EU-Einigung auf Asylreform: Die grüne Flucht nach rechts

Die Neuordnung des EU-Asylsystems bedeutet für Flüchtlinge Inhaftierung und mögliche Abschiebung in Kriegsgebiete. Es zwingt die Grünen zu Verrenkungen.

Zwei Protestierende halten ein Protestbanner hoch.

Protest gegen den Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im November 2023 Foto: Florian Boillot

Bis vor Kurzem hatte die Webseite der Grünen eine Themenrubrik namens „Flüchtlinge“. Darin stand ein klarer Satz: „Vorgezogene Asylverfahrensprüfungen an den Außengrenzen lehnen wir ab.“ Diese Seite ist nicht mehr erreichbar. Stattdessen gibt es eine Weiterleitung, dort ist von „Humanität, Ordnung und Solidarität an der Grenze“ die Rede. Der semantische Abstand zur CDU ist da nur noch haarscharf: Bei der ist der Passus zum selben Thema überschrieben mit „Unser Weg für Humanität und Ordnung“.

Beschrieben werden bei Grünen und Union die Vorzüge der Neuordnung des EU-Asylsystems GEAS, das am Mittwoch vom EU-Parlament beschlossen wurde.

Es sieht – und das ist eine Idee des alten deutschen CSU-Innenministers Horst Seehofer – vor, dass Ankommende an den Außengrenzen künftig in großer Zahl inhaftiert werden und Schnellverfahren durchlaufen müssen. Offiziell gelten sie in dieser Zeit als „nicht eingereist“. Wer vorher in einem „sicheren Drittstaat“ war, soll sehr leicht dorthin zurückgeschoben werden können – auch, wenn diese „sicheren Drittstaaten“, wie etwa die Türkei, ihrerseits in Kriegsgebiete oder unsichere Staaten wie Afghanistan abschieben.

Die EU entledigt sich so der Menschen, der moralischen Verantwortung aber entkommt sie nicht

Die EU entledigt sich so der Menschen, der moralischen Verantwortung aber entkommt sie nicht. Das neue GEAS ist ein System der Entrechtung und der Abschottung. Es wurde auf EU-Ebene nur möglich, weil Deutschland im vergangenen Sommer eine Einigung forcierte. Die Grünen-Parteispitze warb damit, so einen „verbindlichen Verteilmechanismus“ innerhalb der EU durchsetzen zu können. Das GEAS widersprach dabei der Beschlusslage der Partei völlig eindeutig.

Der Verteilmechanismus, dessen Existenz bis heute heraufbeschworen wird, war in Wahrheit nie vorgesehen. Es wird ihn auch jetzt nicht geben, sondern nur eine Zahlungsverpflichtung für Länder, die anteilig zu wenige Flüchtlinge nehmen. Sehr wohl aber gibt es Haft für die Schwächsten, auch für Kinder – das, was die Grüne Parteispitze zu verhindern versprach.

Annalena Baerbock warb am Mittwoch vor der Abstimmung für das GEAS, nannte es einen „Meilenstein“ für „Humanität und Ordnung“. Doch damit vermochte sie nicht mal ihre eigene Fraktion im Brüsseler Parlament zu täuschen. Die sah klar – und lehnte den Kompromiss ab.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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