Wahl im Kongo: Zwischen Zorn und Zuversicht

Die Opposition ist vom Wahlsieg überzeugt, fürchtet aber Wahlbetrug. Besuch beim „Steh-Parlament“ der Getreuen des Oppositionschefs Tshisekedi.

Es krusieren bereits Wahlergebnisse – woher sie kommen, weiß niemand Bild: dapd

KINSHASA taz | Jeden Morgen, wenn über dem Kongo-Fluss die Sonne aufgeht, werden an einer Straßenkreuzung im Viertel Limete in Kongos Hauptstadt Kinshasa frische Tageszeitungen auf einem Holzgerüst ausgehängt. Daneben werden an einer Verteilerstation Blätter auf Lkws verladen.

Um dieses Holzgerüst herum sammeln sich dann fast hundert Männer: Sie studieren die Schlagzeilen, tauschen Neuigkeiten aus, palavern, streiten und lassen ihrer Meinung und ihrem Frust freien Lauf.

In diesen Tagen nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl vom 28. November ist der Frust groß. Der 18-jährige Merlin Younkou zieht ein Blatt Papier aus seiner Schultasche. Seit Mittwoch kursieren in Kinshasa vorläufige Ergebnisse auf den Straßen. Woher sie stammen – das ist niemandem klar.

Der Inhalt dieses Blattes heizt die Stimmung gewaltig an: Präsident Joseph Kabila soll die Wahl mit 56 Prozent gewonnen haben, Oppositionsführer Etienne Tshisekedi folge mit 32 Prozent. „Das ist Betrug!“, brüllt einer in der Menge. „Der wahre Sieger ist Tshisekedi – es lebe unser Präsident!“ donnert ein anderer. Alle nicken.

„Stehparlament“ nennt sich die informelle Institution, weil die selbsternannten „Abgeordneten“ hier unter einem Baum im Stehen debattieren. Es erinnert ein wenig an sozialistische Arbeiter- und Bauernräte. Basisdemokratie auf kongolesisch.

Schattenparlament seit der Diktatur

Gegründet 1990 von der sozialdemokratisch geprägten UDPS (Union für Demokratischen und Sozialen Fortschritt) von Etienne Tshisekedi, der größten Oppositionspartei des Kongo, fungierten diese Diskussionsgruppen bereits unter dem 1997 gestürzten Diktator Mobutu als Schattenparlament.

„Damals gab es keine Meinungsfreiheit und vor allem keine Pressefreiheit“, erläutert Fice Mokambala, Vizepräsident des „Parlaments“ in Limete. „Wir begannen deshalb, unsere Parteigenossen landesweit zu vernetzen, um Informationen auszutauschen und zu diskutieren.“ Er selbst gehörte 1990 zu den ersten Mitgliedern.

Dass sich die Hauptversammlung ausgerechnet in Limete zusammenfindet, ist kein Zufall. Hier lebt seit jeher die gebildete Mittelklasse, die Querdenker. UDPS-Chef Tshisekedi wohnt nur wenige Ecken weiter.

Dass Tshisekedi die Präsidentschaftswahl gewonnen hat, davon sind die „stehenden Parlamentarier“ fest überzeugt, und was Kinshasa angeht, besteht daran auch kein Zweifel. Am Morgen nach der Wahl hingen vor jedem Wahllokal die jeweiligen Ergebnisse der nächtlichen Stimmauszählung aus. In Kinshasa liegt fast überall Tshisekedi klar vorn. Einen leichten Vorsprung für Kabila gibt es nur dort, wo die Minister und die Frauen der Generäle wählen waren.

Insgesamt, das lässt sich nach Besuch von elf Wahlzentren mit jeweils mehreren Wahlbüros schätzen, hat der Oppositionschef in der Hauptstadt wohl rund 60 Prozent erhalten, der Präsident rund 30.

Fast alle Anwesenden in Limete haben die nächtlichen Auszählungen in den Wahllokalen mitverfolgt, meist bei Kerzenlicht. „Ich bin danach sogar dem Wagen mit den Urnen hinterhergefahren, bis zum Auswertungszentrum“, erzählt Israel Mudiambi, 25-jähriger Exstudent. Dort wurde er von Polizisten nicht hineingelassen. „Die fälschen dort die Ergebnisse!“, wettert er.

Zusammenrechnen mit dem Handy

Das Auswertungszentrum in Limete ist eines von vier, wo die 24.000 mülleimergroßen Urnen aus ganz Kinshasa zusammengetragen werden. In der großen Lagerhalle herrscht Chaos. Am Dienstag erst eingerichtet, stapeln sich die Säcke mit den Zetteln kreuz und quer, meterhoch. Es ist stickig und schwül.

Mitarbeiter der Wahlkommission CENI dösen auf Plastikstühlen oder schichten ächzend Säcke um. Sie müssen durch drei Stationen, wo die Ergebnisse der Gemeinden und Distrikte jeweils zusammengezählt werden, per Handy-Taschenrechner. Erst an der letzten Station sitzen Männer hinter vier Laptops, die ab und zu mit Strom versorgt werden.

Bis zum 6. Dezember müssen laut Wahlgesetz die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl feststehen. Ob die Frist eingehalten werden kann, ist fraglich. Viele Wahllokale haben die Stimmzettel viel zu spät erhalten und mussten die Wahl verlängern. Afrikanische Wahlbeobachterorganisationen haben zur erfolgreichen Durchführung der Wahl gratuliert, „trotz der Schwierigkeiten“. Die EU-Wahlbeobachter erklärten zurückhaltend: „Der Mangel an Kommunikation hat den Wahltag beeinträchtigt.“

Einer Forderung dreier Oppositionskandidaten, die Wahl wegen Unregelmäßigkeiten und Gewalt für nichtig zu erklären, hat sich Tshisekedi nicht angeschlossen. Er rechnet offenbar damit, zu gewinnen. Sein Pressesprecher Albert Moleka spricht sogar von einer „Revolution“.

Um Revolution geht es auch den Straßenparlamentariern in Limete: Sie bereiten für die Ergebnisverkündung eine Siegesfeier vor, erzählen sie. „Wir planen eine Party“, sagen sie. „Wenn aber die Ergebnisse gefälscht werden, dann werden wir Kabila mit unseren bloßen Händen stürzen!“, brüllt einer. In der Diskussion kommen Vergleiche mit Libyen oder Ägypten auf. Und mit der Elfenbeinküste, deren Expräsident Laurent Gbagbo vor einem Jahr vergeblich versucht hatte, trotz Wahlniederlage im Amt zu bleiben. Am Mittwoch wurde Gbagbo dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag übergeben. „Das hat uns Mut gemacht“, sagt einer.

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