Streit um Haushalt in der Ampelkoalition: Versperrte Weitsicht

Mitten im Streit der Ampelkoalition um Haushaltskürzungen wollen zwei Volkswirte Milliarden investieren. Derweil stärkt Scholz Lindner den Rücken.

Lindner und Scholz von oben aufgenommen stehen hinter einer silbergrauen Wand

Im Zweifel stehen sie zusammen: Scholz und Lindner Foto: Markus Schreiber/ap

BERLIN taz | Die beiden Wissenschaftler zeichnen ein ernüchterndes Bild: 600 Milliarden Euro sind über die kommenden zehn Jahre nach den Berechnungen der Volkswirtschaftler Sebastian Dullien und Michael Hüther nötig, um die Infrastruktur im Land zu modernisieren. Laut ihrer Studie, die sie am Dienstag in Berlin vorstellten, kämpfen vor allem die Kommunen in Deutschland damit, bei Sanierungen von Schulen und Straßen hinterherzukommen. „Ich finde es bisschen tragisch, denn das ist nicht die erste Studie, die Investitionsbedarfe sieht“, sagte Dullien in Berlin. Doch während die beiden Wissenschaftler, die aus unterschiedlichen ökonomischen Lagern stammen, unisono Investitionen von 600 Milliarden für die öffentliche Infra­struktur anmahnen, geht die Bundesregierung mal wieder auf Messers Schneide – wegen einer Finanzierungslücke von etwa 25 Milliarden Euro.

So viel Geld muss für den Haushalt 2025 gespart werden, der dann nach den Plänen von Finanzminister Christian Lindner ein Volumen von 452 Milliarden Euro umfassen soll. Doch die Sparvorgaben des FDP-Manns stoßen bei einigen seiner Ka­bi­netts­kol­le­g*in­nen sauer auf. Neben dem grün geführten Auswärtigen Amt, das 2 Milliarden Euro mehr haben will, stehen drei SPD-Ministerien im Fokus: Verteidigung, Innen und Entwicklung. Für die SPD gibt es dabei eine rote Linie: Die sogenannte Rente mit 63, die von den Liberalen zuletzt offensiv kritisiert wurde, bleibt. Alles andere aber ist Verhandlungssache.

„Erst mal schwitzen“

Dabei hat die Verhandlungstaktik zumindest für die SPD einen kleinen Dämpfer von oben bekommen, nachdem sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Interview mit dem Stern erst mal hinterher seinen Finanzminister stellte. Scholz sagte dem Magazin, Lindners Sparvorgaben seien mit ihm abgesprochen gewesen. Eine Ausnahme von der Schuldenbremse, auf der die Liberalen beharren, sieht auch Scholz nicht: „Jetzt ist erst mal schwitzen angesagt.“

Immer wieder kommen auch die beiden Volkswirte auf die Schuldenbremse zurück. Hüther ist Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Dullien leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Bei der Analyse der Konjunkturdaten in Deutschland und den notwendigen Investitionen in die Infra­struktur sind sie sich jedoch einig. „Es ist Zeit, die ideologischen Scheuklappen abzulegen“, so Dullien.

Für den Investitionsbedarf regen die Wissenschaftler etwa einen Fonds an, der, wie die 100-Milliarden-Investition in die Bundeswehr, im Grundgesetz verankert wird und so die Schuldenbremse umgeht. Doch dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig, die mit der FDP nicht zu holen wäre und geschweige denn mit der CDU, die sich vergangene Woche auf ihrem Parteitag noch mal als einsamer Wärter der Schuldenbremse inszeniert hatte.

Die SPD versucht sich zumindest in der aktuellen Haushaltsdiskussion mit Optimismus. SPD-Mann Finanzpolitiker Michael Schrodi sagte der taz, es sei „normal, dass sich der Kanzler vor seinen Finanzminister stellt“. Allerdings könnten die Verhandlungen „keine Einbahnstraße sein“. Auch Lindner müsse erkennen, dass „Einschnitte bei der Sicherheit“ – äußere, innere und soziale – nicht verantwortbar seien.

Verteidigungsministerium will Sonderregelung

Zustimmung bekommt Scholz dagegen aus den Reihen der FDP. „Es sind vor allem die Ministerinnen und Minister der SPD, die die Haushaltsvorgaben für ihre Ressorts deutlich überschritten haben“, erklärte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, der taz. „Vor diesem Hintergrund begrüße ich es sehr, dass Scholz sie nun an die Einhaltung der Schuldenbremse erinnert hat.“ Auch der Haushaltspolitische Sprecher der Liberalen, Otto Fricke, lobte gegenüber der taz die „Verlässlichkeit“ von Scholz. „Der Kanzler hält sich an das zwischen ihm, dem Vizekanzler und dem Finanzminister abgesprochene Vorgehen, dass der einstimmig vom Kabinett beschlossene Finanzplan die Grundlage der Haushaltsaufstellung ist.“

Unterdessen hatten in der SPD manche gehofft, dass man den Spardruck noch hätte mindern können. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte vorgeschlagen, Sicherheit von der Schuldenbremse auszunehmen. Auch SPD-Vizefraktionschef Achim Post hatte angeregt, angesichts der milliardenschweren Kosten für die Unterstützung der Ukraine die Schuldenbremse noch ein Jahr auszusetzen.

Die Diskussion um die Renten wirkt in diesen Auseinandersetzungen wie vorgeschoben. Lindner hatte die Vorstellung des zweiten Rentenpakets, bei dem sich die Ampel unlängst auf einen Kompromiss geeinigt hatte, verschoben. Die Grünen halten sich in dem Streit auffallend zurück; der Vorschlag der FDP etwa, die Rente mit 63 abzuschaffen, wird in der Partei als Wahlkampfgetöse bezeichnet.

Die großen Investitionsfragen bleiben außen vor

Dabei wirkt diese Debatte in der Regierung wie ein Spiel mit vertauschten Rollen: Lange Zeit trugen FDP und Grüne öffentliche Auseinandersetzungen aus, während der Kanzler und seine Partei schweigend danebenstanden. Die SPD wollte als reifste der drei Koalitionsparteien wirken. Jetzt versuchen zur Abwechslung die Grünen, über den Dingen zu stehen. „Kurz gesagt verstehen wir den Streit um das Rentenpaket nicht wirklich“, sagte Vizekanzler Robert Habeck schon am Montag. „Denn es gibt ja eine Einigung.“

Etwas aktiver mischen die Grünen im Streit um den Haushalt mit. Öffentlich wirbt Außenminister Annalena Baerbock zwar nicht so offensiv für ein höheres Budget wie ihre SPD-Kollegin Svenja Schulze im Entwicklungsministerium. Aus ihrer Partei erhält sie aber Unterstützung dafür, dass sie sich Lindners Sparvorgaben bisher nicht gebeugt hat. Und anders als Scholz stärkte Vizekanzler Habeck – sonst oft um einvernehmliche Lösungen bemüht – dem Finanzminister in der aktuellen Debatte nicht öffentlich den Rücken.

Für Volkswirt Hüther gehören harte Auseinandersetzungen zur Haushaltsplanung dazu. Frustriert wirkt er aber, weil die großen Investitionsfragen darüber in den Hintergrund geraten. „Es wird gar nicht über die Dinge gesprochen, die wir hier diskutieren“, sagte er.

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