Neue Asyldebatte: Faktenfrei und zerstörerisch

Union und FDP wollen einen neuen „Asylkompromiss“ und ein geschleiftes Asylrecht. Wo bleibt der Aufstand zum Schutz des Grundgesetzes?

Christian Lindner, der Bunderfinanzminister

Auch Christian Lindner fordert eine „Wende“ in der Migrationspolitik Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Die deutsche Politik ist vollends aufgegangen in einer weitestgehend faktenfreien, aber zerstörerischen Debatte. Es brauche einen „Asylkompromiss“ wie in den 1990er Jahren – das fordert nicht nur CDU-Chef Friedrich Merz in der immer weiter eskalierenden politischen Debatte, sondern auch FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner. Wenn es mit den Grünen nicht gehe, solle er sie rausschmeißen, und dann mache man das zusammen, schlägt Merz Kanzler Olaf Scholz vor. Das könnte nicht mal nötig sein, denn der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck erklärte unlängst, man müsse wohl „moralisch schwierige Entscheidungen“ treffen.

Denn genau das war der Asylkompromiss von 1993, auf den sich hochrangige Politiker hier gerade erschreckend positiv berufen: Damals wurde das im Grundgesetz verankerte Asylrecht massiv ausgehöhlt. Vor allem Stimmen aus der Union fordern nun schon seit einer Weile, den letzten Stumpf dieses Rechts ganz abzuschaffen. Es ist zu befürchten: So, wie die Debatte sich immer weiter hochschraubt, ist es bis zur Grundgesetzänderung nicht mehr weit.

Das würde an den Zahlen Geflüchteter zwar so gut wie nichts ändern: Diese Regelung greift ohnehin nur noch bei deutlich weniger als einem Prozent der Menschen, die Schutz bekommen. Viel relevanter sind das europäische Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention. Moralisch hingegen hat dieses deutsche Grundrecht einen enorm hohen Wert.

Eingeführt wurde es Ende der 1940er Jahre als Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus. Damals war die internationale Staatengemeinschaft nicht willens, den aus Deutschland flüchtenden Jü­d*in­nen Schutz zu bieten. Das Grundrecht auf Asyl in Deutschland ist auch eine direkte Folge dieses Versagens.

Als es 1993 massiv beschnitten wurde, war das auch eine Reaktion auf den massiven Rechtsruck und die Wahlerfolge etwa der Republikaner. Was geschah, war aber bloß noch mehr rechte Gewalt. Die 1990er-Jahre sind heute auch als „Baseballschlägerjahre“ bekannt. Menschen starben in den Flammen des rassistischen Mobs, etwa in Solingen, nur kurz nach der Asylrechtsverschärfung.

Ziel: Abschottung

Abschottung und Entrechtung sind zum Mittel der Wahl geworden. Doch sie führen nicht zu signifikant sinkenden Zahlen Geflüchteter – darauf weisen Mi­gra­ti­ons­wis­sen­schaft­le­r*in­nen unermüdlich hin, und das zeigt die Erfahrung. Vielmehr bräuchte es endlich nachhaltige Investitionen in Integration und Infrastruktur, für alle. Leider war politisch die vergangenen Jahrzehnte immer anderes wichtiger als bezahlbarer Wohnraum oder gute Schulen.

Wirkungslos aber sind diese Abwehrmaßnahmen keineswegs: Sie sind eine enorme Gefahr für unsere Demokratie. Gewalt an den Grenzen greife „nach innen“, schreiben die Wissenschaftler Volker Heins und Frank Wolff in ihrem Buch „Hinter Mauern“. Sie beschädige die Institutionen des Rechtsstaats und der Demokratie – und sie fördere eine „Verrohung der zivilen Alltagsmoral durch die kollektive Gewöhnung an Grausamkeit und Rechtsbrüche“.

Und wo sind die Menschenmassen, die für das Grundgesetz auf die Straße gehen? Wenn diese Gesellschaft es heute hinnimmt, dass vor Krieg und Gewalt fliehenden Menschen ihre Grundrechte mal eben genommen werden – wozu ist sie dann morgen bereit?

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leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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