Grüner Al-Wazir über Hessen: „Regieren lohnt sich“

Tarek Al-Wazir will Ministerpräsident von Hessen werden. Vom „Zirkus“ der Berliner Ampel grenzt sich der Grüne ebenso ab wie von der Letzten Generation.

Boris Rhein und Tarek Al-Wazir

Weitere fünf Jahre Schwarz-Grün? Tarek Al-Wazir (re.) will Boris Rhein das Amt streitig machen Foto: Arne Dedert/dpa/picture alliance

taz: Herr Al-Wazir, die AfD liegt in Umfragen auf Rekordhöhe, die CDU macht ausgerechnet in Thüringen gemeinsame Sache mit ihr, eine Studie verzeichnet einen deutlichen Anstieg rechtsextremer Einstellungen. Wie gefährdet ist die Demokratie in Deutschland?

52, ist Politikwissenschaftler, Grüner und seit 2014 Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie Vize-Ministerpräsident von Hessen. Bei der Wahl am 8. Oktober will er seinem Chef, Boris Rhein von der CDU, das Amt streitig machen.

Tarek Al-Wazir: Unsere Demokratie ist im Kern stabil. Aber sie wird angegriffen. Die Warnsignale werden immer lauter. Wenn Sprüche wie „Wir werden von Idioten regiert“ bei immer größeren Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fallen, dann dürfen wir das nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Wir als Bürgerinnen und Bürger müssen alle wieder lernen, dem zu widersprechen. Es geht um viel.

Welchen Anteil haben die Grünen an dieser Entwicklung? Etwa durch das Heizungsgesetz, mit dem Sie viele Bürgerinnen und Bürger zunächst überfordert haben?

Ordentlich regieren heißt für mich, nicht die Meinungsunterschiede – wie beim Heizungsgesetz – auf offener Bühne zu zelebrieren, sondern Lösungen zu präsentieren. Das hat die Ampel nicht immer gemacht. In Hessen haben Sie einen solchen Zirkus mit mir nie erlebt. Wir diskutieren mit dem Koalitionspartner hinter verschlossenen Türen und gehen dann mit einer gemeinsamen Lösung nach draußen. So möchte ich das auch als Ministerpräsident halten.

Trotzdem: Wenn Sie über die schwierige gesellschaftliche Situation derzeit nachdenken, was könnten Sie, was könnte Ihre Partei ändern?

Die Gefahr ist immer, zu viel in der eigenen Blase unterwegs zu sein. Und der geht es nie schnell genug. Wir als Grüne sind dafür da, die Energie-, Verkehrs- und Agrarwende voranzutreiben. Wir sind die Partei, die für eine offene und tolerante Gesellschaft steht. Aber wir müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen. Wenn wir auf dem Weg dahin die Menschen verlieren, haben wir in der Sache nichts gewonnen.

Die gesellschaftliche Stimmung ist aufgeheizt, CDU-Chef Friedrich Merz hat die Grünen zum Hauptgegner erklärt, gerade hat jemand versucht, die grünen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Bayern mit einem Stein zu bewerfen. Merken Sie diese Anfeindungen auch?

Wahlkampf polarisiert, das war schon immer so. Aber das darf nie ein Grund sein, mit Steinen zu werfen. Wir hatten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder rechtsextreme Parteien, die stark waren. Die NPD war in den 60er Jahren nicht nur im hessischen Landtag vertreten. Als ich 1993 ins Offenbacher Stadtparlament gewählt worden bin, da saßen neben mir elf Republikaner mit 15 Prozent. Die haben wir beide wieder kleingekriegt. Und dasselbe Ziel müssen wir mit der AfD haben. Dafür brauchen wir die Gemeinsamkeit der Demokraten.

Und wie erreichen Sie das? Wenn es für Sie schlecht läuft, landen Sie nicht mehr auf Platz 2 hinter der CDU, sondern auf Platz vier hinter der AfD.

Sachliche Politik machen, gut regieren, erklären, was man tut und tun, was man sagt. Das gelingt uns in Hessen auch ziemlich gut. Wir liegen in den Umfragen an die 20 Prozent, deutlich über dem Bundestrend. Und ich freue ich mich natürlich darüber, dass ich unter allen drei Ministerpräsidenten-Kandidaten die höchsten Zufriedenheitswerte habe. Dazu zählt dann auch, dass man Probleme, die es gibt, klar benennt.

Was meinen Sie da?

Die Betreuungssituation zum Beispiel. Es kann nicht sein, dass immer noch insbesondere Frauen nach der Geburt zu Hause bleiben müssen, weil sie keinen Kita-Platz finden. Deshalb möchte ich mindestens 20.000 neue Kitaplätze schaffen. Und ich will mit unseren Wohnungsbauprogrammen weitermachen. Hessen ist eines von vier Ländern, das den Negativtrend bei den Sozialwohnungen gedreht hat.

Auf sehr niedrigem Niveau.

Entschuldigung, aber wenn es 25 Jahre lang bundesweit jedes Jahr weniger wurden und dann schafft man es, dass es im vergangenen Jahr 1.600 Sozialwohnungen dazukommen und wir damit mehr Familien eine bezahlbare Wohnung ermöglichen, dann ist das ein Erfolg. Klar, das müssen noch mehr werden. Aber wenn man Erfolge nicht mehr benennen kann, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Leute denken, dass alles den Bach runtergeht.

Ihr Koalitionspartner hätte bei der Frage nach Problemen sicher das Migrationsthema angeführt. Wie wollen Sie verhindern, dass die CDU die Grünen als Bremser von vermeintlich notwendigen Verschärfungen brandmarkt?

Wir sind ohne Frage in einer schwierigen Situation. Viele Kommunen, Schulen und Kitas sind an der Belastungsgrenze und teilweise darüber. Ich finde, wir können als Land stolz darauf sein, dass wir so vielen Menschen, die auf der Flucht vor Krieg oder Verfolgung sind, individuellen Schutz bieten. Daran dürfen wir nicht rütteln. Gleichzeitig gilt: Wer dieses Asylrecht schützen will, muss auch dafür sorgen, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, das Land wieder verlassen. Beides gehört zusammen.

Sie regieren seit zehn Jahren mit der CDU und einiges spricht dafür, dass es nach der Wahl damit weitergeht. Sagen Sie mal drei Gründe, warum sich Schwarz-Grün lohnt.

Das Regieren lohnt sich, das hat erstmal nichts mit Schwarz-Grün zu tun.

Das ist nun mal die Koalition, Ihr Ministerpräsident ist Christdemokrat.

Ich sage Ihnen drei Gründe, warum es sich gelohnt hat, dass wir hessischen Grünen in der Regierung sind. Wir haben als erste gezeigt, dass Bus- und Bahnfahren mit günstigen Flatrate-Tickets möglich ist. Unser Schülerticket, das ich 2017 für einen Euro am Tag eingeführt habe, war die Blaupause für das Deutschlandticket. Und mit dem HessenPass mobil haben wir als einziges Flächenland das Deutschlandticket für Menschen mit geringem Einkommen nochmals vergünstigt. Wir haben die Energiewende vorangebracht. Mehr als die Hälfte der Stromerzeugung in Hessen ist erneuerbar. Auch damit sind wir – trotz schwieriger Bedingungen – besser als der Bund. Und wir Grüne haben den damaligen Kahlschlag der CDU bei Frauenhäusern und Schuldnerberatungsstellen mehr als rückgängig gemacht. Unser Sozialbudget mit 134 Millionen Euro ist bundesweit einmalig.

Pro Bahn ist nicht so begeistert von Ihrer Politik, der Verband hat Ihnen den Negativpreis „Hessischer Hemmschuh“ verliehen. Und mit 13 neuen Windrädern im vergangenen Jahr wollen Sie sich wirklich schmücken?

Nennen Sie mir mal einen einzigen Verkehrsminister, den Pro Bahn lobt. Das ist auch ok für eine Lobbyorganisation. Mir geht ja auch vieles zu langsam: Aber Projekte, über die jahrzehntelang nur geredet wurde, werden jetzt endlich gebaut. Das dritte und vierte Gleis der S-Bahn von Frankfurt nach Bad Vilbel etwa, die Nordmainische S-Bahn, die Regionaltangente West. Auch bei der Windkraft geht es voran: Wir haben die Genehmigungszeiten gerade halbiert. Und genauso wichtig: Wir sind eines von zwei Ländern, das ausreichend Flächen für Windkraft ausgewiesen hat.

Wie groß ist Ihr Brass auf die Ampel und Vizekanzler Habeck, weil die Ihre Chance auf das Ministerpräsidentenamt zunichte gemacht hat?

Das ist doch Quatsch. Bei der Landtagswahl ist weiter alles drin. Und ich bin auch weiterhin froh, dass Robert Habeck in dieser Krisenzeit unser Wirtschafts- und Energieminister ist. Er hat viel für die Energiewende und Versorgungssicherheit getan.

In der Klimapolitik, das haben wir beim Heizungsgesetz gesehen, steckt ein enormes Verhetzungspotential. Wie kann die sozial-ökologische Wende überhaupt gelingen?

Wir müssen zwei Dinge berücksichtigen: Wenn ein Teil der Menschen das Gefühl bekommt, dass Politik ihnen einen Lebensstil vorschreiben will, werden sie grantig. Und: Ein großer Teil der Gesellschaft ist durch all die Krisen veränderungsmüde. Beides kann ich verstehen. Aber die Klimakrise verlangt Veränderung. Nichts zu tun – wie es die CDU suggeriert – wird die Probleme vergrößern. Deshalb: Wir müssen verändern, damit es bleiben kann, wie es ist. Das werde ich mit Augenmaß und mit ruhiger Hand tun. Wer wie die Letzte Generation alles von heute auf morgen fordert, wird das Gegenteil erreichen. Wir werden noch langsamer vorankommen, wenn wir die Menschen auf dem Weg verlieren.

So verlieren Sie einen Teil der Klimabewegung.

Wir als Grüne haben ja auch Erfahrung mit zivilem Ungehorsam. Es ist aber ein Unterschied, ob ich einen Castor-Transport blockiere oder den Arbeitsweg der ganz normalen Bevölkerung. Ein Teil dieses Stimmungsumschwungs geht auch aufs Konto von Leuten, die einfach nicht verstehen, dass man in einer Demokratie Mehrheiten braucht, wenn man etwas verändern will.

Nichts überstürzen, Schritt für Schritt, geräuschlos mit der CDU regieren – das ist Ihr Rezept. Bleibt dabei nicht die Sichtbarkeit der Grünen auf der Strecke und eine mutige Klimapolitik, die notwendig ist?

Nein, die Grünen sind ja sehr sichtbar und zwar in den Ergebnissen der Politik. Wir können an ganz vielen Punkten in der Landespolitik erklären, was unser Anteil daran ist, dass Hessen grüner, stärker und gerechter geworden ist. Mir kommt es immer schon mehr darauf an, wie es ist, und nicht, wie es scheint.

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