St. Pauli in der Ersten Liga: Rollentausch im hohen Norden

Der HSV mag zwar gern mit dem Etikett „traditionsreich“ verbunden werden. Im Fußball heißt Hamburg aber jetzt nur noch St. Pauli.

Schals mit der Aufschrift «Aufsteiger 2024» zum Verkauf aufgespannt

Daran gibt es nichts zu deuteln: klar die Nr. 1 in Hamburg Foto: dpa

Dieser Hamburger Sportverein? Also der FC St. Pauli, oder? Was zwischen Landungsbrücken und Reeperbahn noch anders sein mag: In der Ferne, in Berlin, Köln oder den Weiten Süddeutschlands ist der HSV, so oft mit dem Etikett „traditionsreich“ verbunden, gefühlterweise nurmehr zweite Wahl beim Gedanken an Fußball in Hamburg.

Was soll man auch von einem Verein halten, dem die Wirtschaftskraft einer prosperierenden Großstadt zur Verfügung steht, der aber seit seinem erstmaligen Abstieg aus der Bundesliga 2018 den Wiederaufstieg nicht hinbekommt? Erst dreimal hintereinander Vierter, dann zweimal Dritter. Das berechtigte den HSV zwar 2022 und 2023 zu den sogenannten Relegationsspielen gegen den Drittletzten der Ersten Liga, half aber auch nicht weiter.

Ach so: Dass der HSV auch in der nächsten Saison nicht erstklassig spielt, hat sich schon vor dem letzten Spieltag an diesem Wochenende entschieden. Fehlt dadurch in der Ersten Liga irgendwas? Wiederum gefühlt: Nein. Gutsituiert daherkommende Vereine hat die Liga genug, eine Inkarnation großbürgerlichen Hamburger Kaufmannstums braucht es nicht zusätzlich.

Gut möglich, dass der Legendenstatus als Bundesliga-Gründungsmitglied von 1963 spätestens mit Uwe Seeler vor zwei Jahren gestorben ist, dem vielfachen Nationalspieler, Publikumsliebling, WM-Zweiten von 1966 und WM-Dritten von 1970, der nie für einen anderen Verein spielte.

Ja, der HSV war sechsmal Deutscher Meister – aber zuletzt 1983. In jenem Jahr gewann der Verein sogar den Europapokal der Landesmeister, Vorläufer der Champions League. Doch der Mann, der daran großen Anteil hatte und sich den Beinamen „Kopfballungeheuer“ verdiente, ist zwar weiter gut bekannt – aber nicht als HSVler: Horst Hrubesch ist vor allem die Ikone, die das Frauen-Nationalteam wieder aufgerichtet hat und zu den Olympischen Spielen führt.

Die Inkarnation des Alternativen

Den HSV als den Hamburger Verein braucht es auch umso weniger, weil es ja schon immer diesen anderen Klub gab, auch wenn der nur den Namen eines einzigen dortigen Stadtteils im Namen führt. Aber dieser Verein war eben stets die Inkarnation des Alternativen – und wer es mit dem Politischen nicht so hatte, konnte mit „St. Pauli“ zumindest ein mythenumwobenes Nachtleben verbinden.

Der – so offiziell – Fußball-Club St. Pauli von 1910 e. V. war noch nie Deutscher Meister und auch nicht Europapokalsieger – aber etwas viel Tolleres: „Weltpokalsiegerbesieger“. Am 6. Februar 2002 gewann der Verein gegen Bayern München, das zuvor nach dem Champions-League-Sieg auch den globalen Titel geholt hatte. An dieses Ereignis erinnert regelmäßig der Münster-„Tatort“: Kommissar-Darsteller Axel Prahl trägt dort als St.-Pauli-Fan gelegentlich ein T-Shirt mit entsprechendem Schriftzug. Was übrigens nicht verhinderte, dass der Verein kurz nach diesem Ereignis abstieg und danach bis in die Regionalliga abrutschte.

In Berlin, Köln oder den Weiten Süddeutschlands mögen zwar nur echten Aficionados die Namen jener Spieler bekannt sein, die in der jetzt auslaufenden Saison für den Aufstieg sorgten – dreizehn Jahre nach dem jüngsten Abstieg aus der Ersten Liga. Etwas Besseres kann einem Klub aber letztlich kaum passieren: Spieler sind plötzlich mal weg, weil verkauft oder verletzt – der Vereinsname aber bleibt. Ein irgendwie Kleiner, der es schafft, oben mitzumischen.

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Der HSV kann währenddessen noch nicht mal den auch nicht sonderlich schmeichelhaften Beinamen „Zweitbester im hohen Norden“ für sich beanspruchen: Mit St. Pauli steigt nämlich auch das keine 100 Kilometer entfernte Holstein Kiel auf.

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Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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