Petition zur Verwirkung von Grundrechten: Das autoritäre Überbleibsel

Um den Wert von Grundrechten zu kapieren, muss man den Versuch, diese Björn Höcke zu entziehen, nur mal umkrempeln: Gerade Staatsfeinde brauchen sie.

Demonstranten halt ein Schild "Björn Höcke ist ein Nazi"

Protest im November 23 in Dresden: Demonstranten gegen Höcke Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Über eine Million Menschen haben eine Petition unterzeichnet, die dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke zentrale Grundrechte und das Wahlrecht entziehen will. Das ist kein Grund zu antifaschistischer Freude, sondern Grund zu höchster demokratischer Besorgnis. Politische Grundrechte sind wenig wert, wenn sie gerade denen entzogen werden, die sie aufgrund ihrer Gegnerschaft zur aktuellen politischen Mehrheit am meisten brauchen.

Stellen wir uns vor, in Ungarns Verfassung würde die Möglichkeit geschaffen, Staatsfeinden die Grundrechte zu entziehen. Natürlich wären wir alle empört. Ein derartiges Manöver würde als endgültiger Beweis dafür gewertet, dass Ungarn keine rechtsstaatliche Demokratie mehr ist, sondern ein autoritäres Regime irgendwo zwischen Weißrussland und Myanmar. Zu Recht.

Die Gewährung von verbindlichen Grundrechten, an denen sich alle Gesetze messen lassen müssen, ist eine Grundbedingung moderner Verfassungsstaaten. Niemand soll dem Staat rechtlos gegenüberstehen. Es ist das wichtigste Recht, Rechte zu haben, so Hannah Arendt.

Nun sieht aber das Grundgesetz seit 1949 vor, dass Menschen, die bestimmte Grundrechte wie die Meinungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung „missbrauchen“, damit ihre Grundrechte „verwirken“. Dieser Artikel 18 ist ein Relikt autoritären Denkens, der dringend abgeschafft gehört, bevor er erstmals angewandt wird.

Haben wir nicht Strafgesetze und Gefahrenabwehrgesetze genug? Die Demokratie ist nicht schutzlos. Aber alle Gesetze müssen sich an den Grundrechten messen lassen, abstrakt und in der konkreten Anwendung. Die Gesetze müssen also verhältnismäßig sein, das ist der praktische Sinn der Grundrechte.

Wer Grundrechte für disponibel und entziehbar hält, ist bereits dem autoritären Denken verfallen und damit Teil des Problems, nicht der Lösung. Wer Höcke zudem das passive Wahlrecht entziehen will, macht die Demokratie lächerlich und gefährdet damit das, was wir alle doch verteidigen wollen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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