Propalästinensische Demos am Wochenende: Freiheit der Andersdenkenden

Das Demonstrationsrecht ist ein Wert an sich. Auch Parolen, die die Mehrheit unerträglich findet, sind geschützt – gut so.

Ein junger Mann hält einen Schal mit dem Muster der palästinensische Flagge auf einer Demo in Berlin, umringt von Demonstranten die auch Falggen und Schilder hochhalten

Demonstration in Berlin am 04.11.2023 Foto: Liesa Johannssen/reuters

In ganz Deutschland sind am Wochenende Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen auf die Straße gegangen, um gegen die israelische Militäroperation in Gaza und für ein freies Palästina zu demonstrieren. Unabhängig vom Inhalt ist es gut, dass diese Demonstrationen stattfinden konnten. Kurz nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober sah das noch anders aus. Damals wurden in vielen deutschen Städten propalästinensische Kundgebungen weitgehend verboten.

Das Demonstrationsrecht ist ein Recht der Minderheiten, daran muss immer wieder erinnert werden. Seine Garantie ist dort relevant, wo die Mehrheitsgesellschaft von „unerträglichen Parolen“ redet und Verbote fordert. Das Demonstrationsrecht schützt nicht nur nützliche Anliegen – wer soll das auch entscheiden? –, sondern ist in einer freiheitlichen Gesellschaft ein Wert an sich. Zivilgesellschaft, das sind nicht nur die „Guten“.

Natürlich führt ein liberales Demonstrationsrecht dazu, dass vor dem Brandenburger Tor oder dem Berliner Fernsehturm Parolen gerufen werden, die der deutschen Regierungspolitik diametral gegenüberstehen. Solche Bilder schwächen aber nicht die deutsche Staatsräson, die völlig zu Recht zum Schutz für Israel steht. Sie stärken vielmehr Deutschlands Glaubwürdigkeit im weltweiten Eintreten für Grundrechte.

Es ist doch peinlich, dass Außenministerin Annalena Baerbock vorige Woche in Aserbaidschan den Jour­na­lis­t:in­nen erklären musste, warum in Deutschland so viele Demonstrationen verboten werden, um anschließend wieder zu kritisieren, dass Aserbaidschan Oppositionelle unterdrückt.

Die Grenze ist das Strafrecht

Die Grenze für die Demonstrationsfreiheit markiert das Strafrecht. Das Rufen strafbarer volksverhetzender Parolen wie „Tod den Juden“ ist natürlich auch auf Versammlungen verboten. Wenn die Berliner Polizei aber bereits alle „israelfeindlichen“ Parolen verbietet, geht das zu weit. Bei Meinungsäußerungen ist das Strafrecht ohnehin stets eng auszulegen. Wichtig ist auch, dass bei den Prognosen, ob es zu Straftaten kommen wird, mit Augenmaß gehandelt wird. Es kann für ein Verbot nicht genügen, dass in der Vergangenheit bei einem anderen Veranstalter in einer anderen Stadt strafbare Parolen skandiert wurden.

Demonstrationen müssen in Deutschland nicht genehmigt werden, sie sind per se erlaubt. Verbote sind die absolute Ausnahme; in der Regel genügen Auflagen. Wenn hiergegen verstoßen wird, kann die Polizei ein volksverhetzendes Plakat beschlagnahmen und muss nicht gleich die ganze Kundgebung auflösen. So wurde an diesem Wochenende auch weithin in Deutschland verfahren. Ganz unabhängig vom Inhalt der Kundgebungen ist das ein Erfolg.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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