Erhebung zu Militärausgaben: EU rüstet auf – und hat wenig davon

Für Wachstum bringen hohe Militärausgaben wenig, sagt eine neue Greenpeace-Studie. Wegen der Haushaltskrise fordern Experten ein Umdenken.

Boris Pistorius gestikuliert

Rechtfertigt die Finanzierung seines Wehretats: Boris Pistorius am 29. 11. im Bundestag Foto: Liesa Johanssen/reuters

BERLIN taz | In diesen Tagen wird Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht müde, die Finanzierung seines Wehretats zu rechtfertigen. Zuletzt am Mittwoch im Bundestag. Trotz der aktuellen Haushaltskrise – ausgelöst durch das Karlsruher Urteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) – sieht er keine Notwendigkeit, bei seinem Etat zu sparen. Es gebe bislang keinerlei Anforderungen an ihn, einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten, so Pistorius.

Das Militärbudget soll 2024 um rund 1,7 Milliarden Euro auf 51,8 Milliarden Euro steigen. Auch das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, das Bundeskanzler Olaf Scholz unmittelbar nach Russlands Angriff auf die Ukraine veranschlagte, wird unangetastet bleiben. Ohnehin ist dieser Sondertopf nicht betroffen, er ist im Grundgesetz festgelegt.

Es herrscht Krieg in Europa. Die internationalen Anforderungen – allen voran aus der Nato – sind enorm. Deutschland will das Zwei-Prozent-Ziel unbedingt erfüllen, also zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. So ist es in der Nationalen Sicherheitsstrategie ausgeführt, die im Juni vorgestellt wurde. Und Pistorius und Scholz bekräftigen dies, wo immer sie können. Sei es bei der Wehrtagung der Bundeswehr, beim letzten Nato-Gipfel in Vilnius, bei Treffen und Gesprächen mit Ver­tre­te­r:in­nen der USA, beim Koordinierungsgremium für die Ukraine-Unterstützung in Ramstein, bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Begründung für die aktuellen Investitionen in Milliardenhöhe ist die Kriegslage in unmittelbarer Nachbarschaft. Ein eindrückliches Beispiel ist die Zusage Pistorius’, rund 4.000 Sol­da­t:in­nen dauerhaft in Litauen zu stationieren. Die baltischen Staaten sehen sich seit Jahrzehnten durch Russland bedroht, seit Februar 2022 noch einmal mehr als zuvor. Die Zusage kostet, auch wenn Litauen bereits eine Milliarde an Unterstützung zugesagt hat. Aber Kasernen bauen, Infrastruktur für die Sol­da­t:in­nen und ihre Familien schaffen, Prämien zusätzlich zum Sold der dauerhaft stationierten Streitkräfte – das alles ist teuer.

Wurde die Bundeswehr kaputtgespart?

Und ein weiterer Grund wird seit Jahren angeführt: Der schwerfällige Apparat der Bundeswehr sei seit Jahren kaputtgespart worden, es fehlt an Ausrüstung, an gut ausgebildetem Personal. Auch die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hat dies in ihrem aktuellen Bericht angeprangert – und mahnt zu dringenden Reformen. Auf Widerstand stoßen die Aussagen des Verteidigungsministeriums aufgrund der aktuellen Lage kaum. Aber stimmt es auch, dass die Bundeswehr in den vergangenen Jahren zu wenig Geld erhalten hat und sind die angedachten höheren Investitionen gerechtfertigt?

Die Greenpeace-Büros in Deutschland, Italien und Spanien kommen in einer Erhebung, die der taz vorliegt, zu einem anderen Schluss. Insgesamt sind in den letzten zehn Jahren die Militärausgaben der NATO-EU-Länder um fast 50 Prozent gestiegen – von 145 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf ein prognostiziertes Budget von 215 Milliarden Euro im Jahr 2023, heißt es dort. Zum Vergleich: Die Summe ist größer als das jährliche Bundesinlandsprodukt eines Landes wie Portugal.

Konkret auf Deutschland, Spanien und Italien bezogen bedeutet das: Deutschland hat innerhalb eines Jahrzehnts seine Militärausgaben um 42 Prozent gesteigert, Italien um 30 Prozent – und Spanien gar um 50 Prozent. Gekauft wurden damit ausschließlich Waffen und Ausrüstung. Von 2022 auf 2023 verdreifachte Deutschland seine Ausgaben auf 13 Milliarden Euro, in Italien sind es 5,9 Milliarden Euro, in Spanien 4,3 Milliarden Euro. Auch die Einfuhr von Waffen innerhalb der EU hat sich zwischen 2018 und 2022 verdreifacht. Haupteinkaufsland sind die USA.

Die EU hat sich dem Weg der Aufrüstung angeschlossen, schlussfolgert Greenpeace und kritisiert scharf die Zusagen für aktuelle Mehrausgaben, um die deutschen Streitkräfte besser auszustatten. „Die Bundeswehr wurde in den vergangenen Jahren bereits finanziell stark bevorzugt und keineswegs kaputtgespart“, sagte Alexander Lurz, Greenpeace-Experte für Frieden und Abrüstung, der taz. Lurz spricht von einem dysfunktionalen System, das Milliarden erhält. „Es braucht erst eine durchgreifende Reform des Beschaffungswesens.“

Scharfe Kritik an höherem Wehretat

Angesichts der ungelösten aktuellen Haushaltskrise stehen Sozialausgaben oder Investitionen in Klimaschutz auf der Kippe. Für Lurz eine fatale Einschätzung. „Angesichts des 60-Milliarden-Lochs im Haushalt muss jetzt das Bundeswehr-Sondervermögen zur Finanzierung des regulären Bundeswehr-Beschaffungsetats herangezogen werden – anstatt bei Sozialem und Klimaschutz zu sparen“, sagt der Abrüstungsexperte.

Prioritätensetzung ist das eine. Aber die Nichtregierungsorganisation untersucht in ihrer Erhebung auch den wirtschaftlichen Mehrwert für die Staaten, wenn es um Rüstungsinvestitionen geht. Grundlage dafür sind die Effekte für mehr Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum in den jeweiligen Ländern. Allein die Tatsache, dass Investitionen auch anteilig in Importe fließen, hemmt die Entwicklung in den Staaten. Laut Studie führten in Deutschland Ausgaben in Höhe von einer Milliarde Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern zu einem Anstieg der inländischen Produktion um 1,23 Milliarden Euro. Mit Blick auf Beschäftigungseffekte entspräche dies nur 6.000 zusätzlichen Jobs in Deutschland.

Würde eine Milliarde Euro in Umwelt, Bildung und Gesundheit investiert, sähe das Zahlenspiel laut Greenpeace komplett anders aus. In der Studie gehen die Ex­per­t:in­nen im Bereich Umweltschutz in Deutschland von einem Zuwachs in der inländischen Produktion von 1,752 Milliarden Euro aus, für das Bildungswesen und die Gesundheitsbranche wird von Zahlen zwischen 1,19 und 1,38 Milliarden Euro ausgegangen.

In Arbeitsplätzen gerechnet könnten dies 11.000 Jobs im Umweltbereich werden, rund 18.000 für die Bildung und rund 15.000 im Sektor Gesundheit. Auf Basis dieser Zahlen wäre Aufrüstung ein „schlechtes Geschäft“. „Steigende Militärausgaben führen in Europa zu einem geringeren Wirtschaftswachstum, zur Schaffung von weniger Arbeitsplätzen und zu einer geringeren Qualität der Entwicklung“, heißt es in der Studie. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vergleich zwischen steigenden Ausgaben für Militär und dem deutlich geringeren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts innerhalb der EU.

Zwischen 2013 und 2023 stieg die Wirtschaftsleistung in den Nato-EU-Staaten um 12 Prozent, die Gesamtbeschäftigung um 9 Prozent. Die Verteidigungsausgaben stiegen dagegen um rund 46 Prozent.

In Anbetracht des Ukraine-Kriegs scheint eine Verschiebung der Investitionen für Rüstungsgüter in andere Bereiche derzeit aber politisch kaum machbar. Dies zeigt auch der am Donnerstag veröffentlichte Jahresbericht der EU-Verteidigungsbehörde (EDA). Demnach haben die Militärausgaben der EU-Mitgliedsstaaten 2022 mit 240 Milliarden Euro eine Rekordhöhe erreicht. Das sind rund sechs Prozent mehr als 2021. Insgesamt gaben die EU-Staaten im vergangenen Jahr rund 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus. Also deutlich weniger als das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. 2023 sollen es noch einmal 30 Milliarden Euro mehr werden für die Aufrüstung.

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