Queerfeministische Demo in Berlin: Die Hexen sind wütend

„Take back the night“: Tausende gehen am Dienstagabend gegen Patriarchat und Kapitalismus auf die Straße. Die Demo endet früher als angekündigt.

Demonstration mit schwarz vermummten Personen am Anfang. Sie halten ein Banner mit der Aufschrift "My body my choice"

„Wir nehmen uns die Nacht“: Queerfeministische Demo in Friedrichshain am 30. April Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

BERLIN taz | „Es ist Walpurgisnacht / Ich setzte meine Schweinekopf-Maske auf / Raste aus!“, singt die Männergruppe KIZ in ihrem Walpurgisnacht-Lied. Am Dienstagabend rasten rund 2.800 Flinta – Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen – aus: Sie ersetzen die Schweinekopf-Maske durch eine schwarze Corona-Maske und ziehen in einem wütenden Mob unter „Nieder mit dem Patriarchat!“-Rufen durch die warme Walpurgisnacht.

Wie traditionell am 30. April fand auch am Dienstagabend wieder die linksradikale feministische „Take back the night“-Demo in Friedrichshain statt. Auch in Leipzig und Dresden versammelten sich am Abend Flinta, um ihren „Schmerz und Wut auf die Straße zu bringen“. „Wir nehmen uns die Nacht und gehen gegen das kapitalistische Patriarchat und für die feministische Revolution auf die Straße!“, kündigten die Teil­neh­me­r*in­nen an.

Gegen 20.30 Uhr, als der Schein der Straßenlaternen die letzten Sonnenstrahlen ablöst, werden auch die Männergruppen auf dem Boxhagener Platz von Frauen mit „Macker vermöbeln“ und pink glitzernden Antifa-Shirts verdrängt. Zwischen Gärtner- und Grünberger Straße schallt Musik aus dem Demofahrzeug, dem roten Lauti. Davor halten Teil­neh­me­r*in­nen ein Transparent mit der Aufschrift des diesjährigen Mottos hoch: „We are the witches you couldn’t burn“. Denn die Walpurgisnacht gilt als die Nacht, in der Hexen ihr großes Fest feierten.

Auf der Kreuzung sitzen hunderte Personen und lauschen Redebeiträgen über das Patriarchat und die Geschichte der Hexenverbrennungen. Sie seien der „Grundpfeiler des kapitalistischen Patriarchats“. In Bestrebungen, Flinta weltweit zu unterdrücken und zu ermorden, zeigten sich noch immer historische Kontinuitäten der Hexenverfolgung.

Aus den Boxen schallt es: „Unsere Autonomie ist unheimlich, deshalb wollen sie uns unsere autonomen Orte wegnehmen.“ Schon queere Orte, wie das Tuntenhaus und die Liebig 34 seien ihnen genommen worden, aber was sie nicht kriegen, ist die Nacht. „Denn die nehmen wir heute zurück!“

De­mons­tran­t*in­nen erhalten Solidarität auf dem Weg

Aus Worten werden Taten: Gegen halb zehn gibt ein krawalliges Feuerwerk den Startschuss und der Demozug setzt sich mit rund eineinhalb Stunden Verspätung in Bewegung. An der Spitze hat sich ein schwarzer Block formiert, der „kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“ ruft. Zügig ziehen die De­mons­tran­t*in­nen von der Grünberger Straße in Richtung Boxhagener und Mainzer Straße.

Immer wieder erhellen Feuerwerke von Balkonen und Dächern verbündeter Häuser entlang der Strecke die rauchgeschwängerte Nacht. Als der Demozug in die Rigaer Straße einbiegt, wird er empfangen von bunten Rauchschwaden aus Pyro und Feuerwerken. Vor der Rigaer 83 stehen Verbündete mit einem Transpi mit der Aufschrift „Flinta die kämpfen, sind Flinta die leben“.

Von den Balkonen aus werden die De­mons­tran­t*in­nen mit Konfetti beschmückt. Auch die Rigaer 94 sowie das Antifa-Haus in der Colbestraße beteiligen sich mit Hupen, Konfetti und Feuerwerk an dem Demogeschehen. Nicht nur die Häuser solidarisieren sich, auch Menschen auf den Straßen beklatschen und bejubeln die Demo.

Obwohl cis Männer nicht erwünscht sind, wollen sich einige die Veranstaltung nicht nehmen lassen: Tausende Polizisten – neben der ein oder anderen Quotenpolizistin ausschließlich Männer – begleiten die Demo. Im vergangenen Jahr war es zu Prügeleien zwischen Polizei und De­mons­tran­t*in­nen sowie zu kurzzeitigen Festnahmen gekommen.

Keine Auseinandersetzungen mit der Polizei

Im Vorfeld der diesjährigen Demo gingen die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen davon aus, „dass die Bullen in den nächsten Jahren weiter so repressiv und aggressiv gegen uns vorgehen werden“. Aber die Polizei scheint aus den letzten Jahren gelernt zu haben: Statt wie in den Vorjahren Spaliere zu bilden, lassen sie der Demo großen Freiraum und laufen nur vorneweg. Es kommt zu keinen Auseinandersetzungen.

Es ist etwa 22.30 Uhr, als die Ver­an­stal­te­r*in­nen die Demo trotzdem eineinhalb Stunden vor dem angekündigten Ende aus „Sicherheitsgründen“ für vorzeitig beendet erklären. Der schwarze Block schert aus und verzieht sich rasch in die Grünberger Straße, der restliche Demozug bleibt auf der Warschauer Straße zurück.

Stundenlang probieren die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen vergeblich, die Grüppchen wegzuschicken. „Wenn ihr keinen Stress wollt, geht nachhause“, rufen sie durch Megafone. Aber die Leute wollen Stress. Ausgestattet mit reichlich Bier und Tabak aus den umliegenden Spätis sitzen sie auf der Warschauer Straße und singen bis tief in die Nacht „Whose streets? Our streets!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.