Debatte Ein Jahr Trump: So anormal wie möglich

Während Trumps größte Fans weiterhin unerschütterlich an seiner Seite stehen, bereitet sein Benehmen einigen Republikanern große Sorgen.

Trump spricht in zwei Mikrofone

Trump verbringt die meiste Zeit damit, Konflikte zu befeuern statt sie beizulegen Foto: reuters

Als Donald Trump am 20. Januar vor genau einem Jahr als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wurde, befürchteten viele US-Linke, dass die BürgerInnen des Landes sein flegelhaftes Verhalten alsbald als „normal“ empfinden würden. Diese Sorge war absolut unbegründet. Denn Trump gestaltet seine Präsidentschaft bisher absichtlich so anormal wie möglich. Üblicherweise streben US-Präsidenten danach, möglichst ausgleichend wahrgenommen zu werden. Trump hingegen verbringt die meiste Zeit damit, Konflikte zu befeuern statt sie beizulegen, was seine Anhänger beglückt, aber alle anderen zur Weißglut treibt.

Wenn er nicht gerade selbst mit seinen Twitter-Nachrichten für Kontroversen sorgt, stecken seine Berater eine Indiskretion nach der anderen durch und zeichnen damit ein Bild von einem launischen Präsidenten und chao­tischen Zuständen im Weißen Haus. Selbst der historische Tiefstand seiner Umfragewerte – laut dem renommierten Meinungsforschungsinstitut Gallup überschritt die Zustimmung für Trump nie die 45-Prozent-Marke, seit Mai 2017 blieb sie jedoch konstant unter 40 Prozent – konnte ihn nicht zur Umkehr bewegen.

Sinnbildlich war das kürzlich in der New York Times abgedruckte Zitat eines seiner ehemaligen Berater. „Nach zwei, drei friedvollen Tagen wurde Trump langsam ungeduldig, er konnte es kaum ertragen, dass er nicht in den Nachrichten vorkam.“ Deutlich wird daraus, wie stark das Handeln des US-Präsidenten von seinem Narzissmus gesteuert wird. Sein unnachgiebiges Buhlen um Aufmerksamkeit hat die USA in einen Zustand geistiger Erschöpfung versetzt.

Zu merken war das auch daran, wie der Comedian Michael Che vor Kurzem in der Talkshow „Saturday Night Live“ Spekulationen kommentierte, nach denen die prominente Talkmasterin und Schauspielerin Oprah Winfrey als Kandidatin in den kommenden Präsidentschaftswahlkampf einsteigen könnte: „Ich hab die Nase voll von diesen ulkigen Ideen. Ich sehne mich zurück zu langweiliger Politik und vermisse die Möglichkeit, einfach Nein sagen zu können, so wie früher, wenn mich Leute gefragt haben, ob ich gehört hätte, was der Präsident gesagt habe.“

Trumps Geisteszustand

Während Trumps größte Fans weiterhin unerschütterlich an seiner Seite stehen, ist bei den Parteimitgliedern von Demokraten und Republikanern enormes Unbehagen zu spüren. Die Demokraten leben in ständiger Furcht, dass Trump aus einer Laune heraus einen Krieg mit Nordkorea oder dem Iran entfesseln könnte. Sein jüngster verbaler Ausfall, afrikanische Länder seien „Dreckslöcher“, steigerte ihre Empörung über Trumps Rassismus ins Unermessliche.

Senator Bernie Sanders, der Sozialist, der 2016 so schlecht wegkam, macht den Eindruck, es erneut versuchen zu wollen

Was aus der Untersuchung der Verwicklungen von Trumps Wahlkampfteam mit den Russen beinahe täglich an neuen Details bekannt wird, elektrisiert die Linken ebenfalls enorm. Sie hoffen inständig, dass bald eine so gravierende Verfehlung ans Licht kommt, die schlussendlich zu Trumps Amtsenthebung führt. Nicht zu vergessen Michael Wolff, der in seinem Enthüllungsbuch „Fire and Fury“ Trumps Geisteszustand infrage gestellt hat, was wiederum Anlass zur Hoffnung gibt, Trumps vorzeitige Entlassung könnte mithilfe des 25. Zusatzartikels der US-Verfassung gelingen. Darin ist festgeschrieben, dass notfalls sein Vizepräsident, das Kabinett und der Kongress erklären, er sei „nicht mehr in der Lage, seinen Amtsverpflichtungen nachzukommen“.

Trumps treue Fans

Diese Hoffnung entspricht allerdings nicht der politischen Realität. Jedes Verfahren, das zur Absetzung eines amtierenden Präsidenten führt, benötigt eine Zweidrittelmehrheit im Senat (für die Inanspruchnahme des 25. Zusatzartikels wäre zusätzlich eine Zweidrittelmehrheit im Repräsentantenhaus vonnöten). Derartig große Mehrheiten können nicht generiert werden, ohne dass die Republikaner riskieren müssten, Trumps treue Anhänger zu verprellen. Während Trumps allgemeine Umfragewerte im Keller sind, unterstützen ihn spektakuläre 87 Prozent der republikanischen Wähler. Deshalb ist es für die Republikaner gefährlich, ihn zu verärgern. Senator Jeff Flake aus Arizona ist hierfür abschreckendes Beispiel: Nachdem er ein Trump-kritisches Buch veröffentlicht hatte, liefen ihm republikanische Wähler in Scharen davon und er verzichtete darauf, sich der Wiederwahl zu stellen.

Genauso bereitet Trumps Benehmen einigen Republikanern große Sorgen. Denn im November stehen im Kongress Wahlen für das gesamte Repräsentantenhaus und Teile des Senats an. Die Republikaner, die derzeit die Mehrheit im Kongress haben, befürchten bereits, dass ein Sieg der Demokraten unvermeidbar ist. Vor einigen Monaten allerdings bescheinigten politische Analysten den Republikanern noch einen Vorteil und 24 der in diesem Jahr im Senat zur Wahl stehenden Sitze. Umgekehrt repräsentiert nur einer der acht zur Wahl stehenden republikanischen Sitze einen Staat, den Trump verlor.

Nur wenige Gesetze durchgebracht

Im ebenfalls von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus müssen sich die Demokraten einer besonders perfiden Wahlmanipulation der Gegenseite erwehren: Um den Erfolg einer Partei zu begünstigen, werden Wahlbezirksgrenzen kurzer Hand neu gesteckt. Einer Prognose zufolge könnten die Demokraten 2018 bei der Wahl zum Repräsentantenhaus 54 Prozent aller Stimmen erhalten, aber nur 47 Prozent der Sitze.

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Zudem hat die US-Wirtschaft – für viele Wähler wichtigstes Thema – bislang nicht unter Trumps Eskapaden gelitten. Das Wirtschaftswachstum ist stetig und die Arbeitslosenquote niedrig. Zwar konnte Trump nur wenige Gesetze durchbringen oder erneuern, aber im letzten Monat unterzeichnete er eine Gesetzesvorlage, die den meisten US-Bürgern und Unternehmen Steuersenkungen bescheren wird. Wäre das aufgrund der Initiative eines gewöhnlichen US-Präsidenten geschehen, würde das schon genügen, um Wähler zu beeindrucken.

Dennoch ist es durchaus denkbar, dass selbst scheinbar günstige Wahlaussichten und eine starke Wirtschaft nicht verhindern können, dass der anormale Trump für die Republikaner zum Bumerang wird. Führende Abgeordnete des Repräsentantenhauses unterrichteten ihn vor Kurzem über die bevorstehenden Wahlaussichten und warnten vor einer krachenden Niederlage.

Ein erstes dahingehendes Alarmsignal kam letzten Monat aus dem eigentlich stramm rechtsgerichteten südlichen Bundesstaat Alabama. Bei einer Senats-Nachwahl hatte der Demokrat Doug Jones dort einen Sitz erobert, der seit 20 Jahren lückenlos von den Republikanern besetzt wurde.

Ein Renten-Rekordexodus

Nun kann man Alabama als Sonderfall abtun, schließlich war der Kandidat der Republikaner, Roy Moore, durch die Anschuldigung in Misskredit geraten, Unzucht mit minderjährigen Mädchen getrieben zu haben. Aber da die Demokraten mehreren Umfragen zufolge in den bevorstehenden Kongresswahlen klar vorne liegen, interpretieren viele der republikanischen Amtsinhaber den Wahlausgang von Alabama als böses Omen. 33 der republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus stehen für eine Wiederwahl nicht zur Verfügung, weil sie in Rente gehen – ein Rekordexodus.

Obwohl sich der politische Wind ein wenig zu ihren Gunsten gedreht hat, sieht sich die Demokratische Partei hausgemachten Problemen gegenüber: Wie es aussieht, gehen sie bei den Präsidentschaftswahlen 2020 ohne einen Kandidaten ins Rennen, der alle Parteiflügel hinter sich weiß, souverän die Parteiführung für sich reklamieren könnte und in der Lage wäre, bestehende innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten beizulegen.

Senator Bernie Sanders, der Sozialist, der 2016 so schlecht weggekommen ist, macht den Eindruck, es erneut versuchen zu wollen. Genauso Obamas früherer Vizepräsident Joe Biden, der, im Gegensatz zu Sanders, Populismus kritisiert und globale Handelsabkommen verteidigt. Erste Umfragen sehen diese beiden als aussichtsreichste Bewerber, aber vielen Parteimitgliedern läuft bei dem Gedanken, mit zwei 70-jährigen weißen Männern ins Rennen zu gehen, ein kalter Schauer über den Rücken.

Mehr Frauen und People of Color

Es wird erwartet, dass sich mehrere, womöglich mehr als zehn, jüngere Kandidaten zusammentun und zur Wahl antreten. Vermutlich wird es erstmals mehrere glaubwürdige Kandidaten geben, darunter Frauen und People of Color. Ein mit ideologischen Themen aufgeheizter Wahlkampf, in dem Themen wie Gender und ethnische Herkunft eine große Rolle spielen werden und die Partei vor eine Zerreißprobe stellen, scheint unausweichlich zu sein.

Zudem gibt es Gerüchte, dass sich Milliardäre wie der frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg als unabhängige Kandidaten zur Wahl stellen könnten. Sollte der Wahlkampf der Demokraten ihrem späteren Kandidaten zu viele Wunden zufügen oder ein Unabhängiger die Anti-Trump-Mehrheit spalten, wäre es durchaus möglich, dass der Amtsinhaber ein zweites Mal gewinnt, ohne die Mehrheit der Stimmen zu haben.

Selbst wenn Oprah Winfrey von einer Kandidatur absehen sollte, ist nicht davon auszugehen, dass US-Innenpolitik so bald wieder langweilig werden wird.

Übersetzung aus dem Englischen von Sylvia Prahl

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