Nominierte 2005: Judith Porath und Kay Wendel: Sie lassen Opfer von Neonazis nicht allein

Ein Verein in Potsdam kümmert sich um Opfer rechter Gewalt.

Bild: Andrea Baumgartl

Peter Lawson kommt aus Sierra Leone und lebt seit vier Jahren in einem Heim für Asylbewerber im Landkreis Uckermark nahe der polnischen Grenze. Genauer gesagt: in einer ehemaligen russischen Kaserne im Wald nahe Crussow. Zum Sport ging der junge Mann regelmäßig nach Schwedt. Im Januar wurde er dort von zwei Neonazis verprügelt. Noch heute leidet er unter den Folgen der schlimmen Verletzungen. Hinzu kommt, dass er sich fast nicht mehr vor die Tür traut und sich nicht mehr den rassistischen Beschimpfungen in den Kleinstädten Schwedt und Angermünde aussetzen will.

„Mit unserer Hilfe hat Peter Lawson einen Antrag gestellt, nach Prenzlau umziehen zu dürfen“, erklärt Kay Wendel, der den Fall zuvor geschildert hat. Er ist Projektleiter beim Verein Opferperspektive in Potsdam. Peter Lawson ist eines der Opfer rechtsextremer Gewalt, um die sich die Opferperspektive seit 1998 kümmert. „Rund 200 Menschen haben wir im vergangenen Jahr betreut“, sagt Geschäftsführerin Judith Porath. Hier im Büro in der Potsdamer Schloßstraße besprechen und koordinieren sieben Mitarbeiter notwendige Hilfen und Unterstützungen für Betroffene aus Brandenburg.

Zum Beispiel für Mehmet Cimendag, dessen Döner-Stand in Rheinsberg komplett abgebrannt ist. „Es war bereits der vierte Anschlag mit fremdenfeindlichem Hintergrund auf seinen Imbiss“, sagt Kay Wendel. Nun sammele die Opferperspektive Spenden, damit sich Mehmet Cimendag bald wieder eine Existenz aufbauen kann. „Rund 15.000 Euro sind schon zusammengekommen.“ Neben finanzieller Hilfestellung veröffentlicht der Verein Aufklärungsmaterial und sorgt für juristische und psychologische Betreuung.

„Wir vermitteln den Geschädigten Therapeuten und Anwälte und begleiten sie zu Prozessen“, erklärt Judith Porath und verweist darauf, dass es gar nicht so einfach sei, geeignete Juristen zu finden: „Wir nehmen natürlich keinen, der schon einmal einen rechten Schläger verteidigt hat.“ Zum Beispiel hat sich der Verein eines Mannes aus Frankfurt (Oder) angenommen, dessen Schicksal gerade für Aufsehen sorgte. Drei rechtsextreme Skinheads und zwei Frauen haben den 23-Jährigen fast zu Tode gequält; mittlerweile sind sie zu Haftstrafen verurteilt worden.

Gezielte Opfersuche

Außerdem betreiben die Mitglieder der Initiative systematische Opfersuche. Zeitungen werden gewälzt, Fälle recherchiert und Leidtragende aufgesucht. „Wir fahren zu den Leuten hin und machen uns ein Bild von der Situation vor Ort“, beschreibt Wendel. „Opfer rechter Gewalt haben oft Angst, selbst etwas zu unternehmen oder gar Anzeige zu erstatten, deshalb müssen wir auf sie zugehen.“ Auch potenziell Betroffene – also Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer politischen Einstellungen Ziel eines Übergriffs werden könnten – werden von der Opferperspektive gezielt angesprochen und ermuntert, sich zu wehren und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Einzelfallhilfe und politisch-soziale Intervention – so könnte man die Tätigkeiten der Opferperspektive zusammenfassen. Am Anfang leisteten drei Leute diese Arbeit, sie wollten endlich den Spieß rumdrehen. „In den 90er- Jahren hat man sich über die rechten Täter den Kopf zerbrochen, aber die Opfer von Anschlägen und Ausschreitungen spielten keine Rolle“, sagt Kay Wendel, der zu den Gründungsmitgliedern gehört. „Wir wollten endlich die Betroffenen in den Mittelpunkt stellen.“

Abgesehen von den täglichen Schwierigkeiten mit der rechten Szene, aber auch mit Behörden und der Polizei, muss die Initiative nun auch noch um Fördergelder kämpfen. Obwohl die Anzahl rechtsextremer Gewalttaten in Brandenburg nach wie vor steigt, will die rot-schwarze Landesregierung die Mittel kürzen. „Die Landesregierung hat sich nicht festgelegt, ob sie unsere Arbeit überhaupt weiter unterstützen will. Seit über einem halben Jahr warten wir auf eine klare Aussage“, erklärt Judith Porath. 45.000 Euro habe die Opferperspektive für 2005 aus dem Landesetat beantragt.

Mittelkürzung ein erschreckendes Signal

Von der Bewilligung hängt viel ab: Als Modellprojekt des Bundesprogramms Civitas braucht der Verein die Zuwendung des Landes, um weiter gefördert zu werden. Es wäre ein erschreckendes Signal, wenn einer Initiative gegen rechts von der Politik der Geldhahn zugedreht würde. Und vielleicht kommt es noch schlimmer: „Mal sehen, ob es nach einem CDU-Sieg bei der Bundestagswahl für uns überhaupt noch weitergeht“, sagt Kay Wendel.

Dabei ist der Verein mit seinem Engagement Vorbild für viele kleine Organisationen, die sich an der Basis gegen die Neonazi-Szene aufbäumen und eng mit der Opferperspektive zusammenarbeiten. „Wichtig hierbei ist das Prinzip Opferperspektive“, sagt Wendel. „Man darf die Betroffenen auch in Zukunft nicht alleine lassen. Doch wirklich aktiv gegen rechts ist leider bloß eine kleine Minderheit tätig.“

Jutta Heeß