Die Heizung bleibt aus: Meine Winter im Skianzug

Vor zwei Jahren, als durch Russlands Angriffskrieg eine Gasknappheit drohte, kaufte sich unsere Autorin einen Skianzug. Sie wollte gewappnet sein.

Bunte Skianzüge hängen nebeneinander an einer Kleiderstange.

Skianzüge sind nicht nur warm, sondern auch ganz schön bunt Foto: imago

Jetzt hab ich ich ihn eingemottet, meinen Skianzug. Aber nicht, weil ich gerade aus dem alljährlichen Winterurlaub gekommen bin und das Ding jetzt wegkann. Im Gegenteil, ich hatte noch nie diesen Winterurlaubsdrive, so wie andere, die mittlerweile nicht mehr nach Garmisch-Partenkirchen und zum österreichischen Wilden Kaiser, sondern nach Japan und Utah reisen, um ausreichend Schnee zu haben.

Ich habe meinen Skianzug aus ganz anderen, überaus noblen Gründen gekauft. Vor zwei Jahren, als Russland die Ukraine überfiel und Deutschland kein russisches Gas mehr kaufte, war über Monate hinweg nicht klar, ob die Heizungen im deutschen Winter kalt bleiben würden. Dafür wollte ich gewappnet sein. Denn ich friere schon, wenn das Thermometer unter die 20-Grad-Marke rutscht. Bibbernd auf dem Sofa – ein Albtraum. Also rein ins Netz, bisschen gegoogelt, Anzug bestellt: blau, mit Kapuze, Handschuhe dabei. Keine 10 Minuten, der Winter konnte kommen.

Alle, denen ich das erzählte, lachten nur: „Gibt genug Gas.“ „Wenn es wirklich eng werden sollte, werden Privathaushalte vor der Industrie versorgt.“ „Sonst alles okay bei dir?“ Mit zunehmender Häme wuchs proportional meine Resilienz: Ha, wartet mal ab, wenn sich an euren Zimmerfenstern Eisblumen bilden, werdet ihr mich um meinen Skianzug noch beneiden. Aber den bekommt ihr dann nicht!

Es kam bekanntermaßen anders. Die Winter waren mild und es gab so viel Gas, dass keine Wohnung kalt bleiben musste. Zumindest in der Theorie. Denn in der Realität blieben jede Menge Wohnungen kalt. Viele Menschen in Deutschland haben so wenig Geld, dass sie Küche, Zimmer, Bad im Winter nicht heizen können. Um genau zu sein: 5,5 Millionen Familien, Singles, WGs hockten im vergangenen Jahr in ungeheizten Wohnungen. So hat es Eurostat, die Statistikbehörde der EU, gezählt.

Kein Mitleid und kein Geiz

Ich verdiene ausreichend Geld, um meine Heizung hochzudrehen. Ich habe das aber trotzdem nicht getan. Doch nicht aus Altruismus oder Solidarität mit all jenen, die frieren müssen. Dafür, so ehrlich muss ich sein, reicht mein Mitgefühl nicht. Ich habe das Thermostat auch nicht bei Null gelassen, weil ich zu geizig war, den höheren Gaspreis zu bezahlen. Nein, ich wollte ausprobieren, wie es ist, wenn es tatsächlich kalt bleibt in der Bude, aus was für Gründen auch immer. Man kann ja nie wissen.

Denn irgendwann können tatsächlich die letzten Gasvorräte verbraucht, erneuerbare Energien aber immer noch nicht ausreichend vorhanden sein. Photovoltaikfirmen trödeln vor sich hin oder machen pleite, gegen Windenergie laufen Tier­schüt­ze­r:in­nen Sturm, Menschen auf dem Land wehren sich gegen Solarparks, weil die ihnen den ach so schönen Blick in die Weite rauben.

Während sich meine Mitmenschen in Gassicherheit wiegten, startete ich meine ganz private Challenge: Wie kalt darf es in der Wohnung sein, ohne dass es mir im Skianzug zu ungemütlich wird? Über eine Mindesttemperatur in der Wohnung gibt es ja verschiedene Theorien. Das Bundesumweltamt rät dazu, die Bude nicht wärmer als 20 Grad werden zu lassen. Gerichte indes haben entschieden, dass in den Zimmern mindestens 20 Grad herrschen müssen. Und dann die Bescheidwisser! Die kommen gern mit dem Schimmelargument um die Ecke: Bloß nie unter 16 Grad, sonst haste die Bude in null Komma nix voller Schwamm.

Tja, was soll ich sagen? Nix 16 Grad, nix Schwamm, nix frieren. An manchen Tagen erschrak ich selbst, als das Thermometer 14 Grad anzeigte. Wohlgemerkt im Arbeitszimmer, der Raum, in dem ich mich am meisten aufhalte. Ich kroch in die Ecken auf der Suche nach Schimmel. Nix. Ich prüfte das Messgerät. War in Ordnung. Ich lüftete häufig und kurz. Soll man ja machen.

Survivaltraining und heißes Wasser

Wenn ich im Homeoffice blieb und Kol­le­g:in­nen in der Zoom-Morgenkonferenz mich zum ersten Mal im Skianzug sahen, fragten sie ganz erschrocken: „Ist deine Heizung kaputt?“ Ich erklärte voller Inbrunst mein Experiment – und konnte mit jedem Satz, den ich von mir gab, ihre Gedanken lesen: Die hat ja 'ne Vollmeise. Wenn ich dann noch sagte: „Na, der Robert hat gesagt, wir sollen Gas sparen, also spare ich Gas“, waren sie, glaube ich, ganz froh, dass die Konferenz begann.

Das Glas mit dem heißen Wasser neben dem Laptop haben sie nicht gesehen. War vielleicht besser so. Denn wenn ich noch erklärt hätte, dass mein zweiter Tipp für das Survivaltraining heißes Wasser ist, ach, ich weiß nicht … Aber hier sag ich es trotzdem: Vergesst Tee, Glühwein, Punsch, oder was man noch so gern im Winter trinkt, um sich aufzuwärmen, am besten mit Schuss. Heißes Wasser reicht. Soll gesund sein, steht alles im Internet.

Als „der Robert“ irgendwann verkündete, es gebe genug Gas, unter anderem weil alle Gas gespart haben, klopfte ich mir innerlich auf die Schulter: Und du bist ganz weit vorn, du hast nicht nur einen Winter nicht geheizt, sondern sogar zwei. Mit Ausnahme jener Tage, an denen sich Besuch angekündigt hatte oder der Mann an meiner Seite sich in meiner Wohnung aufhielt. Da wir beide viel und lange arbeiten, gingen wir, nachdem wir nach Hause gekommen waren, einfach gleich ins Bett.

So ein Skianzug ist eine echte Investition in die Zukunft – ökologisch, klar, vor allem aber ökonomisch. In beiden Jahren bekam ich so viel Geld zurück, dass ich, kaufte ich davon weitere Skianzüge, einen kleinen, feinen temporären Skianzughandel aufmachen könnte.

Leute, zögert nicht lange, schlagt zu, jetzt, da es warm wird und die Dinger zum halben Preis angeboten werden. Skianzug und heißes Wasser – und der nächste Winter kann kommen.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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