Kolumne Besser: Muslim krass beleidigt

Gäbe es einen Nobelpreis für Beleidigtsein, die islamische Welt würde nicht so leer ausgehen wie sonst. Jüngster Fall: die Anzeige gegen Dieter Nuhr.

Dieter Nuhr, Hasssatiriker. Bild: ap

Mit seinem schnauzerfreien Zottelbart sieht Erhat Toka so aus, als wäre er auf dem Sprung in den Dschihad. Doch der 41-jährige Kampfsportlehrer ist kein geifernder Dschihadist. Vor ein paar Jahren gründete er in seiner Heimatstadt Osnabrück eine muslimische Partei. Und sagt Sätze wie: „Wenn sich jemand über den Islam lustig macht, habe ich nichts dagegen, aber …“ Was man halt so sagt, wenn man das Gegenteil meint, sich aber nicht gleich disqualifizieren will. „Ich habe nichts gegen Juden, aber …“ „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …“ Oder, wenn es um Satire geht, gerne mit Kurt Tucholsky: „Satire darf alles, aber …“

Satire darf zum Beispiel nicht, meint zumindest Erhat Toka, so etwas sagen: „Im Islam ist die Frau zwar frei, aber in erster Linie frei davon, alles entscheiden zu müssen.“ Deshalb hat er den Kabarettisten Dieter Nuhr, von dem dieser Satz stammt, nach § 166 StGB (das gibt's wirklich) wegen „Beschimpfung von Religionsgemeinschaften“ angezeigt. Nuhr sei ein „Hassprediger“, der das Klima vergifte.

Nobelpreis für Beleidigtsein

Am Samstag protestierte er mit 30 Mitstreitern gegen Nuhrs Auftritt in Osnabrück. Und er bekommt Zuspruch, etwa vom Kommentator der Neuen Osnabrücker Zeitung, die als erste über den Fall berichtet hatte. Oder von Klaus J. Bade, der der Welt im besten Migrationsforscherdeutsch diktierte: „Pauschale Diffamierungen anstelle von Differenzierungen schaffen nur neue Schreckensbilder, die dem mehrheitlich liberalen europäischen Islam das Wasser abzugraben versuchen.“

Vermutlich zählt Bade auch einen wie Toka zum „mehrheitlich liberalen europäischen Islam“. Doch die Kritik der Religion steht am Anfang aller Aufklärung; es gibt keine liberale Gesellschaft ohne die Freiheit, religiöse Zumutungen zurückzuweisen. Die christlichen Kirchen haben sich – zumindest in Europa – damit mehr oder weniger abgefunden. Anders moderne Islamisten vom Schlage eines Recep Tayyip Erdogan, dessen Fan Toka offenbar ist. Die berufen sich zwar gern auf Menschenrechte, doch eigentlich kennen sie nur eines, die Religionsfreiheit nämlich, der sie alles andere untergeordnet wissen möchten.

Ihr Trick: Sie fühlen sich ständig beleidigt – der Fall aus Osnabrück ist ja bei weitem nicht der erste seiner Art. Gäbe es einen Nobelpreis für Beleidigtsein, die islamische Welt würde sicher nicht so leer ausgehen wie sonst in den Kategorien Medizin, Chemie oder Physik. (Dass sie zu Beginn des letzten Jahrtausends zuverlässig all diese Preise abgeräumt hätte, hilft da nicht weiter; wer will sich schon immer auf tausend Jahre alten Leistungen ausruhen?)

Noch etwas wirft der Osnabrücker Islamist Nuhr vor: dass dieser in seinem Programm gerne Koranverse wie „Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet“ zitiert. Nuhr entreiße diese Zitate aus dem Zusammenhang, meint Toka, überhaupt fänden sich in der Bibel ähnliche Passagen. Doch zur Ausgewogenheit ist kein Kritiker verpflichtet. Wenn ich über die Machenschaften der Atomindustrie spreche, muss ich mich nicht auch mit Bio-Eier-Skandalen beschäftigen. Nur wenn ich immer nur das eine eine sehe und nie das andere, verliere ich meine Glaubwürdigkeit. Das aber kann man Dieter Nuhr nicht vorwerfen; vorgeknöpft hat er sich nicht nur den Koran, sondern ebenso die Bibel.

Dümmer als die Bibel

Abgesehen davon stimmt Tokas Aussage nicht einmal. Im Alten Testament finden sich zuhauf verherrlichende Schilderungen von Krieg und Gewalt, auch nicht alle Worte von Jesus sind so ganz firedlich. Aber ausdrückliche Aufforderungen, Ungläubige zu töten, gibt es nur im Koran.

Wenn man einmal alle Theologie und Religionsgeschichte beiseite lässt und nur den Urtext betrachtet, lautet das Ergebnis: Der Koran ist kein genauso gewalttätiges und dummes Buch wie die Bibel. Er ist gewalttätiger und in fast jeder Hinsicht dümmer. Zu den Ausnahmen gehört die prinzipielle Bejahung der sexuellen Lust, die den Koran wohltuend von der Verklemmtheit des Neuen Testaments unterscheidet, was man aber gleich wieder vergeigt, weil man die Lust der Frauen der Kontrolle der Männer unterwirft.

Die größte und folgenreichste Dummheit aber ist die Behauptung, der gesamte Text stamme von Allah, auch die Anweisungen zur Versklavung von Gefangenen oder die Fürsorge um das Fickificki des Propheten Mohammed. Doch der Islam ist nicht einfach das, was im Koran steht; jede Religion ist die Summe aus Text, Tradition und Interpretation, ist das, was die Gläubigen daraus machen.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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