Digitalcourage e. V.: „Ich will kein Produkt sein”

Digitalcourage e. V. kultivieren die Kunst, gegen den Ausspähwahnsinn der Datensammler zu wirken – weil es Bürgerpflicht ist.

Rena Tangens (Mitte) und ihre MitstreiterInnen - unerschrocken allesamt Bild: Anja Weber

Mit einem selbst gebauten Modem in einer Kaffeetasse gingen sie früher ins Internet. Das Künstlerduo – Rena Tangens und padeluun – hackte zusammen mit dem Chaos Computer Club 1985 auf diese Weise die Washington Post und las die Nachrichten des nächsten Tages. Es war eine Performance während einer Ausstellung. „Wir erkannten, auf der anderen Seite der Telefonleitung gibt es eine Welt, die noch nicht erschlossen ist“, sagt Gründungsmitglied Tangens. Kurz darauf gründeten die beiden Digitalcourage e. V.

Seit damals arbeitet dieser Verein an verschlüsselter E-Mail-Software und für mehr Datenschutz. Heute fordern sie zudem Asyl für Edward Snowden und setzen sich gegen Überwachung durch Staat und Konzerne ein. „Als wir uns gründeten, war die digitale Welt neu, aber sie ist bis heute nicht fertig“, sagt Rena Tangens. „Wir wollen diese Welt entdecken und mitgestalten, sodass es eine bessere wird.“ Digitalcourage zählt aktuell rund 850 Mitglieder, mit einer Hochschulgruppe sind sie an der Bielefelder Universität repräsentiert. Rena Tangens trägt Blazer, darunter ein Shirt mit dem Logo des Vereins. Sie sitzt am Konferenztisch im Digitalcourage-Büro.

Früher am Tag stand sie mit einem Dutzend Aktivisten in der Bielefelder Innenstadt: „Ein Bett für Snowden“ forderten sie. Die meisten, die an der Performance mitwirkten, sind nun nach Hause gegangen, Tangens spricht allein für die Gruppe. Dauernd klingelt das Telefon, Journalisten wollen Statements. Oft hören die Bielefelder den alten Gag, sagt Tangens, die Stadt gebe es nicht. Dabei war Digitalcourage selbst dabei, als dieses Gerücht 1994 von dem Informatiker Achim Held in die Welt gesetzt wurde. Held postete einen satirischen Text über die angebliche Bielefeldverschwörung im Forum de.talk.bizarre im Usenet, einem Vorläufer des Internets. Dann wurde die Geschichte zum Selbstläufer.

„Wer hat eigentlich mehr zu verbergen? Ich oder der Staat?“

Bis heute haben die Bielefelder mit dieser Verschwörungstheorie zu kämpfen. Digitalcourage leistete seinen Beitrag zu dem Gerücht, indem der Verein 1994 half, Mailbox, das Nachrichten- und Foren-System, aufzubauen. In den Geschäftsräumen des Vereins stehen heute Ordner nach Themen sortiert: „Vorratsdatenspeicherung“, „Facebook I“, „Facebook II“ oder „Neuer Personalausweis“. Im Keller stapeln sich Infoflyer, T-Shirts für den Onlineshop und Demoschilder: „Wer hat eigentlich mehr zu verbergen? Ich oder der Staat?“ Im August fahren die Aktivisten damit zur großen Freiheit-statt-Angst-Demo in Berlin.

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Das Büro liegt im Zentrum vom Bielefeld, doch Digitalcourage operiert bundesweit; die Aktivisten reisen dorthin, wo Gesetze entstehen, auch nach Brüssel. Besonders stolz ist Rena Tangens auf das Verhindern von RFID-Chips in der Payback-Karte. Mit diesen hätte der Konzern Kunden schon beim Betreten des Ladens identifizieren können. Doch „wegen unserer Mobilmachung hat der Metro-Konzern diese abgeschafft“, sagt Rena Tangens. „Die verwanzten Karten waren ein Modellprojekt, andere Unternehmen hätten nachgezogen.“

Damals, 2003, hatte Digitalcourage gerade einmal 60 Mitglieder. Und die Metro Group, zu der ebenso Galeria Kaufhof, Real, Media Markt und Saturn gehören, ist global einer der größten Handelskonzerne. Digitalcourage setzte sich gegen das Meldegesetz ein, legte Verfassungsbeschwerde gegen den elektronischen Entgeltnachweis Elena ein – und hatte Erfolg. Kleine Triumphe. Eine weitere Verfassungsbeschwerde hatte der Verein im Jahr 2009 zusammen mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Damals hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Gesetz, welches die Speicherung von Metadaten für sechs Monate erlaubt, verfassungswidrig ist.

„Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass das Gesetz nicht nur einzelne Menschen betrifft, die sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen oder zu einer Bürgerversammlung zu gehen“, sagt Tangens. Vielmehr sei die Allgemeinheit betroffen. Und diese leide, weil die Ideen dieser Leute nicht mehr in den großen Pool der Ideen, in den Diskurs der Demokratie eingehen. Dann haben wir auch keine Innovation mehr, sagt Rena Tangens.

„Sicherheit gibt es nur im Gefängnis”

Auch aktuell hat Digitalcourage eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung erstattet, wegen Nichthandelns gegen die NSA-Überwachung. Der Staat argumentiert für die Überwachung mit dem Stichwort „Sicherheit“. Doch „Sicherheit gibt es nicht“, sagt dagegen Tangens. Eine freie Gesellschaft sei ohne ein gewisses Maß an Risiko gar nicht denkbar. „Sicherheit hat man vielleicht im Gefängnis, weil man weiß, wann man am nächsten Tag aus dem Bett geschmissen wird.“

Es werde der Eindruck erweckt, dass wenn man von der Freiheit was abgibt, automatisch Sicherheit bekommen würde. „Sicherheit ist nicht die Abwesenheit von Risiko“, sagt Tangens. „Wir können uns darauf einigen, bestimmte Freiheiten einzuschränken, aber zugunsten anderer Freiheiten.“ Wie die Rechte der Arbeitgeber einzuschränken, um die Rechte von Arbeitnehmern zu garantieren. „Aber wir können nicht Freiheit aufgeben, um einer angeblichen Sicherheit nachzugeben.“

Gegen kommerzielle Überwachung und Datenkraken initiiert der Verein Digitalcourage eine Negativauszeichnung, die Big-Brother-Awards. „Wie schnell die Freiheit des Internets wieder verengt wird durch private Konzerne wie Facebook und Google, konnten wir uns damals nicht vorstellen“, sagt Tangens. „Es geht den Konzernen ja nicht darum, die Wünsche der Kunden zu erfüllen, sondern uns Geld aus der Tasche zu ziehen.“ Wenn wir nichts bezahlen, würden wir selbst zum Produkt werden, sagt sie. Und, sehr entschieden: „Ich will kein Produkt sein“. 

„Gerade weil ich nichts zu verbergen habe, will ich nicht überwacht werden.”

Produkt sein? Ja, wer möchte das schon. Aber wie kommt es dann, dass es trotzdem keinen Massenaufstand gegen das Datensammeln von Konzernen und Staaten gibt? „Unkenntnis über die Möglichkeiten, sich zu wehren, Resignation, das Gefühl alleine zu sein“, zählt Rena Tangens auf, „und der Gedanke: Ich bin ja viel zu uninteressant für den Geheimdienst.“

Der Satz sei naiv, weil man davon ausgeht, dass man auch in Zukunft nie etwas zu verbergen habe. „Nehmen wir an, eine Partei, die uns am wenigsten gefällt, würde die Regierung übernehmen“, sagt Tangens, dann würde man doch wollen, dass einige Sachen ungespeichert bleiben würden. „Ich würde den Satz umdrehen“, sagt Tangens, „gerade weil ich nichts zu verbergen habe, will ich nicht überwacht werden."

Svenja Bednarczyk