieder über die eigenen Grenzen. Die Mobilisierung nach dem außenpolitischen Muster der Realpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts ersetzt zukunftsorientierte Politik und ist ein Zeichen der Schwäche. Moskaus politische Elite hat weder die Vision noch die Kraft noch den Willen, die überfällige Modernisierung des Landes in Angriff zu nehmen. Russland gleicht einem Koloss auf tönernen Füßen. Weder der energiebedingte Wirtschaftsboom noch der militärische Blitzerfolg sollte darüber hinwegtäuschen.

Russland führt gegen Georgien Krieg. Der eigentliche Gegner aber sind der Westen und sein Zivilisationsmodell. Russlands autoritäre Führungsschicht, die sich in London, an der Côte dAzur und in der Schweiz längst eingerichtet hat, sieht ihren Herrschaftsanspruch im Innern von der Attraktivität dieses Modells bedroht. Daher erfindet sie immer wieder neue Feindbilder und verordnet den Bürgern Burgmentalität. Diese wohlfeile Lösung verfängt bislang, läuft aber den Tendenzen der Globalisierung zuwider und wird den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rückstand Russlands noch vertiefen.

Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Den zunehmenden Bedeutungsverlust wird Moskau wie jüngst als mangelnden Respekt empfinden und sich mit Verletzungen des internationalen Rechts und abenteuerlichen Übergriffen rächen. Heißsporne und Provokateure wie der georgische Präsident Michail Saakaschwili kommen Moskau da gerade recht.

Vor diesem Hintergrund scheint es eher unwahrscheinlich, dass Russland seine Truppen in der nächsten Zeit komplett aus Georgien abziehen wird, wie es der eilig zusammengeschusterte Sechstufenplan Nicolas Sarkozys und Medwedjews vorsieht. Schon in den ersten Tagen wurde deutlich, dass Medwedjew und Sarkozy den Vertrag unterschiedlich interpretieren. Das Zugeständnis des europäischen Ratspräsidenten, den russischen Militärs eine Sicherheitszone vor den abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien zuzugestehen, legt Moskau sehr großzügig aus. Die Militärs beschränken sich nicht auf die dafür schon im Istanbuler Vertrag von 1999 vorgesehenen 3 Kilometer. Sie weiten den Kordon auf mehr als 20 Kilometer aus und graben sich dort ein. Russland beruft sich auf Punkt 5 des Plans. Der erlaubt es den "russischen Friedenstruppen, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten", bis eine internationale Regulierung gefunden sei. Russland weigert sich aber gegen eine neue Regelung, die auch neutrale internationale Blauhelme in der Region vorsähe. Zwar setzt Moskau nicht mehr großflächig Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ein, aber es zerstört die Infrastruktur. So wurde die einzige Brückenverbindung in die abgelegene Bergregion Swanetiens gesprengt. Auch die erweiterten Sicherheitszonen können dazu dienen, die Normalisierung zu verhindern. Zwar wird Moskau Geschäftigkeit an den Tag legen und das Minimum an Forderungen einhalten, um lauter internationaler Kritik vorzubeugen. Den endgültigen Abzug dürfte es aber so lange wie möglich hinauszögern. Ziel ist der Sturz von Saakaschwili, und der ist am einfachsten zu erreichen, indem man das Land zerlegt und lähmt. Tiflis soll an der Ausübung der Zentralgewalt gehindert werden.

Auch innenpolitisch würde ein schneller Abzug nicht die erwartete Rendite abwerfen. Russland geht dazu über, einen permanenten Ausnahmezustand zu simulieren. Das erleichtert das Herrschen im Innern und lenkt von den mannigfachen Problemen ab, die die politische Führung nicht in den Griffbekommt. Angefangen bei der Inflation, dem wachsenden Gefälle zwischen Arm und Reich und der Rat- und Handlungsunfähigkeit im Umgang mit den Strukturproblemen im an China grenzenden Fernen Osten. Die Anrainer Russlands wie die Ukraine fürchten den "permanenten Ausnahmezustand". Die Angst ist nicht unbegründet.

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