Demos gegen die AfD: Die bürgerliche Antifa

Es gibt eine breite Mehrheit gegen die Mentalität des Hasses. Linke müssen sich nur mit ihr alliieren, über alle Unterschiede hinweg.

Menschen mit einem banner bei einer Demonstration.

Allianzen gegen den Faschismus, wie hier bei einer Großdemonstration in Rostock am 25. Januar Foto: Annegret Hilse/reuters

Die Enthüllungen der journalistischen Plattform Correctiv kamen zur rechten Zeit. Sie gaben den Anlass für eine umfassende Mobilisierung jener Menschen, die die sogenannte gesellschaftliche Mitte bilden. Diese „gewöhnlichen Deutschen“ sind nach Veröffentlichung des mehr oder weniger geheimen Treffens von AfD-Leuten, einigen CDU-Menschen und rechtsextremen Aktivisten mit einer Mischung aus Angst, Verstörung und Empörung aufgestanden und haben demonstriert.

Sie waren getriggert worden: Ihnen missbehagte, was beim Potsdamer Systemsprenger-Treffen programmatisch formuliert wurde. Nämlich ein Programm, das Linke wie ein Nazi-Reenactment lesen, sie aber, die große bürgerliche Mitte von Union über die Sozialdemokraten bis zu den Liberalen, als Bedrohung und Verrat ihres Landes. Was diese, hier so genannte bürgerliche Antifa treibt und was sie nicht hinnehmen will, ist in der soziologischen Expertise zu den „Triggerpunkten“ akkurat nachzulesen.

Für die AfD müssen diese Demonstrationen ein Desaster sein: Alice Weidel, Bernd Höcke & Co. dachten bis zu den Enthüllungen, sie könnten mit ihren vergiftenden Agitationen weitermachen und irgendwann tatsächlich die Macht übernehmen. Ausländer und solche, die sie unterstützen, aus dem Land schaffen, buchstäblich deportieren: Das ist der Spin – und das soll der Mobilisierungspunkt sein.

Sie hatten jedoch nicht damit gerechnet, dass exakt ein solcher Plan auf letztlich entschiedene Gegenwehr stoßen würde. Was AfD & Sym­pa­thi­san­t*in­nen nun zu realisieren haben: Sie werden niemals in der Bundesrepublik auch nur in die Nähe einer ihnen zusprechenden Mehrheit kommen. Und das ist nicht nur gut so, das kann, verfassungspatriotisch gesagt, auch glücklich stimmen.

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Mehrheit hat nichts gegen die Moderne

Die bürgerliche Antifa sieht die Dinge nämlich so: Man hat nichts gegen Einwanderung und neue Deutsche, jedenfalls nicht prinzipiell. Man will keinen mörderischen Hass. Keine Mordserie des NSU, keine rassistischen Attacken gegen Asylbewerberheime, gegen so empfundene „Ausländer“, man sympathisiert null mit dem Attentat von Hanau, ist alarmiert wegen des Mordes am hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke. Diese Mehrheit findet sich mehr oder weniger gewöhnend mit der Moderne ab, begrüßt sie am Ende sogar: Feminismus, Ehe für alle, Trans*menschen, Klimawandelpolitik und Erhöhung der Mindestlöhne. Was sie allerdings störrisch bis aufsässig macht, auch dies haben Mau & Co. ermitteln können, sind, so empfindet es diese Mehrheit, zwangspädagogisch wahrgenommene Sprechweisen, die sie ablehnen oder jedenfalls nicht unfallfrei anwenden können und wollen.

Die bundesdeutsche Mehrheit befürwortet, in Ruhe gelassen zu werden, dann hält sie auch Menschen aus, die anders sind, als sie selbst sich sieht. Deportationen und anderen nazihaft anmutenden Kram lehnt sie ab: Das wäre alles nicht im Sinne bürgerlichen Einvernehmens, allen gelegentlichen Nervereien zum Trotz. Der bürgerliche Deutsche, der sieht sich weltläufig, auch im eigenen Land. Das Selbstideal ist „Frieden im Land“.

Worauf Linke sich also einzustellen haben im Laufe der nächsten Monate, ist, dass diese Demonstrationen keine linken Umzüge sind. #unteilbar-Paraden werden es nicht sein, die politische Bühne betreten werden viel mehr als eine mobilisierte Woke-Kernschicht, nämlich eine deutsche Mehrheit, die den fantasierten naziähnlichen Krawall nach Gusto der AfD ablehnt.

Nur eine Kultur des Respekts vor jenen, die Linke als zu wenig links empfinden, wird die „Brandmauer“ schützen

Die bürgerliche Antifa wird auch nicht links werden. Egal. Es reicht, wenn sie einfach eigensinnig darauf beharrt, die Bundesrepublik und ihre Geschichte nicht als „Vogelschiss“ zu verstehen; wenn für sie einer wie İlkay Gündoğan der beste deutsche Fußballer der Jetztzeit ist, den man supported, wenn wieder AfD-Leute wie Alexander Gauland (damals gegen Jerôme Boateng) ihn der Hautfarbe wegen als irgendwie undeutsch markieren.

Im Osten der Republik hat die klassische Antifa wesentliche Arbeit geleistet, um überhaupt auf die Einbräunung der Landschaften aufmerksam zu machen. Was sie oft nicht erkennen konnte (oder manchmal auch nicht wollte): dass es eine breite Mehrheit gegen diese Mentalität des Hasses gibt. Man muss sich nur mit ihr alliieren, auch wenn sie einem Lebensstil huldigt, der sich vom eigenen erheblich unterscheidet: spießig. Also fleißig und familienbewusst, akkurat in den Ordnungsvorstellungen und zugleich liberal dem Fremden gegenüber.

Die Demonstrationen der vergangenen Wochen waren Zeichen, die unbedingt ermutigen müssen. Deutschland steht quasi auf – und zwar anders, als die Gift­mi­sche­r*in­nen der AfD sich das vorstellen wollen. Damit ist nichts über die Kritiken zur Ampelpolitik gesagt, im Gegenteil. Sie ist einfach Teil der demokratischen Konfliktstrukturen. Klima und Klasse – also Heizungsgesetz und Bürgergeld – das bleibt der Rahmen, der weiter verhandelt werden muss.

Umzüge der „Selbstzufriedenheit“, wie etwa eine Kritik der Neuen Zürcher Zeitung lautete, sind es nicht: Das klingt nach Selbstbesoffenheit. Andererseits: Na und? Sie sind auch ein Hinweis, dass man den deutschen Mist, der bis 1945 herrschte, nicht wieder haben will.

Brandmauer braucht mehr als Linke

So oder so: Nur eine linke Kultur des Respekts vor jenen Menschen, die Linke als zu wenig links empfinden, wird zur Folge haben können, dass die Union auch in ostdeutschen Bundesländern die entscheidende „Brandmauer“ bleibt.

Die Demonstrationen in Hamburg, Berlin, München waren schon beeindruckend. Heldenhaft sind sie jedoch überall dort, wo man in AfD-durchwirkten Gegenden aufzog. Suhl, Spremberg, Dessau, Pirna, Greifswald, Stralsund, Görlitz, Nordhausen und so viele mehr. Aufstehen – für das eigene Land, das in Aufruhr ist, aber anders, als die Rechtsradikalen hofften.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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