Friedensmärsche und Krieg: Friedensbewegung in der Bredouille

Solange der Aggressor Nato oder USA hieß, war der Bewegung stets klar, wer gut und wer böse ist. Nun tritt ein lange verdrängter Grundkonflikt wieder offen zutage.

Ein Stofffetzen mit einer weissen Friedenstaube auf blauem Hintergrund ist um einen Baum gebunden

Die Friedensbewegung hat ein Problem – nicht nur mit ihrer Doppelmoral Foto: Olaf Schuelke/imago

Mitten im Ersten Weltkrieg beklagte Stefan Zweig „die fast vernichtende Tragik des Pazifismus, dass er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos und in der Kriegszeit hilflos“. Mit seinen Worten erinnerte der österreichische Schriftsteller 1917 an Bertha von Suttner, die trotz aller Anfeindungen nicht davor zurückgeschreckt sei, „das scheinbar Unerreichbare zu fordern“. Doch seine Feststellung hat bis heute nichts von ihrer Ak­tua­li­tät verloren.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren erlebt das Denken in rein militärischen Kategorien auch in der Bundesrepublik eine Renaissance. Dass kräftig aufgerüstet werden müsse, gilt als unumstößliche Tatsache. Ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister will Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen. Ein grüner Wirtschaftsminister trifft sich mit den Chefs deutscher Rüstungsunternehmen zum „Austausch zu Innovations- und Beschleunigungsmöglichkeiten in der Verteidigungswirtschaft“.

Und eine liberale EU-Spitzenkandidatin wirbt als „Oma Courage“ für sich – was Bertolt Brecht sicherlich ganz passend gefunden hätte. Gerade jetzt wäre eine große Friedensbewegung als mahnende Stimme nicht das Schlechteste. Doch den Ostermärschen hat der Ukrainekrieg keinen nennenswerten Aufschwung beschert. Stattdessen ist ein lange verdrängter Grundkonflikt wieder offen zutage getreten. Denn die Friedensbewegung war nie ausschließlich pazifistisch.

Einig waren sich die unterschiedlichen Lager zwar stets, wenn es – nicht zu Unrecht – gegen den US-Imperialismus und die Nato ging. Die Reaktion auf militärische Aggression, die nicht aus dem Westen kam, fiel hingegen schon in der Vergangenheit nicht gleichermaßen eindeutig aus. Auch jetzt tut sich ein nicht unerheblicher Teil der Friedensbewegung sichtlich schwer, den Krieg Russlands ohne Wenn und Aber zu verurteilen.

Offensichtliche Doppelmoral

Die Doppelmoral ist augenfällig: Als 2003 die USA, Großbritannien und eine „Koalition der Willigen“ völkerrechtswidrig im Irak einmarschierten, war es gar keine Frage, wie darauf zu reagieren ist: „Wir fordern von Bush, Blair und allen anderen Kriegswilligen: Stoppt den Krieg sofort! Invasoren raus aus dem Irak!“, war damals in den Ostermarschaufrufen zu lesen. In den heutigen Aufrufen sucht man die Forderung nach einem sofortigen Abzug von Putins Truppen aus der Ukraine weitgehend vergeblich.

Wer diese Selbstverständlichkeit jedoch ablehnt, der oder die ist nur vermeintlich friedensbewegt und stellt sich de facto auf die Seite des Aggressors. Völlig klar, dass das keine Mehrheitsposition in der Friedensbewegung ist, in der auch weiterhin zahlreiche höchst integre Menschen aktiv sind. Aber die eigentümliche Ambivalenz etlicher altgedienter Ak­ti­vis­t:in­nen im Umgang mit Russland hat dazu geführt, dass die Ostermarschaufrufe vielerorts so merkwürdig klingen. Das sorgt für ein Glaubwürdigkeitsproblem.

„Unser Marsch ist eine gute Sache, weil er für eine gute Sache geht“, heißt es in dem bekanntesten Ostermarschlied, geschrieben Anfang der 1960er Jahre. Daran zweifeln heute viele, und das wirkt sich negativ auf die Teil­neh­mer:in­nen­zah­len aus. In diesem Jahr dürften es trotzdem wieder etwas mehr sein, die bis Montag in rund 100 Städten ostermarschieren werden. Grund dafür ist der Krieg im Gazastreifen. An zahlreichen Orten beteiligen sich propalästinensische Ak­ti­vist:in­nen an den Demonstrationen und Kundgebungen.

Hamas' Blutbad als legitim bezeichnet

Daran ist zunächst überhaupt nichts auszusetzen, es führt mitunter jedoch zu höchst problematischen Allianzen. Auffällig ist, dass in nicht wenigen Ostermarschaufrufen zwar die heftige militärische Reaktion Israels auf das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegeißelt wird, der islamistische Terrorangriff selbst jedoch unerwähnt bleibt. Dass das kein Zufall ist, zeigt das Beispiel Leipzig. Seit 2008 vergibt dort das Bündnis „Leipzig gegen Krieg“ auf dem dortigen Ostermarsch einen Friedenspreis.

In diesem Jahr wurde die propalästinensische Leipziger Gruppe Handala auserkoren, eine – vorsichtig formuliert – ungewöhnliche Trägerin eines Friedenspreises: Handala hält das von der Hamas angerichtete Blutbad für einen legitimen antikolonialen Widerstandsakt: „Die unterdrückte palästinensische Bevölkerung befreite sich aus der Belagerung der Besatzungsmacht.“

Worte der Trauer über die getöteten Israelis sucht man vergebens. Es scheint, dass der bei den Ostermärschen formulierte „Minimalkonsens“ mancherorts humanistische Grundstandards nicht mit einschließt. Das ist fatal. Denn es gibt Trennlinien, die nicht überschritten werden sollten.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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