Aktivistin als EU-Spitzenkandidatin: Linke zündet Rackete

Mit Carola Rackete nominiert die Linke eine Aktivistin der Seenotrettung als Spitzenkandidatin zur Europawahl. Es ist nicht die einzige Überraschung.

Carola Rackete vor einer blauen Wand mit Die Linke Logos

Ist als Klimaaktivistin und Seenotretterin bekannt: Carola Rackete Foto: Christian Spicker/imago

BERLIN taz | Die Einladung ins Karl-Liebknecht-Haus kam ganz harmlos daher und versprach nicht mehr als business as usual. Zu einer „Sommerpressekonferenz zu aktuellen politischen Themen“ hatten die Vorsitzenden der Linken eingeladen. Doch stattdessen präsentierten Janine Wissler und Martin Schirdewan am Montagmittag in der Berliner Parteizentrale eine Überraschung: Die Klimaaktivistin und Seenotretterin Carola Rackete und der Sozialmediziner Gerhard Trabert sollen für die Linkspartei zur Europawahl antreten. Ein Coup.

„Die Linke öffnet sich für Engagierte, für Aktive aus den sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft“, sagte Wissler bei der Präsentation der beiden Parteilosen. Die Kandidatur von Rackete und Trabert sei „ein Zeichen dafür, dass wir soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit verbinden, dass wir die Verteididung der Menschenrechte gegen die extreme Rechte und eine aktive Sozialpolitik für gute Arbeit zusammenbringen“. Wenn die Zeiten rauer werden, dann müssten linke Kräfte näher zusammenrücken. Die Partei wolle zeigen, dass sie „Teil eines linken Pols der Hoffnung“ sei, „der größer ist als sie selbst“.

Rackete kommt nach Klärung des „Richtungsstreits“

Die 35-jährige Carola Rackete wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots „Sea-Watch 3“ mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Dafür wurde sie kurzzeitig festgenommen und unter Hausarrest gestellt, sämtliche Ermittlungsverfahren gegen sie wurden letztlich jedoch eingestellt. Auch bei zahlreichen Aktionen der Klimabewegung war sie dabei. Zuletzt war die Naturschutzökologin mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs. Bei ihrer Vorstellung bezeichnete sie die Klimakrise als „Ergebnis kapitalistischer Misswirtschaft und Ausbeutung“ und als größte Gerechtigkeitskrise der Welt.

Sie sehe ihre Kandidatur für den Linken-Landesverband Sachsen als Chance, die sozia­len und ökologischen Bewegungen zu befördern, sagte Rackete weiter. Grundlage für ihre Entscheidung sei dabei auch gewesen, dass der Parteivorstand der Linken begonnen habe, „den wichtigsten Richtungsstreit zu klären“ und die Partei neu aufstellen wolle – womit sie auf die Beschlüsse für eine Zeit ohne Sahra Wagenknecht und ihre An­hän­ge­r:in­nen­schaft anspielte.

Der 67-jährige Gerhard Trabert ist Professor für Sozialmedizin der Hochschule Rhein-Main. Mit seinem ganz praktischen Einsatz für sozial Benachteiligte hat er sich einen Namen gemacht. Seit Jahrzehnten kümmert er sich um die Gesundheitsversorgung von Obdachlosen und Geflüchteten. Trabert versteht sich als Fürsprecher der Menschen, die zu wenig gehört werden. 2022 nominierte ihn die Linkspartei für das Bundespräsidentenamt. Bei der Wahl kam er in der Bundesversammlung auf 96 Stimmen, obwohl die Linke nur 71 Delegierte stellte. Trabert nannte vor allem die große Zahl von Armen und Obdachlosen in der ­Europäischen Union als Motivation zur Kandidatur. Er wolle denen etwas entgegensetzen, „die einfach so weit weg von der Lebensrealität vieler Menschen sind“.

„Adresse für alle“

Rackete soll auf Platz 2 und Trabert auf Platz 4 der Europawahlliste der Linkspartei kandidieren. Spitzenkandidat soll der Parteivorsitzende Martin Schirdewan werden, der bereits als Linken-Fraktionschef im EU-Parlament sitzt. Für den Platz 3 schlägt der Parteivorstand die Europaabgeordnete Özlem Demirel vor. Das Spitzenquartett muss allerdings noch offiziell im September vom Bundesausschuss nominiert und auf dem Parteitag im November gewählt werden.

Die ersten Reaktionen aus der Linken sprechen allerdings dafür, dass der Quartett-Vorschlag gute Aussichten auf eine breite Mehrheit haben dürfte. Seine Partei würde „mit einem starken Team“ zur Europawahl antreten, twitterte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch zustimmend. Und der sächsische Landtagsfraktionschef Rico Gebhardt schrieb, die Linke wäre mit dem „Klammerbeutel gepudert“, wenn sie das Angebot von Rackete und Trabert nicht annehmen würde. Er freue sich jedenfalls persönlich darüber.

Die kommende Europawahl wird die zehnte direkte Wahl zum Europäischen Parlament sein. Sie findet laut einem europäischen Beschluss vom 6. bis 9. Juni 2024 in den Mitgliedsstaaten statt. Die Linkspartei ist derzeit mit 5 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Bei der Wahl 2019 landete sie bei 5,5 Prozent. In den Umfragen steht sie bundesweit konstant zwischen 4 und 5 Prozent.

Mit ihrem Kan­di­da­t:in­nen­vor­schlag wolle die Linke zeigen, dass sie „die Adresse für alle“ sei, „die eine gerechtere EU wollen, die sich wünschen, dass soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechte und Klima im Vorwärtsgang verteidigt werden“, sagte Parteichefin Wissler.

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