Nominierte 2011: Hadja Kaba: Weg mit den Messern!

Als Kind sehnte Hadja Kaba ihre Beschneidung herbei. Erst Jahre später erkannte sie, was ihr angetan wurde. Heute kämpft sie gegen die grausame Tradition.

Es ist spät geworden, als Hadja Kitagbe Kaba am Samstagabend nach Hause kommt. Sie hat heute ein Public Viewing zur Frauenfußball-WM mitorganisiert und danach noch die Botschafterin von Mali aus Berlin verabschiedet, mit selbst gekochtem guineischem Essen. Nun nimmt sie den Fahrstuhl in ihre Wohnung im zwölften Stock eines Hochhauses im Märkischen Viertel, einer Trabantenstadt im Nordwesten Berlins. Die 56-Jährige begrüßt ihre Mutter, versorgt die Enkeltochter und schickt sie ins Bett, schaltet in der Küche den Wasserkocher an. Sie muss noch eine Informationsreise durch Österreich vorbereiten. Später.

Hadja Kitagbe Kaba ist eine elegante, groß gewachsene Frau. Sie trägt einen petrolfarbenen, mit Perlen bestickten Bubu, ein traditionelles afrikanisches Gewand. „Berlin ist meine Stadt“, sagt sie. „Ich lebe hier schon länger, als ich in meiner Heimat gelebt habe.“ Kaba stammt aus Guinea in Westafrika. Seit 1985 lebt sie in Deutschland. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie schwer es als nicht weißer Mensch in der deutschen Gesellschaft sein kann. Auch wegen ihrer eigenen Kinder setzte sie sich von Anfang an für die Integration afrikanischer Familien in der neuen Heimat ein. 2000 gründete sie den Verein „Mama Afrika“.

Kabas frühere Heimat, der Vielvölkerstaat Guinea, erlangte 1958 die Unabhängigkeit von Frankreich. Zwei Drittel der Bevölkerung leben auf dem Land in relativer Armut, die Analphabetenrate liegt bei 56 Prozent. Die vorherrschende Religion ist der Islam. Zu den gelebten Traditionen gehört neben der Polygamie auch die weibliche Beschneidung, der wichtigste Initiatonsritus im Leben eines guineischen Mädchen. Die Beschneidung beruht nicht auf religiösen Vorgaben und doch denken viele, sie stünde im Koran.

Als Kaba sieben Jahre alt war, sehnte sie den Tag herbei, an dem auch sie endlich beschnitten wurde. Sie wollte dazugehören. „Mit einer großen Feier und vielen Geschenken werden die Mädchen in die Dorfgemeinschaft aufgenommen“, sagt Kaba. „Niemand sagt ihnen, welche Schmerzen und Qualen sie erleiden müssen.“ Der Eingriff wird von traditionellen Beschneiderinnen vorgenommen. Ohne Narkose werden den Mädchen mit Scherben, Scheren oder Rasierklingen die Klitoris, aber zum Teil auch die gesamten äußeren Genitalien entfernt. Die Mädchen gelten danach als sauber, von dem unreinen männlichen Teil – der Klitoris – befreit. „Es ist ein Tabu, niemand spricht darüber“, sagt Kaba, „aber die anschließenden Feste sind öffentlich, jeder weiß, welches Mädchen beschnitten wurde.“ Frauen, die nicht beschnitten sind, werden ausgegrenzt, finden keinen Ehemann. Ein Schicksal, das keine Mutter ihrer Tochter wünscht. Doch nach dem Eingriff leiden viele an chronischen Infektionen und Entzündungen.

Hadja Kaba beendete die Schule, heiratete und ging Ende der siebziger Jahre zum Studium nach Frankreich. Der Abstand half ihr, Traditionen zu hinterfragen. Erst da erkannte sie, wie tief die seelischen Verletzungen sind, die ihr und den Frauen in Guinea durch die sexuelle Verstümmelung angetan werden.

1985 zog Kaba mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach Deutschland. Sie bekam zwei weitere Kinder, arbeitete und versuchte sich im deutschen Alltag zurechtzufinden. Sie trennte sich von ihrem Mann, machte sich mit einer Galerie für afrikanische Kunst selbstständig und gründete „Mama Afrika“. Zunächst ging es ihr um die Integration afrikanischer Kinder und Familien in Deutschland. An Schulen hielt sie Vorträge über Rassismus.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ende der neunziger Jahre bekam das Thema weibliche Beschneidung international immer mehr Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch den Einsatz des somalischen Topmodels Waris Dirie als UN-Sonderbotschafterin gegen weibliche Genitalverstümmelung. Unicef betrieb Aufklärungskampagnen, auch in Guinea. Die Beschneiderinnen sollten mit der Tradition brechen, ihre Messer wegwerfen und sich neue Einkommensquellen erschließen.

Hadja Kitagbe Kaba reiste 2005 nach Guinea. „Ich dachte, es wäre vorbei“, sagt sie. Gesetzlich war die Beschneidung in Guinea schon seit 1969 verboten. „Doch dann sah ich die Mädchen in Festkleidung. Zurechtgemacht für das Beschneidungsfest.“ Da beschloss sie, sich gegen die grausame Praxis einzusetzen.

Kaba weiß, dass sie einzig mit Aufklärung und Verständnis etwas verändern kann. „Mit Verboten oder gar Strafen erreicht man überhaupt nichts“, sagt sie. Viele der Beschneiderinnen wüssten gar nicht, dass sie für die gesundheitlichen Probleme der Frauen verantwortlich sind. Diese Verbindung ist den beschnittenen Frauen oft selbst nicht klar. Deshalb arbeitet „Mama Afrika“ auf zwei Ebenen. Neben den Aufklärungskampagnen in Guinea organisiert Kaba auch Informationsveranstaltungen in Deutschland. Denn vielfach führen Familien die Beschneidung auch in Europa fort. „Sie haben ihren Kopf in Guinea gelassen“, sagt Kaba. Sie sucht den Kontakt zu betroffenen Familien, veranstaltet Treffen, Koch- und Tanzkurse. Sie versucht das Selbstbewusstsein der hier lebenden Frauen zu stärken und ihnen die Angst vor dem scheinbaren Verlust ihrer kulturellen Identität zu nehmen.

Das ist der größte Vorwurf, den Kaba zu hören bekommt, wenn sie gegen weibliche Genitalverstümmelung argumentiert. Sie sei europäisiert, habe ihre Kultur verloren. Kaba sieht das anders. Sie hinterfragt beide Gesellschaften. Und behält dann von jeder das Beste. Die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen, hat sie zum Beispiel aus Guinea mitgenommen. Sie hat nicht vor, diese Kultur aufzugeben.

Marie-Claude Bianco