Zwangsräumungen in Berlin: Legale Menschenrechtsverletzung

Jedes Jahr werden in Deutschland zehntausende Menschen zwangsgeräumt. Höchste Zeit, diese menschenunwürdige Praxis zu beenden.

"Stopp Zwangsräumungen" steht in Berlin auf einem Schild.

Das Menschenrecht auf Wohnen ist in Deutschland weniger wichtig als das Recht auf Eigentum Foto: Florian Schuh/dpa

Lasst uns einen Moment vorstellen, wir würden in einer Welt leben, in der es ein Menschenrecht auf Wohnen gibt, ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf einen angemessenen Lebensstandard. Zwangsräumungen wären grobe Menschenrechtsverletzungen, die auch als solche geahndet werden, und niemand würde mehr wegen unbezahlter Rechnungen auf der Straße landen. Idealistischer Quatsch? Von wegen!

Denn tatsächlich gibt es all diese Rechte, das Recht auf Wohnen ist in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Grundgesetz und das Recht auf angemessenen Lebensstandard in der UN-Menschenrechtscharta. Zwangsräumungen stellen also durchaus eine Verletzung von Menschenrechten dar – nur wird diese nicht geahndet.

Warum das so ist, ist einfach zu erklären: Es gibt ein weiteres Recht, das all diesen Menschenrechten diametral gegenübersteht und das in kapitalistischen Staaten weitaus höher gewertet wird: das Recht auf Eigentum. Und das gibt Ei­gen­tü­me­r*in­nen nicht nur das Recht, sondern auch die willkommene Gelegenheit, ihre Rendite saftig zu steigern, indem sie Menschen auf die Straße setzen. Denn nach der Zwangsräumung ist vor der Mieterhöhung. Und von diesem Recht machen Ver­mie­te­r*in­nen nur allzu gern Gebrauch: Allein in Berlin kam es 2021 zu 1.668 Zwangsräumungen, bundesweit waren es mehr als 29.000.

Nun wäre es natürlich am besten, das Recht auf Eigentum einfach auszuhebeln, um den grundlegenden Menschenrechten wieder Geltung zu verschaffen und damit das ganze kapitalistische Ausbeutersystem gleich ganz außer Kraft zu setzen. Den Betroffenen von Zwangsräumungen helfen solche hehren, doch derzeit leider (noch) recht aussichtslosen Träumereien allerdings wenig. Doch was tun, um Zwangsräumungen zu verhindern?

UN-Vorgaben werden nicht umgesetzt

Nicht wenige, die aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt werden, rutschen angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum in Berlin in die Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit. Angesichts des ausgegebenen Ziels des Senats, Wohnungslosigkeit bis 2030 abzuschaffen, wäre die Verhinderung von Zwangsräumungen also durchaus im Interesse der Politik.

Schon jetzt gibt es Vorgaben seitens der UN, dass etwa Staaten ihre Politik so ausrichten müssen, dass es gar nicht erst zu Zwangsräumungen kommt, dass diese nicht im Winter stattfinden sollen oder dass sie nicht zu Wohnungslosigkeit führen dürfen und den Betroffenen eine gleichwertige Wohnalternative in der Nähe der ursprünglichen Unterkunft zur Verfügung gestellt werden soll.

Nichts davon wird in Berlin umgesetzt. Die Verantwortlichen im Senat verweisen hier gern auf den Mangel an Wohnraum in der Hauptstadt, gegen den sie vermeintlich nichts tun können. Abgesehen davon, dass es durchaus Instrumente gegen den Mietenwahnsinn gibt (Enteignung großer Immobilienunternehmen, Besteuerung überhöhter Mieten, Marktsperre für Börsenkonzerne), braucht es weitere, sozialpolitische Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass niemand mehr aus seiner oder ihrer Wohnung geschmissen wird.

Prävention statt Räumung

Denn oft sind Menschen von Zwangsräumungen betroffen, die sich in einer schweren Krise befinden. Die Kommunikation mit Ver­mie­te­r*in­nen oder Ämtern stellt in dieser Situation für viele ein unüberwindliches Hindernis dar, Briefe werden einfach nicht mehr geöffnet, bis es zu spät ist. Hier braucht es aufsuchende Hilfsangebote, nach dem Motto: Keine Räumung ohne vorherige Beratungsangebote.

Dass Räumungsbescheide in Berlin künftig in einem Pilotprojekt nur noch persönlich durch Justizbedienstete und So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen zugestellt werden sollen, ist ein erster Schritt, reicht aber nicht aus. Wichtig wäre, vorher einzugreifen, damit es gar nicht erst so weit kommt – Prävention statt Eskalation also.

Auch sollten Ämter nicht einfach so, ohne Kenntnis der Situation der Betroffenen, Leistungen streichen und damit die Menschen in die Wohnungslosigkeit treiben dürfen. Mietschuldenbedingte Kündigungen sollten bei Emp­fän­ge­r*in­nen von Sozialleistungen unmöglich sein. Zusätzlich braucht es einen besseren Kündigungsschutz sowie ein Verbot von Mieterhöhungen nach Zwangsräumungen.

Instrumente zur Verhinderung von Zwangsräumungen und damit von Obdachlosigkeit und Menschenrechtsverletzungen gibt es also zuhauf, man muss nicht gleich das ganze System umstürzen – schaden würde das natürlich trotzdem nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.